Fußball und Technik
4. Februar 2011Es ist Samstagnachmittag, kurz vor 14 Uhr, in der Zweiten Liga wird schon gespielt. Die Redakteure der ARD-Sportschau blicken gespannt auf die vielen Fernseher, welche die Bilder aus den Stadien liefern. In einem kleinen Nebenraum mit viel Technik sitzen die Kollegen der "virtuellen Grafik". Aus Bielefeld kommt eine Anfrage. Der Reporter vor Ort möchte gern wissen, aus wie vielen Metern ein Freistoßtor erzielt worden ist. "Der Freistoß war aus einer Entfernung von 27 Metern", antwortet Frank Goldenstein. "Wir machen euch die Grafik fertig."
Goldenstein hat heute die redaktionelle Aufsicht der ARD-Sportschau über die virtuellen Grafiken, die an die Reporter in den Bundesligastadien übermittelt werden. 27 Meter Torentfernung - diese Zahl hat David Abend ausgerechnet. Der Mitarbeiter der Firma Impire AG sitzt vor mehreren Monitoren und ist dafür zuständig, die virtuellen Grafiken auf die aus den Stadien gelieferten Bilder zu setzen. Am häufigsten wird die Abseitslinie bestellt - also die Linie, die beweist, ob sich ein Angreifer im Moment der Ballabgabe in einer Abseitsposition befindet oder nicht. Dafür braucht er in der Regel nicht mehr als fünf Minuten. "Es gibt aber natürlich auch knifflige Situationen. Zum Beispiel, wenn man den vorletzten Verteidiger nicht sieht, oder ein Knäuel von Spielern zu sehen ist."
Die Abseitslinie gilt schon als Standard
Bisher haben die Mitarbeiter der Firma noch jede Szene auflösen können. Neben Abseitslinien und Abstandsmessungen gibt es noch die Möglichkeit, Schuss- oder Laufgeschwindigkeiten zu berechnen oder mithilfe von "Lupen" in das Bild hereinzuzoomen und zum Beispiel Handspiele aufzulösen. Doch in über 90 Prozent der Fälle fragen die Reporter nach der Abseitslinie. "Natürlich entlarvt die Abseitslinie auch viele Fehlentscheidungen der Schiedsrichter", sagt Patrick Krapp, Leiter der Impire-Sendegrafik der Sportschau in Köln. Doch manches Mal müsse man selbst mit der Linie zwei Mal hinschauen, um zu einer Entscheidung zu kommen - die Schiedsrichter haben diese Möglichkeit natürlich nicht.
Mittlerweile werden virtuelle Techniken bei allen Sendern, die Fußball übertragen, eingesetzt. "Das Ziel ist, auf das reale Bild im dreidimensionalen Raum diese Analysen zu machen und das auch noch live", erklärt Krapp. Dabei soll im Live-Spiel im dreidimensionalen Raum zum Beispiel eine Abseitssituation aufgelöst werden.
Tor oder nicht Tor?
Viel einfacher und weniger abstrakt ist ein anderes Produkt, das die Firma Cairos entwickelt hat: der Chip im Ball. Er soll nur eine einzige Frage klären: Tor oder nicht Tor? Der Chip wäre damit ein wichtiges Instrument für den Schiedsrichter, sagt Eugen Strigel, Mitglied der DFB-Schiedsrichterkommission. "Wir würden uns freuen, wenn dieser Chip im Ball käme. Die Torentscheidung ist schließlich die wichtigste Entscheidung im Fußball."
Die Hersteller versprechen hundertprozentige Sicherheit in der Torfrage. Die Technik sei ausgereift. An der Strafraumgrenze und hinter dem Tor werden dünne Stromkabel verlegt, die ein Magnetfeld erzeugen. Sobald sich der Ball im Strafraum befindet, misst er dieses Magnetfeld und sendet Daten an ein Computer-System. Dieses System entscheidet anhand dieser Messwerte, ob der Ball die Torlinie überschritten hat oder nicht, erklärt Cairos-Pressesprecher Oliver Braun. "Wenn er sie überschritten hat, wird innerhalb von einer halben Sekunde ein Signal an den Schiedsrichter geschickt." Der empfängt auf seiner Uhr die Nachricht "Goal" oder ein Piepsen – je nachdem, was er wünscht.
Alle 15 Spielbälle bei einer Bundesliga-Partie würden mit einem Chip ausgestattet, wenn die Reform käme. Die Kosten sollten sich an den jeweiligen Schiedsrichterkosten orientieren, damit sich auch ärmere Ligen das System leisten könnten, sagt Braun. "In Deutschland kosten die Schiedsrichter pro Spiel knapp 10.000 Euro. Die deutsche Liga zahlt dann dementsprechend mehr, hat auch mehr Einnahmen durch Sponsoren oder TV-Gelder." Eine Liga in Osteuropa würde dann dementsprechend weniger zahlen müssen. "Aber prozentual zahlen sie alle gleich."
Wembley-Tor(e) endgültig Vergangenheit?
Trotz eines erfolgreichen Tests des Chips bei der Klub-WM 2007 in Japan lehnt die FIFA den Chip im Ball aber weiter ab. "Zu viel Technik", lautet die Begründung, der Fußball lebe schließlich auch von Fehlentscheidungen. Dafür werden jetzt bei internationalen Spielen Torrichter eingesetzt. Ganz vom Tisch ist der Chip aber nicht. Bei der WM in Südafrika gab es zu viele krasse Fehlentscheidungen - die prominenteste das nicht gegebene Tor von Frank Lampard im Achtelfinale England gegen Deutschland.
Und so ist die Diskussion um den Chip im Ball alles andere als beendet - im März kommt sie bei der FIFA wieder auf den Tisch, bestätigt Strigel. Dann trifft sich der International Football Association Board (IFAB), das höchste Regelüberwachungsgremium der FIFA. Noch vor der WM hatte der Weltverband das System komplett auf Eis gelegt. "Wie schnell sich die Dinge ändern können", wundert sich Braun: "Nun will man sich doch noch mal mit dieser Technik befassen. Frank Lampard hat durch seinen Lattenschuss die Tür wieder aufgeschlossen."
Autorin: Olivia Fritz
Redaktion: Stefan Nestler