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Glaube

Viele Gaben - Ein Geist

10. Juni 2022

Rund um Pfingsten wird in vielen katholischen Pfarreien die Firmung gefeiert. Ein persönlicher Blick auf die Firmung und die Vielfalt der Gaben des Heiligen Geistes.

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Firmung 2022 - Motivplakat - Viele Gaben ein Geist
Bild: Bonifatiuswerk

 „Julian, sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den heiligen Geist.“ Der Bischof steht vor mir und zeichnet mir mit dem Chrisamöl, einer Mischung aus Öl und Balsam, ein kleines Kreuz auf meine Stirn. Diese zunächst unscheinbar wirkende Handlung ist für mich doch ein bedeutendes Zeichen des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen. Das Taufversprechen, das meine Eltern und Paten stellvertretend bei meiner Taufe gegeben haben, darf ich nun eigenständig bestätigen. Von nun an übernehme ich durch das öffentliche Glaubensbekenntnis ganz bewusst selbst die Verantwortung für meinen Glauben und mein Leben in und mit der Kirche. Heute – annähernd fünfzehn Jahre nach meiner Firmung – erinnere ich mich noch gut an diesen besonderen Tag, der für mich im wahrsten Sinne des Wortes eine Bestärkung, eine Bekräftigung (lat. „confirmatio“) meines Glaubens war. Und sicher hat dieser Tag dazu beigetragen, dass ich heute in meiner Tätigkeit im Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken, einem Hilfswerk für katholische Christinnen und Christen in der Diaspora, hauptberuflich für die Kirche arbeite.

 

In diesen Tagen rund um das Pfingstfest ist es in vielen Pfarreien in ganz Deutschland und darüber hinaus auch wieder soweit: Zahlreiche Jugendliche und junge Erwachsene empfangen das Sakrament der Firmung. Sie feiern damit im übertragenen Sinne ihr persönliches Pfingstfest, indem sie – wie die Jünger damals in Jerusalem – die Gaben des Heiligen Geistes empfangen, der sie zu mündigen, erwachsenen Christen macht und sie für ihren weiteren Lebens- und Glaubensweg in der Welt und in der Kirche bestärken möchte. Das Pfingstfest und die Feier der Firmung haben ihre gemeinsame Quelle im Heiligen Geist und setzten immer wieder aufs Neue einen Gegenpol zur aktuellen Situation in Kirche und Gesellschaft. Angesichts der Fülle von Krisen und Herausforderungen machen sich vielerorts Pessimismus und Resignation breit. Wie oft hören wir aktuell Phrasen wie „Die da oben machen sowieso was sie wollen!“, „Ich? Was kann ich schon bewirken?“ oder „Sollen sich die anderen doch darum kümmern!“. Von der belebenden und bestärkenden Kraft des Heiligen Geistes ist scheinbar wenig zu spüren. Und doch erinnern das Pfingstfest und die Firmung daran, dass der Geist Gottes auch heute weht, wo er will. Und er befähigt dazu, die Welt aktiv mitzugestalten.

Jede und jeder ist dazu aufgerufen, seine von Gott im Heiligen Geist geschenkten Gaben und Talente zu entdecken und zum Wohl der Mitmenschen einzusetzen, denn „Keiner kann alles, aber keiner kann auch nichts!“. Nicht nur der Volksmund weiß gut darüber Bescheid, dass kein Mensch perfekt ist und ebenso wenig kein Mensch ohne etwas ausgestattet ist, was er oder sie gut kann und für andere einsetzen kann.

 

Wie der Geist Gottes wirkt und Menschen vielfältige Gaben schenkt, erfahre ich immer wieder in meiner Arbeit im Bonifatiuswerk. Woche für Woche komme ich mit Menschen in Kontakt, die ihren Glauben – trotz aller Widrigkeiten in der Kirche – kraftvoll leben und mit finanzieller Unterstützung des Bonifatiuswerkes ihre Projekte verwirklichen möchten. Es sind Menschen, die ihre geistgeschenkten Gaben und Talente für die Sache Jesu und den Nächsten einsetzen. Exemplarisch für diese – im wahrsten Sinne des Wortes – „begabten“ und „begeisterten“ Menschen kann eine Ordensfrau stehen, die als Seelsorgerin zahlreichen schutzbedürftigen Geflüchteten in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Ostdeutschland einen Raum schenkt, um über ihre Erfahrungen sprechen zu können. Dabei hat sie ein offenes Ohr für die Sorgen, Bedürfnisse und Sehnsüchte der geflüchteten Menschen. Wo es notwendig ist, vermittelt sie an weiterführende Beratungsangebote und eröffnet so Perspektiven für eine Zukunft jenseits von Krieg, Gewalt und Verfolgung. Mit ihren vielfältigen Gaben und in der Kraft des Heiligen Geistes überwindet sie die Grenzen von Nationen, Kulturen und Religionen.

Auf die Vielfalt der Gaben, die der Mensch geschenkt bekommt, verweist auch das diesjährige Motiv der Firmaktion des Bonifatiuswerkes. Im Zentrum des Motivs ist eine stilisierte Taube zu sehen. Im Neuen Testament steht die Taube in christlicher Deutung für den nicht sichtbaren Geist Gottes, der Jesus von Nazareth in der Taufe durch Johannes als den Messias und Sohn Gottes ausweist (vgl. Markus 1,10). Die Taube als Symbol des Heiligen Geistes schlägt die Brücke zum Sakrament der Firmung, dem Sakrament des Heiligen Geistes. Bei näherer Betrachtung des Motivs erkennt man, dass die Taube aus unzähligen, einzelnen Farbpunkten zusammengesetzt ist. Dies verdeutlicht, dass es jeden und jede einzelne braucht, damit Gemeinschaft entstehen kann. Jeder und jede bringt sich mit seinen Gaben, ihren Lebensfarben ein und trägt zum Gelingen und zur Erkennbarkeit des Ganzen bei. Mit Blick auf die vom Geist Gottes verliehenen Gaben – der Tradition gemäß sind dies Weisheit, Einsicht, Rat, Erkenntnis, Stärke, Frömmigkeit und Gottesfurcht (vgl. Jesaja 11,2) –, wird eine Vielfalt von Talenten und Fähigkeiten feststellbar, die auch unsere Alltagserfahrung bestätigt. Beim Apostel Paulus lernen wir darüber hinaus anhand des Beispiels der Gemeinde von Korinth, dass vielfältige Gaben nicht dazu führen dürfen, sich in egoistischer Unübersichtlichkeit zu verlieren, sondern dass die Vielfalt der Gaben die Einheit im Geist Gottes braucht (vgl. 1 Korinther 12,4-11). Vielfalt der Gaben meint für Christinnen und Christen also nicht, sich um seiner selbst willen (und vielleicht noch auf Kosten anderer) zu profilieren, sondern sich umso mehr für andere einzusetzen und zum Aufbau des Reiches Gottes beizutragen. Und welche Ihrer Gaben setzen Sie für andere ein?

 

Julian Heese

Religionspädagoge, M.A. „Christentum in Kultur und Gesellschaft“, Leiter Missionarische und diakonische Pastoral / Diaspora-Kinder- und Jugendhilfe im Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken mit Sitz in Paderborn