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Gesellschaft

Tödliche Hochschulrivalität in Bangkok

Julian Küng aus Bangkok
5. Dezember 2018

Rivalität zwischen Hochschulen - man denke nur an Cambridge und Oxford - ist nichts Ungewöhnliches. Morde gehören aber normalerweise nicht dazu, außer in Thailand. Julian Küng berichtet aus Bangkok.

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Thailand Rajamangala University of Technology
Bild: DW/J. Küng

Messerstechereien, Schießereien und Prügeleien mitten im Zentrum von Bangkok. Nur ein Steinwurf von Touristen-Zentren wie dem Siam Square und dem Einkaufszentrum MBK entfernt spielt sich ein blutiger Bandenkrieg ab. Aber nicht etwa Drogenbarone oder Menschenhändler kämpfen hier um "ihre" Gebiete, sondern Studenten der beiden Universitäten "Uthenthawai" (Artikelfoto) und "Pathumwan". Sie liefern sich schon seit 70 (!) Jahren tödliche Auseinandersetzungen. Als jüngstes Opfer der bizarren, weil kaum nachzuvollziehenden Gewalt, war am 12. Oktober der 24-jährige Student Kamonwich zu beklagen. Er half am Imbiss-Herd seiner Mutter aus, als ihn eine Salve von Pistolenschüssen tödlich am Kopf traf, mitten auf dem Marktplatz im Viertel Bang Kapi in Bangkok.

Sein Pech: Er war Student an der "Uthenthawai"-Universität und für die Todesschützen als Aushilfe auf dem öffentlichen Markt ein leicht zu treffendes Ziel. Die Polizei verhaftete drei mutmaßliche Täter. Allesamt Studenten der "Pathumwan"-Universität, welche "Rache" nehmen wollten. Rache für ihren verstorbenen Kommilitonen Thanit, welcher wiederum von "Uthenthawai"-Studenten erstochen worden war. "Wir hatten kein persönliches Problem mit Kamonwich. Wir wollten es den Uthenthawai-Studenten zurückzahlen", erklärten sie kurz nach ihrer Festnahme unumwunden gegenüber der Polizei.

Logo der Pathumwan-Studenten
Das "goldene Zahnrad" - Stolz der Studenten der Pathumwan-Hochschule Bild: DW/J. Küng

Tödliche Rivalität mit Tradition

Die "Rajamangala University of Technology Uthenthawai" wie auch das "Pathumwan Institute of Technology" sind sogenannte "vocational colleges", technische Fachhochschulen für angehende Mechaniker oder Elektriker, hauptsächlich Studenten aus ärmeren Verhältnissen studieren hier. Beide Schulen wurden in den 1930er Jahren gegründet und beide Seiten behaupten seit jeher, die erste technische Ausbildungsstätte Thailands zu sein.

"Schon mein Großvater war als Student der Uthenthawai an dem Konflikt beteiligt, und das ist schon über 60 Jahre her", sagt Anwohnerin Name Tepsrimuang der DW. "Bereits damals brauchte man als Student flinke Beine, hat er erzählt, um von den feindlichen Studenten davonzurennen."

Die Sozialwissenschaftlerin Nualnong Wongtongkam von der australischen Charles Sturt Universität hat über den Studentenkrieg geforscht. Das Tatmotiv sei fast immer Vergeltung: "Rache ist eines der Hauptmotive hinter den Attacken. Auch besteht bei den Studenten eine starke innere Bindung an ihre Universität. Die Verehrung, der Stolz und der gemeinsame Respekt für ihre Schule verbindet die Studenten ungemein. Die Tatsache, dass sie die meiste Zeit auf dem Campus verbringen, verstärkt diese emotionale Bindung."

Thailand Rajamangala University of Technology | Gürtelschnalle der Uthenthawai-Studenten
Gürtelschnalle mit dem Motto "Uthentawai wird nie sterben" Bild: DW/J. Küng

Einschusslöcher in der Fassade

Vor Ort deutet auf den ersten Blick wenig auf einen Studentenkrieg hin. Vor dem Universitätsgebäude glänzt das goldene Emblem der "University of Technology Pathumwan". Studenten eilen mit Büchern beladen über den Campus. Beim zweiten Blick fallen allerdings Einschusslöcher weit verteilt über die Glasfassade des Eingangs auf. Jede Ecke des Geländes ist videoüberwacht. Sicherheitskräfte bewachen den Campus: "Ohne Erlaubnis können sie die Universität nicht betreten", wird der DW-Reporter ermahnt. "Eine Erlaubnis kann frühestens nächstes Jahr erteilt werden."

