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Vertreibung aus dem Paradies

Udo Bauer23. Juni 2006

Nach zwei gescheiterten Versuchen im Bundestag, ein Nichtraucherschutzgesetz auf den Weg zu bringen, hat ein neuer Vorstoß jetzt mehr Aussichten auf Erfolg. Denn die Kanzlerin ist dafür.

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Angela Merkel ließ ihren Regierungssprecher mitteilen, dass auch sie ein Rauchverbot für öffentliche Gebäude und Gaststätten unterstütze. Zuvor hatte der Verbraucherminister (und selbsternannte Gesundheitsminister auf Lebenszeit) Horst Seehofer (CSU) sich auf die Seite der Anti-Raucher-Gruppe im Bundestag geschlagen. Die Befürworter einer gesetzlichen Regelung wurden in den letzten Wochen immer zahlreicher. Es sind Parlamentarier aller Fraktionen, die einen sogenannten Gruppenantrag in Vorbereitung haben, also einen Gesetzesvorschlag, der irgendwann zur Abstimmung kommen soll.

Cohiba im Kanzleramt

Käme es zu einem Gesetz, dann würde sich einiges ändern in der Republik: Keine Kippe mehr in der Kneipe und im Restaurant, keine mehr in Behörden und im Kanzleramt. Ja, Sie haben richtig gelesen: Im Kanzleramt darf tatsächlich geraucht werden; jedenfalls hindert keiner der zahlreich anwesenden Sicherheitsbeamte einen Besucher oder einen herumlungernden Journalisten daran, sich eine anzuzünden. Ganz schön tolerant, die nichtrauchende Hausherrin! Dabei dachte man doch, Merkel sei längst über den Schatten von Cohiba-Kanzler Schröder gesprungen. Überhaupt darf man sich wundern über die Nonchalance, mit der der deutsche Gesetzgeber bisher konsequent alle Studien über die Gefährlichkeit des Passivrauchens ignoriert hat.

Der Wind dreht sich

In vielen anderen EU-Staaten gibt es Rauchverbote in irgendeiner Form, nicht so in Deutschland. Die Bundesrepublik zog sogar vor den Europäischen Gerichtshof herab, weil sie das Tabakwerbeverbot der EU nicht umsetzen will. Allerdings zeichnet sich dort eine deutsche Niederlage ab, und vielleicht ist das der Grund dafür, dass auch die nikotinabhängigen Parlamentarier langsam erkennen: Der Wind hat sich gedreht und bläst ihnen den eigenen Qualm ins Gesicht. Vielleicht liegt's aber auch an der WM. Denn Hundertausende von Fußballgästen aus dem Ausland staunen nicht schlecht, was Raucher hierzulande alles dürfen - auf Kosten von Nichtrauchern. Die Welt zu Gast in der Räucherkammer!

Nichtraucherschutz ist Ländersache

Vor allem konservative Politiker in Deutschland setzten beim Thema Rauchen bislang auf die Selbstregulierung des Marktes, sprich auf die freiwillige Schaffung von Nichtraucherzonen im Hotel- und Gaststättengewerbe. Die magere Bilanz dieser Selbstverpflichtung: 30 Prozent Nichtraucherplätze in 30 Prozent der Lokale. Das schreit nach einer gesetzlichen Regelung im Sinne der Nichtraucher (besser: Passivraucher). Allerdings ist der Gesundheitsschutz der Bürger Sache der Bundesländer. In den Behörden und Schulen sowieso, im Gaststättengewerbe im Zuge der Föderalismusreform demnächst auch. Aber auch in den Ländern melden sich immer mehr Ministerpräsidenten zu Wort, denen der Qualm stinkt. Vieles deutet also darauf hin, dass auch die deutschen Raucher bald aus ihrem Paradies vertrieben werden. Sündenfälle hat es genug gegeben.