1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verfolgte Schriftsteller und ihre Verlage

Holger Heimann24. August 2015

In Ländern wie China oder Iran stehen Schriftsteller, die sich keiner Zensur beugen wollen, immer mit einem Fuß im Gefängnis. Engagierte Verleger in freiheitlichen Ländern werden zu ihren Verbündeten.

https://p.dw.com/p/1GHES
Der chinesische Autor Liao Yiwu und sein Buch "Die Dongdong-Tänzerin und der Sichuan-Koch"
Der chinesische Autor Liao Yiwu und sein Buch "Die Dongdong-Tänzerin und der Sichuan-Koch"Bild: Lin Yuli

Persische Literatur ist ein Kernstück im Programm des kleinen P. Kirchheim Verlags aus München. "Mein Interesse gilt besonders Autoren, bei denen das Politische hervortritt, einer Literatur aus dem Iran, die das nicht ausspart", sagt der Verleger. Im September erscheint der neue Roman seines wohl prominentesten Autors, "Iranische Dämmerung" von Amir Hassan Cheheltan. In dessen iranischer Heimat gibt es das Buch nur in verstümmelter Form. Als es in Teheran als bestes Buch des Jahres prämiert werden sollte, verwahrte sich der Autor, der von den Eingriffen der Zensoren zunächst nichts wusste, deshalb vehement gegen eine solche Auszeichnung.

Erlernte Zurückhaltung

Sein vielleicht wichtigster Roman "Teheran Revolutionsstraße" wurde 2009 erstmals veröffentlicht – auf Deutsch. Eine norwegische Ausgabe gibt es mittlerweile und ein englischsprachiges E-Book. In Cheheltans Herkunftsland ist der Titel, der ein lebendiges Bild des nachrevolutionären Teheran zeichnet, hingegen nach wie vor nicht zu haben. Dabei hat sich der einstige Vorsitzende des Schriftstellerverbandes seines Landes Zurückhaltung angewöhnt. "Er ist sehr vorsichtig geworden und versucht, wie viele andere iranische Autoren auch, verstärkt im Ausland zu publizieren, wo ihn niemand behindert", sagt Peter Kirchheim.

Amir Hassan Cheheltan, 2009
Der iranische Schriftsteller Amir Hassan CheheltanBild: cc-by-sa-TH. Korr

Der Verleger will mit den Übersetzungen aus dem Persischen dazu beitragen, dass hiesige Leser ein differenzierteres, kompletteres Bild dieses großen Kulturlandes im Nahen Osten erhalten. "Die Berichterstattung erschöpft sich allzu gern in politischen Analysen und Betrachtungen, vor allem über die Versuche des Westens, den Iran zu hindern, eine Atombombe zu bauen. Aber es gibt ein hinter einem Schleier verborgenes, sehr westliches Leben", sagt er.

Buchcover "Teheran Revolutionsstrasse" von Amir Hassan Cheheltan
Buchcover "Teheran Revolutionsstrasse"Bild: P. Kirchheim Verlag

Der Gefährdungsfaktor

Der 1975 gegründete Unionsverlag lenkt mit seinen Publikationen unseren Blick von jeher auf ferne und uns fremde, nicht selten politisch heikle Weltgegenden. Das Motto des Verlags im Jubiläumsjahr heißt nicht umsonst: "Rund um die Welt in 40 Jahren". Unterdrücktes und Vernachlässigtes will Verleger Lucien Leitess ans Tageslicht bringen. Aber er sagt zugleich: "Wir wählen Bücher nicht nach ihrem Gefährdungsfaktor aus, sondern nach ihrer literarischen Bedeutung. Dabei stößt man unweigerlich auch in Weltregionen vor, wo Autoren, aber auch Journalisten und andere Menschen, in Gefahr sind."

Mahmoud Dowlatabadi
Der iranische Schriftsteller Mahmud Doulatabadi 2014Bild: Sara Dowlatabadi

Leitess hat heute berühmte, in ihren Heimatländern jedoch einst bedrohte und verfolgte Autoren publiziert: den von einem islamistischen Attentäter niedergestochenen, ägyptischen Nobelpreisträger Nagib Machfus, die ins Exil gezwungene Algerierin Assia Djebar, den mehrmals inhaftierten türkischen Romancier Yaşar Kemal, den auf eine Sträflingsinsel verschleppten indonesischen Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer. "Für solche Autoren ist man nicht nur Büchermacher und Verleger, sondern auch Verbündeter. Wir sind ein Stützpunkt des Autors", sagt Leitess.

