1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Unterwegs mit Horst Köhler

1. Juni 2010

Zwölf afrikanische Länder hat Horst Köhler in seiner Amtszeit besucht. Immer mit dabei: Ute Schaeffer, Leiterin der Afrika-Redaktion der Deutschen Welle. Sie berichtet über ihre persönlichen Eindrücke vom "Afrikamann".

https://p.dw.com/p/NefB
Köhler in Ruanda (Bild: dpa)
Köhler in RuandaBild: picture-alliance/ dpa

Ich hätte nicht gedacht, dass das sein vorletzter öffentlicher Auftritt sein würde. In der Literaturmatinee sollte das von Horst Köhler herausgegebene Buch "Schicksal Afrika" vorgestellt werden und ich sollte die Diskussion mit dem Bundespräsidenten moderieren. Auf Schloss Bellevue hatte das Protokoll alles perfekt vorbereitet im großen Saal mit den großen Kissenbildern Graubners. Im Publikum: alle die, auf die sich Horst Köhler bei seiner Partnerschaft mit Afrika verlassen konnte. Aus dem Bundestag, den Stiftungen, aus den Botschaften der afrikanischen Partnerländer, Autoren, Künstler.

Der müde Horst Köhler

Köhler bei der Literaturmatinee (Bild: Ute Schaeffer)
Wirkte müde: Köhler bei der LiteraturmatineeBild: DW/Ute Schaeffer

Rückblickend hätte mir manches stärker auffallen können:

Dass Horst Köhler abgespannt wirkte, manchmal abwesend schien. Dass er diesmal nicht das Vorgespräch für einen längeren Austausch mit den Teilnehmern aus Afrika nutzte. Dass er auch bei Scherzen erst einen kleinen Moment der Überwindung hatte, bevor er mit den anderen lachte. Rückblickend ist mir auch klar, warum Köhler auf die Frage "Werden Sie das Thema Afrika in Ihrer zweiten Amtszeit genau so intensiv verfolgen wie in der ersten?" nur sehr ausweichend antwortete. Warum er zwar allgemein Bereiche ansprach für die er sich persönlich im Verhältnis zu Afrika engagieren wolle, aber nicht explizit auf die eigentlich für das kommende Wochenende geplante Reise nach Burkina Faso einging. Horst Köhler war müde, das war nicht zu übersehen.

Amtsantritt mit viel Energie

Kein Vergleich zu 2004, als er – gerade neu im Amt – seine erste Afrikareise antrat. Gutgelaunt begrüßte er die mitreisenden Gäste und begann seine Auslandsreisen ausgerechnet dort, wo manche sogenannte Außenpolitiker das Ende der Welt vermuten. Dort, wo angeblich nichts geht: im ärmsten Land weltweit, in Sierra Leone. Mit UN-Hubschraubern statt mit Limousinen und Bussen flog die deutsche Delegation durchs ganze Land. Der Bundespräsident immer vorweg – nicht nur was die Wagenfolge anging – sondern auch in Sachen Kondition, Aufmerksamkeit, Neugier für die Herausforderungen eines Landes, das die Weltöffentlichkeit weitgehend abgeschrieben hatte.

Kein Berufspolitiker

Horst Köhler war begierig zu lernen, zu verstehen, was die Welt in der Globalisierung zusammenhält, was die Entwicklungsunterschiede der entwickelten und der unterentwickelten Regionen ausmacht. Er wurde ungeduldig, wenn er sich nicht genügend vorbereitet sah, wenn deutsche Journalisten selbst im tiefsten Afrika nur nach innenpolitischen Themen fragten. Horst Köhler sah man das an. Und ihm fehlte die Eigenschaft der Berufspolitiker über jedes Thema eine Sprechschablone zu legen. Ein Bundespräsident, der rhetorisch nicht überspielen konnte, was ihn als Mensch berührte. Der sich seine Empfindlichkeit bewahrte: seine moralische Empörung und seine Fassungslosigkeit, wenn es um Themen wie die Beschneidung von Frauen ging, um die Rechtlosigkeit für Straftäter aus Bürgerkrieg und Genozid. Sein herzliches Mitgefühl, wenn er spontan kleinen Projekten in Afrika einen Kopierer zusagte, obwohl der doch im afrikanischen Staub sein baldiges Ende findet. Seine große und ehrliche Bewunderung für die, die sich engagieren: die unerschrockene Leiterin der Wahlkommission in Sierra Leone, für die afrikanischen Frauen, die sich selbst in Mikrokreditsystemen organisieren, und so ihr kleines Business anstoßen. So ungeduldig Horst Köhler intellektuell sein konnte, so geduldig und behutsam war er in der Begegnung mit seinen afrikanischen Gesprächspartnern.