Bis zur "verfeindeten" Uthenthawai-Universität ist es nur ein kurzer Fußweg. Auch hier ist die Stimmung angespannt: "Hier wird nicht fotografiert!", sagt der Sicherheitsmann nervös, zeigt mit hastigen Handbewegungen Richtung Ausgang. Nachfragen unerwünscht. Nur wenige möchten über den Konflikt sprechen. "Aber nur wenn du meinen Namen nicht nennst", sagt Student Pong (fiktiver Name) als Bedingung für ein DW-Interview. "Sobald man auf rivalisierende Studenten trifft, knallt‘s. Das war schon immer so", sagt er. Denn Uthenthawai ist für die Studierenden weit mehr als nur eine Bildungsstätte. Es herrscht eine starke Brüderschaft. Ihr Territorium nennen sie die "Blue Zone", angelehnt an die traditionellen blauen Universitätsfarben.

Ihre Gegner erkennt man am "Gold Gear", einem goldenen Zahnrad, das für die Brüderschaft Pathumwan steht. Mit eingestanzten Gürtelschnallen zeigen sie Solidarität mit ihrer Universität. Ihr Emblem tragen sie stolz auf Hemden und Shirts. Manche haben den Schriftzug ihres Technikums sogar unter die Haut tätowiert. Das Emblem öffentlich zu tragen kann aber gefährlich werden: "Viele Studenten wechseln ihr Hemd oder verstecken die Gürtelschnalle in der Hosentasche, bevor sie den Campus verlassen. Denn wenn man von den Gegnern erkannt wird, folgt sofort ein Angriff", sagt Pong. "Dies gilt für beide Seiten."

Thailand Pathumwan Institute of Technology
Einschusslöcher am Gebäude der Pathumwan-Universität Bild: DW/J. Küng

Unselige "Tradition" sitzt tief

So wie im August letzten Jahres, als einem Uthenthawai-Studenten in den Bauch gestochen wurde, auf einem Gehweg zur Skytrain-Haltestelle "National Stadium". Der 20-Jährige starb an den schweren Bauchverletzungen. Oder drei Jahre zuvor, als Pathumwan-Jünger einer Studentin wortlos in den Kopf schossen, als sie im Einkaufsviertel Siam Square auf ihren Bus wartete. Zwei Monate später wurden zwei Pathumwan-Studenten mit Revolverschüssen ermordet, um die "Ehre wieder herzustellen". Bei darauf folgenden Razzien in beiden Universitäten stieß die Polizei auf Waffenlager. Mehrere Dutzend Messer, Pistolenkugeln, schusssichere Westen und Utensilien  zum Bau von Splitterbomben wurden sichergestellt. Die Studienleitung bedauerte die Vorfälle und versicherte, mit den Behörden zu kooperieren. Nach Gesprächen mit dem Bildungsministerium und der Stadtpolizei wurde die Pathumwan-Universität für eine Woche geschlossen.

Die Behörden haben schon vieles versucht, um dem Bandenkrieg ein Ende zu bereiten. Studenten wurden in militärähnliche Ausbildungslager geschickt, Meditationskurse und Anti-Agressionstherapien ins Leben gerufen. Sogar eine Zeichensprache hat die Bangkoker Polizei entwickelt, um die Feindseligkeit der Schüler abzubauen: Mit herzförmigen Armbewegungen sollten die Studenten ihren Gegnern bereits aus sicherer Entfernung die Animosität nehmen. So die Strategie von Mahathavorn, dem damaligen Chef der Stadtpolizei Bangkok, welche bei den Studenten kaum Anklang fand. Stattdessen wird die Feindschaft immer verbissener, erzählt ein Uthenthawai-Student, der kürzlich seine Ausbildung abgeschlossen hat: "Sobald sich neue Studenten einschreiben, sammelt die Gegenseite Informationen über die Neuankömmlinge, um bei einem allfälligen Vergeltungsschlag vorbereitet zu sein."

Auch Sozialwissenschaftlerin Nualnong Wongtongkam glaubt nicht, dass die alte Feindschaft bald enden wird. Die Rachespirale sei nur schwer zu durchbrechen: "In der thailändischen Kultur wird einem früh beigebracht, Älteren Respekt zu zollen und sich unterzuordnen. Entsprechend passen sich die neuen Studenten den Alteingesessenen an, nehmen an Kämpfen teil, ohne diese Aktivitäten zu hinterfragen."