1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Verhofstadt: EU ist kein Geldautomat für Polen

Barbara Wesel
4. Juli 2018

Erst Polen, dann die EU, fordert der polnische Ministerpräsident Morawiecki in Straßburg. Guy Verhofstadt, Chef der liberalen Fraktion im EU-Parlament, widerspricht und warnt vor einem neuen Eisernen Vorhang in Europa.

https://p.dw.com/p/30pdY
Guy Verhofstadt bei Conflict Zone
Guy Verhofstadt hat kein Verständnis für die Ansichten des polnischen PopulistenBild: DW

Deutsche Welle: Was halten Sie von den Botschaften des polnischen Premierminister vor dem Europäischen Parlament?

Guy Verhofstadt: Ich bin besorgt, dass wir einen neuen Eisernen Vorhang herablassen könnten zwischen dem Osten und dem Westen Europas. Eine Reihe von mittel- und osteuropäischen Staaten könnten denken, dass sie vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer in eine andere Richtung gehen könnten, ohne immer den Regeln der liberalen Demokratie folgen zu müssen. Davor habe ich Angst: einer neuer Eiserner Vorhang!

Der Premierminister hat betont, dass Polen eine stolze Nation sei und die polnische Karte eigentlich immer die europäische Karte sticht. Europa kann also sagen, was es will... 

Das ist ein totaler Widerspruch zu dem, was die EU eigentlich ausmacht. In vielen Bereichen muss man den Prinzipien, Regeln und Werten der EU folgen. Das ist ja gerade das Problem im Moment. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass eine Mehrheit der polnischen Bürger findet, dass auch Polen den europäischen Regeln und Werten folgen sollte. Wir haben kein Problem mit Polen oder den polnischen Bürgern oder dem polnischen Volk, sondern mit der Regierung in Polen, die denkt, weil sie die Mehrheit hat, könne sie tun und lassen, was sie will. Sie geht soweit, die Rechtsstaatlichkeit zu zerstören oder gewisse Menschenrechte zu verweigern. Dieses Vorgehen ist falsch. Auch eine Mehrheit im Parlament hat in einer Demokratie bestimmte Werte zu achten und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren.

Wenn man sich die Lage in Europa und den Aufstieg der rechten Extremisten zum Beispiel in Italien anschaut, sieht das recht gefährlich aus. Sollte man da tatsächlich jetzt diese Auseinandersetzung mit Polen suchen oder lieber vorsichtig sein?

Frankreich | Polens Prime Minister Morawiecki im Europaparlament in Strasbourg
Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki im EU-Parlament in StraßburgBild: Reuters/V. Kessler

Wir wollen keinen Streit mit Polen vom Zaun brechen. Die EU-Kommission fordert Polen lediglich ganz einfach auf, sich an die Werte der EU zu halten, wenn es um den Obersten Gerichtshof geht. Das wird ganz sicher auch von einer großen, großen Mehrheit der Polen unterstützt. Wir suchen folglich keinen Streit. Das Problem ist, dass die polnische Regierung sich weigert anzuerkennen, dass europäische Regeln auch für Polen gelten.

Ministerpräsident Morawiecki möchte anscheinend ein anderes Europa, in dem die Nationalstaaten Vorrang haben und die EU nur eine Art Wirtschaftsraum darstellt?

Mehr noch: Er denkt an eine Art Bankautomaten, aus dem er Geld bekommt. Es reicht nicht nur das Geld der EU zu mögen, man muss schon auch die Werte akzeptieren. Das eine geht ohne das andere nicht.

Wie lange kann man das durchhalten? Glauben Sie nicht, dass der wachsende Rechtsextremismus eine Bedrohung ist?

Doch, und deshalb meine ich, dass wir das im Europäischen Rat behandeln müssen. Es ist nicht ausreichend, dass nur die Europäische Kommission ein Verfahren wegen Vertragsverletzung anstößt und das Europäische Parlament darüber diskutiert. Und im Europäischen Rat, wo ja die Kolleginnen und Kollegen des polnischen Premiers versammelt sind, wird nichts gesagt. Wenn alle an einem Strang ziehen, bin ich sicher, dass Polen und sicherlich eine Mehrheit der Menschen dort, die europäische Werte akzeptieren und sich hinter sie stellen würden.

Guy Verhofstadt (65) ist Vorsitzender der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament. Von 1999 bis 2008 war Verhofstadt Ministerpräsident Belgiens.