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Verhärtete Fronten

17. November 2004

- Diskussion über doppelte Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn dauert an

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Budapest, 17.11.2004, PESTER LLOYD, deutsch

Die Volksabstimmung am 5. Dezember über die Vergabe der Staatsbürgerschaft an die Minderheitenungarn in den Nachbarländern wird immer heißer diskutiert. Die Regierungsparteien, die gegen diesen Vorschlag der Konservativen sind, stellen die zu erwartenden hohen Budgetbelastungen in den Vordergrund, während die Opposition diese abstreitet.

Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány stellte sich auf folgenden Standpunkt: sollte die Initiative bei der Volksabstimmung die erforderliche Mehrheit erhalten, müssten die Auslandsungarn dieselben Rechte erhalten wie die Bewohner des Mutterlandes. Sollten die rund 800.000 Minderheitenungarn (so viele hatten den von der Orbán-Regierung eingeführten "Ungarnausweis" erhalten) von den ihnen damit eröffneten rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, würde deren Erfüllung in gesundheitlicher und sozialer Hinsicht jeden ungarischen Erwerbstätigen mit Mehrausgaben in Höhe von 168.000 Ft. pro Jahr (etwa 700 Euro - MD) belasten. Nach Gyurcsány dürfe keine "Staatsbürgerschaft zweiter Klasse" eingeführt werden, neben Renten und Sozialleistungen würden die Ungarn aus den Nachbarländern auch das aktive und das passive Wahlrecht erhalten.

Der Ungarnausweis, der den Auslandsungarn diverse, allerdings begrenzte Begünstigungen im Mutterland zusichert, zieht ebenfalls Budgetausgaben in Höhe von sieben Mrd. Ft. nach sich. Regierungsangaben zufolge würden die verschiedenen Mehrausgaben im Unterrichts-, Gesundheits- und Sozialwesen sehr hohe Summen erfordern. Gleiches gelte für die Rentenkasse: mit Rumänien und der Ukraine sind Abkommen in Kraft, wonach nach Ungarn umgesiedelte Personen ihre Rente dort entsprechend des vergleichbaren ungarischen Standards ausbezahlt bekommen – womit sie viel höhere Summen beziehen können als in dem Land, in dem sie ihre Beiträge entrichtet und ihre Pensionsrechte erworben haben.

Oppositionsführer Viktor Orbán vertritt weiterhin die Ansicht, dass die Vergabe einer "ausländischen Staatsbürgerschaft" an die Minderheitenungarn keine Mehrausgaben für das Mutterland mit sich bringt. Seiner Meinung nach würden die Ungarn dadurch in ihrer Zugehörigkeit zur Nation gestärkt werden und so nicht ins Mutterland oder in den Westen auswandern. Das MDF (Ungarisches Demokratisches Forum – MD) unterstützt das Vorhaben ebenfalls.

Wieder Kleiner Grenzverkehr?

Die Regierung konzentriert sich offensichtlich auf Maßnahmen, vor allem den Ungarn in der Ukraine und Serbien zu helfen, die von der EU-Mitgliedschaft des Mutterlandes am stärksten betroffen sind. (Rumänische Staatsbürger können nunmehr frei in die EU-Länder einreisen.) Wie der zuständige Staatssekretär Vilmos Szabó dieser Tage auf einer Veranstaltung der Friedrich Ebert-Stiftung mitteilte, sei die Wiedereinführung des so genannten Kleinen Grenzverkehrs geplant: Personen, die jenseits der ungarischen Grenze bis zu einer Entfernung von 50 km wohnhaft sind, würden ein Sondervisum erhalten, das ihnen unbeschränkten Grenzübertritt und einen dreimonatigen Aufenthalt in Ungarn pro Halbjahr ermöglicht. In der Vergangenheit musste der Kleine Grenzverkehr allerdings eben wegen des einheitlichen Grenzregimes der EU abgeschafft werden – Szabó bestätigte, dass der Plan noch mit der EU abgestimmt werden müsse.

Bei der Veranstaltung übte László Kasza, Vorsitzender des Ungarnbundes der Vojvodina, scharfe Kritik an der Minderheitenpolitik der linksliberalen Regierung. Nach seinen Worten war deren Stellungnahme, die Doppelstaatsbürgerschaft nicht zu unterstützen, ein Schlag ins Gesicht der Minderheitenungarn. Kasza erinnerte daran, dass in der Zeit des Balkan-Krieges rund 50.000 junge ungarische Männer die Vojvodina verließen, um dem Militärdienst zu entfliehen.

Die serbische Politik sei darum bemüht, die Zahl der 300.000-köpfigen ungarischen Minderheit weiter bis in die Bedeutungslosigkeit zu senken. Psychischer und nun verstärkt auch physischer Druck werde ausgeübt, die von Ungarn bewohnten Ortschaften würden systematisch mit Serben aus Bosnien und dem Kosovo bevölkert. Da das Mutterland nichts für den Schutz dieser Minderheit tat, war diese gezwungen, um internationale Unterstützung anzusuchen. "Wir sind weder in Serbien noch in Ungarn willkommen", sagte Kasza, der übrigens auch stellvertretender Ministerpräsident Serbiens ist.

Staatsekretär Szabó erwiderte, dass es gelungen sei, mit den Serben eine gemeinsame Minderheitenkommission aufzustellen. Diese nehme ihre Arbeit Ende des Monats auf. Laut Szabó bestehe die einzige Lösung in der Frage der Minderheitenprobleme in einer schrittweise zu erreichenden Autonomie, an deren Ende die europäische Integration stehe. Anstatt unverantwortlicher Illusionen zu schaffen, wie es die Konservativen täten, müsse dies deutlich gesagt werden. (...) (fp)