Kölscher Rock in Freetown

Eva-Louise Köhler bei der Reise nach Sierra Leone (Bild: dpa)
Eva-Louise Köhler bei der Reise nach Sierra LeoneBild: dpa

Das passt nicht zum strengen repräsentativen Korsett des Amts, das ihn manchmal auch zu strapazieren schien. Köhler erlaubte sich und seinen Mitreisenden ab und zu, diese Spielregeln spontan zu durchbrechen. Ich werde nie vergessen, wie das Abendessen im damals einzigen großen Hotel von Freetown zu einem Open-Air-Konzert wurde. Horst Köhler - sichtbar begeistert und völlig entspannt - mit seiner Frau in der ersten Reihe. Und vorn an der Gitarre der Kölner Bap-Frontman Wolfgang Niedecken. Nun müsse Wolfgang Niedecken ihm zuliebe noch einen Bob Dylan-Song spielen, wünschte sich Köhler. Um es kurz zu machen: Der Abend ging noch eine ganze Weile, während in tropischer Hitze abwechselnd kölscher Rock und amerikanischer Folk gespielt wurden. Und nicht vergessen werde ich die entgleisten Gesichter etlicher afrikanischer Gäste und deutscher Protokollvertreter beim Staatsbankett in Ghana. Dort forderte ein ghanaisches Mannequin den Bundespräsidenten zum Tanz, dem Ehepaar Klose juckte es ebenfalls in den Füßen und kurzerhand war die gesamte, eben noch steif platzierte Festgesellschaft auf den Füße. An den Instrumenten: Peter Eigen von Transparency International und – natürlich: Wolfgang Niedecken an der Gitarre.

Ungeschicktes Interview

Köhler war ehrgeizig, überaus belesen, hatte ein immenses Wissen über die Koordinaten der globalen Politik und Weltwirtschaft. Er hat dieses Wissen aber nicht mit der nötigen rhetorischen Präzision zu Botschaften und Anstößen gemacht. Auf einfache Fragen hatte Köhler zumeist keine einfachen Antworten. Dachte schon weiter und sprang bereits zu einem anderen Thema. Seine Äußerung zu Afghanistan braucht zehn (!) Kommas, damit der Sinn und die Abfolge der Gedanken erkennbar wird. Und natürlich hat er nicht Afghanistan gemeint, sondern war gedanklich längst bei der Kontrolle der Seewege am Horn von Afrika durch Europa.

Köhler in Mosambik (Bild: dpa)
Auch mal unkonventionell: Köhler in MosambikBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Köhler hätte dieses Interview – übermüdet wie er war, im dröhnenden Flugzeuglärm - nicht geben sollen. Ein klares "Nein" wäre besser gewesen. Ein Berufspolitiker hätte diese Gefahr vielleicht gesehen. Dass Köhler deswegen allein zurückgetreten ist, daran glaube ich nicht. Was ihn am meisten traf, war wohl die Kritik aus dem Bundestag, die ihm unterstellte, er würde Auslandseinsätze befürworten, die nicht durch das Grundgesetz gedeckt seien. Nichts, was dem genauen, dem so prinzipiellen Horst Köhler ferner gewesen wäre. Dass er dann keine klare Unterstützung von Seiten der Kanzlerin, der Bundesregierung bekam, dass hat ihn menschlich tief gekränkt. Das hat Köhler als Zumutung empfunden. Sein Rücktritt ist ein Beleg dafür, dass ein politisches Amt Menschen überfordern kann. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für Horst Köhler, wie manche Kommentatoren meinen, es ist auch ein Armutszeugnis für die politische Kultur, die uns umgibt.

Autorin: Ute Schaeffer

Redaktion: Christine Harjes