Verlassene Kirchen in Europa
Erdbeben, Brände, Glaubensverlust - es gibt viele Gründe, warum Kirchen verfallen. Der Fotograf Francis Meslet hat sie für ein Buch mit der Kamera gerettet.
Krypta, 20. Jahrhundert, Italien
Das letzte Abendmahl in dieser Krypta in Ligurien liegt schon lange zurück. Der französische Fotograf Francis Meslet hat von 2012 bis 2019 verlassene Kirchen besucht, um sie mit der Kamera zu dokumentieren - in Schlössern, Krankenhäusern oder Privatanwesen. Bewusst gibt er in dem Bildband "Verlassene Kirchen" ihre genaue Adresse nicht preis. Nur so ließen sie sich vor Vandalismus schützen.
Kapelle, 13.-19. Jahrhundert, Frankreich
In ganz Europa grassiert ein Kirchensterben. Manche Gotteshäuser werden verkauft und in Wohnraum, Fitnesscenter oder Gästehäuser umfunktioniert. Allein in Frankreich, wo Meslet diese Kirche für das Cover seines Buchs aufgenommen hat, wurde seit 2000 pro Jahr eine Kirche abgerissen. Mehr als 100 religiöse Bauwerke verloren im Jahr 2019 ihre Funktion, weil es nicht mehr genug Gläubige gab.
Krematorium, 20. Jahrhundert, Deutschland
Dieses Krematorium aus den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts hat Francis Meslet in Sachsen-Anhalt entdeckt und fotografiert. Es könnte ein Drehort aus einem Gruselfilm sein. Es steht auf einem Friedhof in Dessau und war einst eines der modernsten Krematorien in Deutschland. Seit den 1990er-Jahren ist es nicht mehr in Betrieb. Obwohl denkmalgeschützt, verfällt das historische Gebäude.
Kloster, 17.-19. Jahrhundert, Umbrien
Prächtig oder schlicht - Francis Meslet zeigt unbekannte Schätze. Diese kleine barocke Klosterkirche aus dem 17. und 19. Jahrhundert in Umbrien wurde von den Mönchen aufgegeben, nachdem die Gegend von einem Erdbeben heimgesucht worden war. Die Bänke sind morsch, Dachziegel sind durch die Decke gefallen. Das raumgreifende, barocke Interieur - mitsamt Altar und Heiligenfiguren - droht zu verfallen.
Kapelle, 19. Jahrhundert, Belgien
Vom Andachtsort ist kaum noch etwas zu erkennen. "Die kleine Kapelle entkam als einziges Gebäude dieser Gegend, gelegen in der Nähe eines riesigen Steinbruchs. Dieses Schlunds, der im Umkreis von mehreren Kilometern eine dichte weiße Staubwolke hinterließ. (...) ", schreibt Meslet. Mit seinen Fotos macht er das verlassene Gotteshaus zu einem Erinnerungsort.
Kapelle, 18./19. Jahrhundert, Frankreich
"Angesichts begrenzter Budgets haben viele kleine Gemeinden schlicht nicht mehr die Mittel, ihre Kirchen zu unterhalten. Und wenn es hart auf hart kommt, wird die Wahl eher zugunsten der Reparatur des Schuldachs ausfallen", vermutet der Fotograf. Seine Reise zu aufgegebenen Kirchen in Europa, glaubt Francis Meslet, ist deshalb wohl noch lange nicht zu Ende.
Katholisches Kolleg, 19. Jahrhundert, Frankreich
Auch diese bezaubernde kleine Kapelle, erbaut im 19. Jahrhundert für eine katholische Schule im Loire-Tal, hat offenbar ausgedient. Die Gläubigen haben sie, wie viele andere Sakralbauten in Europa, verlassen. Ein Jammer: Der prächtige Altar zerbröselt, die Wandfresken verblassen. Der Kulturort scheint dem Verfall preisgegeben.
Kirche, 13. Jahrhundert, Burgund
Francis Meslet hat mehrere hundert Kultstätten fotografiert, die dem Verfall geweiht sind. Viele von ihnen befinden sich in der Provinz, wo schon durch die Landflucht immer weniger Gläubige wohnen. Diese kleine gotische Kapelle im Burgund versinkt unter einer Staubschicht, doch die Marienfigur leuchtet, als wäre sie gerade frisch aufgestellt worden.
Krypta, 14. Jahrhundert, Portugal
Meslet bat Autoren, Wissenschaftler, Dozenten, Historiker, Komponisten, Dolmetscher oder Künstler darum, kurze, assoziative Text zu den Orten zu schreiben. "Ich habe dieses Bild schon einmal im Traum gesehen, nicht genau dieses, aber ein ähnliches", schrieb daraufhin der Toulouser Musiker Michel Cloup über dieses Foto einer Krypta, die zu einem Kloster in Lissabon gehört.
Kapelle 13. Jahrhundert, Piemont
"Die Kirchen ziehen sich zurück, um zu sterben", schreibt Meslet. Die Gebäude, die der französische Fotograf besucht hat, sind keine mächtigen Sakralbauten, sondern stille Andachtsorte. Angezogen von ihrer "Poesie" zeigt er sie noch einmal, bevor sie - wie so viele vor ihnen - ihr Dasein aushauchen. Der Bildband "Verlassene Kirchen - Kultstätten im Verfall" ist im Jonglez-Verlag erschienen.