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Verloren im Abschiebeknast

Bernd Gräßler13. November 2014

Europas Richter haben dafür gesorgt, dass endlich weniger Asylsuchende im Gefängnis landen. Doch der Flüchtlingsdienst der Jesuiten fürchtet, dass sich das bald wieder ändert. Der deutsche Gesetzgeber arbeitet daran.

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Symbolbild Abschiebehaft (Foto: SJ-Bild/Leopold Stübner)
Bild: SJ-Bild / Leopold Stübner

Diese Woche war Seelsorger Ludger Hillebrand wieder in Berlin-Köpenick, Grünauer Straße 40, zu einem seiner regelmäßigen Besuche. Es ist die Adresse des Berliner "Abschiebungsgewahrsams". Mit dem verzweifelten 21-Jährigen aus Eritrea konnte Hillebrand nicht mehr sprechen. Er wurde inzwischen zurück nach Italien abgeschoben, obwohl seine Schwester in Deutschland lebt und ihn aufgenommen hatte. Doch Familienzusammenführung gilt nach europäischem Recht nur für Vater, Mutter und minderjährige Kinder. Den älteren Albaner, der als Grund für die Flucht aus seiner Heimat Morddrohungen angibt, hat der 51-jährige Jesuitenpater dagegen noch angetroffen. Für dessen Klage gegen die Abschiebung bestehe noch Hoffnung, meint Hillebrand.

Immerhin kann der Jesuiten-Flüchtlingsdienst auf eine gute Erfolgsquote verweisen, wenn es darum geht, seine Schützlinge aus den Abschiebegefängnissen Deutschlands herauszulotsen. In Berlin und Brandenburg hat der Rechtshilfefonds der Jesuiten in diesem Jahr bisher 70 Abschiebegefangene betreut und 55 Freilassungen erwirkt.

Ende einer "widersinnigen Praxis"

Das Abschiebegefängnis in Berlin-Köpenick ist eines der letzten Deutschlands, in denen Flüchtlinge eingesperrt werden, um sie dann unter Polizeibegleitung außer Landes zu bringen. Denn seit Sommer dieses Jahres haben sich die Abschiebehaftanstalten nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesgerichtshofes schlagartig geleert. Erst verboten die Richter in Luxemburg, dass Abschiebehäftlinge zusammen mit Strafgefangenen untergebracht werden. Das zweite Urteil schlug eine Bresche in die Praxis, Asylsuchende schon beim erstmaligen Betreten Deutschlands direkt in den Abschiebegewahrsam zu bringen. Denn laut "Dublin-Verfahren" haben sie ihren Antrag gefälligst im ersten EU-Land zu stellen, das sie betreten. Da aber viele unter anderem nach Deutschland weiterreisen, fürchten die Behörden hierzulande, dass sie untertauchen könnten, wenn man sie nicht sofort hinter Gitter bringt. "Eine widersinnige und unmenschliche Praxis", sagt Pater Hillebrand. Die Richter sahen das ähnlich.

Pater Ludger Hillebrand vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst (Foto: SJ-Bild/Christian Ende)
Pater Hillebrand: "Das ist völlig absurd"Bild: SJ-Bild / Christian Ender

Deshalb gibt es nach Schätzungen des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland insgesamt nur noch etwa 50 bis 60 Abschiebehäftlinge an fünf verschiedenen Orten. Vor einem Jahr waren es etwa zehnmal so viele in 20 verschiedenen Haftanstalten. Viele wurden geschlossen, wie kürzlich die Haftanstalt in Rendsburg in Schleswig Holstein.

Ein Hotel käme billiger

In Berlin-Köpenick verlieren sich derzeit in einem riesigen Gebäudekomplex schätzungsweise 30 Insassen, bewacht von 50 Polizisten. Bei einer solchen Belegung kostet jeder Platz in der Haft rund 55.000 Euro im Jahr. Ein Hotel käme billiger, meint Hillebrand. Einige Bundesländer schicken ihre wenigen Abschiebehäftlinge nach Berlin-Köpenick.

Es sind Menschen, die nach mehrmaliger Aufforderung Deutschland nicht verlassen haben oder nach ihrer Abschiebung wieder zurückgekommen sind. Oder es handelt sich um Flüchtlinge mit ungeklärter Identität. Hillebrand nennt den Fall eines Serben, den er betreut hat: Er sei letzte Woche zum vierten Mal abgeschoben worden, "aber der wird auch ein fünftes Mal wiederkommen". Er habe Frau und drei Kinder, aber in Serbien ein Haus ohne Strom, Wasser und Heizung, so der Pater: "Da haben sogar die anderen Häftlinge gesagt, für den muss man Geld sammeln, damit er für die ersten Monate im Winter die Heizung bezahlen kann".

Serbien gilt als sicheres Herkunftsland, die Chancen für Asylbewerber sind gleich Null. Aber es gab auch Syrer, die in Deutschland im Abschiebeknast landeten. Deren vorhergehende Station in der EU war Bulgarien, sie berichteten über katastrophale Verhältnisse dort. "Wenn die bei uns in Abschiebungshaft kamen, sagten sie, schickt uns lieber wieder zurück nach Syrien als nach Bulgarien", berichtet Hillebrand. Deutsche Gerichte verboten deshalb zeitweise das Zurückschicken von Flüchtlingen nach Bulgarien, wie bereits zuvor nach Griechenland. Auch die Zustände in Italien gelten manchen Richtern als Abschiebehindernis.

Einbahnstraßenschild JVA Büren (Foto: DW/K. Jäger)
Einbahnstraße Abschiebeknast.Bild: DW/K. Jäger

Regierung brütet über neuem Gesetz

Die Meinungen darüber, wie viele Flüchtlinge Deutschland aufnehmen kann, gehen weit auseinander zwischen den Leuten vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst und der Bundesregierung. Weltweit seien 51 Millionen Menschen auf der Flucht, sagt der Direktor der katholischen Hilfsorganisation, Frido Pflüger. In Deutschland suchten in diesem Jahr bisher 140.000 Menschen Asyl. "Das überfordert doch so ein reiches Land wie Deutschland nicht", meint Pflüger". Viele junge Leute seien darunter, "wir sollten die Talente nutzen".

Die Bundesregierung sieht das anders. Im Bundesinnenministerium arbeitet man an mehreren Gesetzen zur Asylpolitik, darunter an einem neuen Aufenthaltsgesetz. Es soll, wie vom Bundesgerichtshof gefordert, definieren, wann "erhebliche Fluchtgefahr" besteht, so dass man Asylsuchende wieder in "Gewahrsam" bringen kann. Das Gesetz befindet sich seit Monaten in der Abstimmung zwischen den Ministerien und soll noch im Dezember ins Kabinett kommen. Die bisher bekannt gewordenen Kriterien sind so weit gefasst, dass sich die Abschiebehaftanstalten wieder füllen könnten. "Dann kommt genau wieder das, was wir bis Mitte des Jahres hatten", ahnt Ludger Hillebrand, "dann haben wir die Syrer, die in Bulgarien nicht Fuß fassen konnten, wieder hier im Gefängnis". Er schüttelt den Kopf: "Das ist absurd, völlig absurd."