Text auf Toilettenpapier

Dies ist der Unionsverlag heute auch für den Iraner Mahmud Doulatabadi, der in seiner Heimat als lebender Klassiker gilt. Erschienen ist in Zürich etwa sein Roman "Kelidar", den er unter dem Schah im Gefängnis auf Toilettenpapier schrieb. Später dann als Weltpremiere der Roman "Der Colonel", ein düsteres und erschütterndes Panorama der Zeit der islamischen Revolution unter Chomeini. Die iranische Zensurbehörde hatte Doulatabi seinerzeit wissen lassen, "Der Colonel" sei ein Meisterwerk, man könne unmöglich etwas streichen, das Buch aber selbstverständlich ebenso wenig veröffentlichen – so ist es bis heute geblieben.

Buchcover Mahmud Doulatabadi Der Colonel
Bild: Unionsverlag, Zürich, 2009

Manuskript konfisziert

"Chinas Gesellschaft von unten" zu porträtieren, das ist der Beweggrund, aus dem heraus Liao Yiwu seine Bücher mit literarisierten Interviews schreibt. Auch der vor drei Jahren mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Exilant will zeigen, was unter dem Deckmantel offizieller Propaganda zum Vorschein kommt. "Ich betrachte mich als ein Aufnahmegerät der Zeit und halte fest, was andere Menschen mir erzählen", sagt der Autor.

Die chinesische Führung steckte Liao Yiwu wegen "Verbreitung konterrevolutionärer Propaganda" vier Jahre ins Gefängnis. Die bitteren Hafterfahrungen hat der Inhaftierte nach seiner Freilassung festgehalten, doch sein Manuskript wurde rasch konfisziert. Die Mächtigen im Land gaben zudem klar zu verstehen, dass der Autor für eine Veröffentlichung zu büßen haben würde. Aber Liao Yiwu war fest entschlossen, nicht nachzugeben, und sein deutscher Verlag war es auch: "Er hat klar formuliert: Ich will, dass das Buch erscheint. Gleichzeitig sahen wir uns in der Verantwortung gegenüber dem Autor und durften ihn nicht gefährden. Das war eine enorm schwierige Situation", erinnert sich Fischer-Programmleiter Peter Sillem.

Cover von Liao Yiwus bekanntestem Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser"
Cover von Liao Yiwus bekanntestem Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser"

Flucht über Hanoi

Seit dem 2009 auf Deutsch erschienen Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser – Chinas Gesellschaft von unten" waren Autor und Verlag miteinander in Kontakt, zwei Jahre später wurde aus dem Miteinander eine konspirative Verbindung. Liao Yiwu floh aus seiner Heimat, der Weg führte über Vietnam. Der Fischer Verlag war in die Pläne eingeweiht und so saß Peter Sillem im Frankfurter Büro am Telefon als es am Flughafen Hanoi Schwierigkeiten gab. Nachdem die Ausreise schließlich glückte, nahm Sillem den Autor in Berlin in Empfang.

Noch 2011 erschien bei Fischer das Gefängnisbuch "Für ein Lied und hundert Lieder". Im Jahr darauf folgte "Die Kugel und das Opium" über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Derzeit arbeitet Liao Yiwu in Berlin an einem Roman. Zum ersten Mal in seinem Leben kann er ungehindert schreiben. Der Beginn der Zusammenarbeit mit dem Dissidenten ist für Sillem indes eine prägende Erfahrung geblieben: "Man wird sich einer Tatsache bewusst, die einem einfach nicht tagtäglich gegenwärtig ist: Wie wenig selbstverständlich es ist, dass Bücher erscheinen können. Wie existenziell Literatur sein kann, buchstäblich. Es ist ein großes Glück, einem Autor behilflich zu sein, ein Buch zu veröffentlichen, das eine mächtige Regierung vernichten wollte. Dieses Buch gibt es jetzt, dahinter kann niemand zurück!"

Buchcover Liao Yiwu Für ein Lied und hundert Lieder:
Buchcover "Für ein Lied und hundert Lieder"