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Tod eines Nigerianers in Deutschland

21. Mai 2010

Zwei junge Frauen werden massiv bedroht. Ein junger Nigerianer will helfen und stirbt dabei. Eigentlich ein beeindruckender Fall von Zivilcourage. Doch das Interesse von Medien und Politik ist erstaunlich gering.

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Sarg von Emeka Okoronkwo wird auf den Friedhof getragen (Foto: Jan-Philipp Scholz)
Trauerfeier von Emeka Okoronkwo - der Nigerianer starb, als er helfen wollteBild: DW

Es wird still, als der nigerianische Chor zu singen beginnt. Besonders viele junge Menschen sind auf den Friedhof von Langen gekommen, einer Kleinstadt in Hessen. Sie nehmen Abschied von Emeka Okoronkwo.

"Ein richtiger Gentleman"

Blumen und andere Gegenstände am Todesort von Emeka Okoronkwo (Foto: Jan-Philipp Scholz)
Die Blumen am Tatort im Frankfurter Bahnhofsviertel verwelken langsamBild: DW

Der Nigerianer starb vor zwei Wochen im Frankfurter Bahnhofsviertel. Er wollte zwei Frauen helfen, die von fremden Männern bedrängt wurden. Emeka Okoronkwo griff ein und stellte sich schützend vor die beiden Frauen. Daraufhin zog einer der Männer, ein 34-jähriger Eritreer, ein Messer und stach dem Nigerianer in die Brust. Ein paar Stunden später starb er im Krankenhaus. Sein bester Freund Kareem Kennedy erinnert sich an den Morgen danach, als er den Anruf bekam, dass Emeka tot sei: "Natürlich war das ein Schock, aber als danach die Erklärung kam, dass er zwei Frauen beschützt hat, dann war klar: das ist Emeka. Er war immer ein richtiger Gentleman und hat Frauen sehr respektiert."

Im Politikerdeutsch galt Emeka Okoronkwo als "gesellschaftlich gut integriert". Vor kurzem hatte er im Frankfurter Kolpinghaus eine Ausbildung zum Restaurantfachmann angefangen. Sein großes Ziel war, eines Tages in einem Nobelhotel zu arbeiten. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Als Kind hatte er mit seiner Mutter Nigeria verlassen – für ein besseres Leben in Deutschland. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis er sich in seiner neuen Heimat zuhause fühlen konnte. "Andere Kinder haben am Anfang öfters mal Scherze gemacht, als sein Deutsch noch schlecht war. Er hat es ihnen aber nie übelgenommen", sagt Kareem Kennedy. Stattdessen habe Emeka mitgelacht und sich angestrengt, schnell seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Er habe eine Gabe gehabt, trotz aller Probleme die Dinge locker zu sehen und optimistisch zu bleiben, so sein bester Freund.

Verhaltene Reaktionen

Emeka als Kind mit Freunden (Foto: Jan-Philipp Scholz)
Als 8-jähriger kam Emeka nach Deutschland - für ein besseres LebenBild: DW

Selbst bei Streit hat Emeka immer versucht entspannt zu bleiben, erzählen seine ehemaligen Mitschüler. Zugeschlagen hat er nie, stattdessen versuchte er zu vermitteln und für Schwächere einzutreten. Dabei hatte ihn besonders ein Mann beeindruckt, dessen Schicksal stark an sein eigenes erinnert: Dominik Brunner. Vergangenen Sommer kam der Münchener Manager Kindern zu Hilfe, als sie in der S-Bahn von Jugendlichen bedroht wurden. Auch er starb dabei. Kareem Kennedy erinnert sich, dass sein Freund ihm ausführlich von dem Fall erzählt hatte: "Emeka hat schon damals gesagt: 'Wow, der Mann hat sein Leben geopfert. Ich glaube nicht, dass ich so mutig wäre, ich bin da eher so ein Angsthase.' Er musste uns leider etwas anderes beweisen."

Und doch ist der Fall Emeka anders als der Fall Brunner. Nach dem Tod des Münchener Managers waren die Reaktionen im ganzen Land überwältigend: Die Bundeskanzlerin sprach nach zwei Tagen ihr Beileid aus, eine große deutsche Boulevardzeitung titelte "Der Held von München", während der Trauerfeier standen minutenlang alle Busse und Bahnen still.

