Tschechien: Prager Sozialleben unter der Erde
14. September 2007DJ Sayuz ist stolz, in einem der neuen In-Läden von Prag hinter dem Plattenteller zu stehen: "Das ist ein ganz besonderer, trendiger Ort und die Leute kommen, um sich zu amüsieren." Die "Location" ist nicht einfach zu finden. Eine kleine Tür in einer riesigen Betonmauer, ein Pfeil mit der Aufschrift "Amigo". Recht schwierig zu erkennen nach Einbruch der Nacht. Aber rein zufällig landet man sowieso nicht im Anti-Atom-Bunker von Parukarka - man muss schon mit Eingeweihten herkommen.
An den Aufstieg denken!
In die Beton-Gewölbe des Hügels gelangt man durch eine beeindruckende Feuertür. Über eine Wendeltreppe beginnt dann ein minutenlanger Abstieg. Für die Rückkehr sollte man sich vornehmen, unten nicht zu viel Alkohol zu trinken, damit man den Aufstieg später noch schafft. Erste Überraschung: neben der Beton-Treppe wird gerade eine Kletterwand installiert. Einige Stufen weiter hört man erste Geräusche. Heute besteht der erste Teil des Abends aus einer Dichterlesung und dem Konzert eines Pianisten aus Sri Lanka.
Der Anti-Atom-Bunker von Parukarka wurde 1955 angelegt und ist ein richtiges Labyrinth unter dem gleichnamigen Park im 3. Bezirk von Prag. Der Teil, der seit Anfang des Jahres für Ausstellungen, Partys und Konzerte zugänglich ist, stellt nur ein Sechstel der riesigen Anlage dar.
Michal Tesinsky alias Mikky ist der Initiator des unterirdischen Projekts. Für die Umsetzung hat er mehr als drei Jahre mit den Behörden verhandeln müssen: "Am schwierigsten war es, die Baugenehmigung zu bekommen. Die EU-Normen zu erfüllen war ziemlich kompliziert. Einfacher wäre es gewesen, alles abzureißen und neu zu bauen! Dann hat es noch ein Jahr gedauert, die Genehmigung von der Feuerwehr zu erhalten. Ich habe andere Bunker weiter hinten angemietet, um einen Notausgang zu haben. Das war das größte Problem."
Im Kriegsfall bitte räumen
Die Miete, die Mikky an die Stadt Prag zahlt, ist eher symbolisch: rund 500 Euro im Monat. Allerdings müssen die Mieter im Bedarfsfall - also Kriegsfall - die Räumlichkeiten schnell zurückgeben. "Im Mietvertrag ist festgelegt, dass die Räumlichkeiten innerhalb von 48 Stunden im Urzustand verlassen werden müssen. Aber ich habe der Verwaltung geschrieben, dass es im Falle eines Krieges besser wäre, gemütliche Räume wie diese zu haben. Besser als nackter Beton. Ich habe noch keine Antwort bekommen, aber ich habe darum gebeten, eine Ausnahme zu machen", sagt Mikky.
Der kletterbegeisterte Tscheche installiert entlang der Treppe schon mal eine Kletterwand von 18 Metern Länge. Mit der Bar, dem Flipper und einem Tischfußball-Spiel ähnelt der Bunker einer normalen Kneipe - nur ohne Fenster. Zwei Räume mit unterschiedlichen Bühnen können zusammen etwa 250 Personen fassen.
Sturmfreie Bude
Für den Tontechniker Jarda Svejc hat der Bunker von Parukarka einen nicht zu leugnenden Vorteil gegenüber allen anderen Clubs der Stadt: die Schallisolierung. "In Prag gibt es zurzeit ein Problem mit den Öffnungszeiten. Viele Clubs müssen ihre Konzerte wegen der Beschwerden der Anwohner um 22 Uhr beenden. Hier im Bunker haben wir dieses Problem nicht, wir können die ganze Nacht soviel Krach machen, wie wir wollen. Der Nachteil ist, dass der Club sehr klein ist und weit unter der Erde liegt, aber gleichzeitig ist das auch das Interessante."
Der Eintritt ist frei oder beträgt nur eine symbolische Summe. Die Räumlichkeiten werden auch Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung gestellt. Amnesty International hat hier eine Veranstaltung über Myanmar durchgeführt. Und es hat schon Paare gegeben, die im Bunker von Parukarka ihre Hochzeit gefeiert haben.
Der Ort wirkt sowohl auf die Prager als auch auf die Touristen anziehend. Auch Thierry war neugierig - ein Kanadier, der in der Ecke der Bar sein Bier trinkt: "Ich wohne nebenan und bin hergekommen, um mich mal umzuschauen. Ich werde mit Freunden wiederkommen. Ich kannte nur die Bar oben auf dem Hügel und wusste gar nicht, dass es darunter Luftschutzräume gibt. Ich finde es eine gute Idee, hier Konzerte zu veranstalten. Um die Sicherheit mache ich mir keine Sorgen, ich bin nur ein bisschen klaustrophobisch. Aber im Moment geht es."