Zettel mit Foto von Emeka (Foto: Jan-Philipp Scholz)
"Ruhe in Frieden" - ein Zettel am TodesortBild: DW

Am Ort, an dem Emeka Okoronkwo starb, geht auch während seiner Trauerfeier alles seinen gewohnten Gang. Ein paar inzwischen verwelkte Tulpen und Grablichter neben einem grauen Sicherungskasten erinnern an den Tatort. Ansonsten liegt ein seltsamer Schleier über dem Fall. Auch in einer Bar in Sichtweite des Tatorts sind die Gäste mit anderen Themen beschäftigt. Es gebe doch wirklich wichtigere Probleme, so ein älterer Herr. So ein Vorfall rege "doch niemanden mehr auf". Eine junge Frau stimmt zu: "Ich habe in letzter Zeit sehr viel gearbeitet, da habe ich mich nicht mit so etwas beschäftigt."

Ähnliche Fälle – andere Maßstäbe

Nicht nur viele Bürger, auch die Politik reagiert merklich zurückhaltend auf den Fall. Die Oberbürgermeisterin Frankfurts lässt mitteilen, sie könne aus Termingründen leider nicht an der Beerdigung Emekas teilnehmen. Erst als ein Taxifahrer als weiterer Zeuge die bereits bekannten Fakten bestätigt, entschließt sich kurzfristig Bürgermeisterin Jutta Ebeling, stellvertretend an der Trauerfeier teilzunehmen. Dabei wirbt sie um Verständnis für das zögerliche Vorgehen des Rathauses: "So einen Vorfall, der auch noch mitten in der Nacht passiert ist, muss natürlich erst einmal genau untersucht werden", so die Bürgermeisterin.

Gegen den Vorwurf, dass in den Fällen Emeka und Brunner mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen werde, wehrt sich die Bürgermeisterin. Für sie war es eine Ausnahme, dass Dominik Brunner im Spätsommer 2009 eine solche politische Aufmerksamkeit erhielt: "Der wurde doch in erster Linie für den Wahlkampf instrumentalisiert."

An die guten Zeiten erinnern

Zwei Afrikanerinnen tragen sich in das Kondolenzbuch von Emeka Okoronkwo ein (Foto: Jan-Philipp Scholz)
Viele Afrikaner sind unter den Trauergästen bei Emeka Okoronkwos BeerdigungBild: DW

Zivilcourage als Wahlkampfschlager. Manche Kritiker sehen aber auch andere Gründe für die zögerlichen Reaktionen von Medien und Politik. So geschah die Tat nicht in einem schicken Villenvorort wie im Fall Brunner, sondern in einem bekannten Problembezirk. Und sowohl die Täter als auch das Opfer kamen aus dem Ausland.

Auch Frankfurts SPD-Vizechef Eugen Emmerling glaubt, dass diese Tatsachen bei der Bewertung von Emekas Verhalten eine Rolle spielen. Mit seinem Antrag, dem Nigerianer nachträglich eine Bürgermedaille zu verleihen, ist er bis jetzt noch nicht weit gekommen. "Wir sollten aufpassen, dass wir Menschen unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung würdigen", so der Frankfurter Oppositionspolitiker.

Emeka selbst hätte die ganze politische Debatte wahrscheinlich so locker genommen wie die meisten anderen Dinge in seinem Leben, meint sein Freund Kareem Kennedy. Er hätte sich wohl einfach gefreut, dass zu seinem Abschied so viele Menschen auf den Langener Friedhof gekommen sind, um ihn auf seinem letzten Gang von der kleinen Kapelle zum Grab zu begleiten. "Er will mit Sicherheit, dass wir uns an die guten Zeiten mit ihm erinnern, dass wir weiterhin über seine Witze lachen. Vor allem will er aber, dass wir als Menschen – egal welcher Nationalität oder Religion – zusammenkommen und uns gegenseitig helfen."

Autor: Jan-Philipp Scholz

Redaktion: Katrin Ogunsade