1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Militär will weiter Atomkraft

4. September 2018

Die Atomkraft verliert weltweit an Bedeutung. Der Strom aus neuen Reaktoren ist zu teuer, und auch alte Reaktoren werden unrentabel und so zum Problem. Aber warum gibt es trotzdem Interesse am Fortbestehen der Technik?

https://p.dw.com/p/34HXF
Frankreich Atomkraftwerk Cattenom
Bild: picture-alliance/dpa/Karaba

Der globale Trend ist eindeutig: Seit Jahren stagniert der weltweite Neubau von Atomkraftwerken auf niedrigem Niveau. 

Nach Angaben des aktuellen World Nuclear Industry Status Reports gingen im letzten Jahr nur vier Atomreaktoren mit einer Leistung von 3,3 GW ans Netz. Drei Reaktoren wurden zeitgleich außer Betrieb genommen. Verglichen mit der in 2017 errichteten Kapazität von Solar und Windkraft (Neubau von 152 GW) und fossilen Kraftwerken (rund 100 GW), ist die Bedeutung der Atomkraft inzwischen sehr gering.

Angetrieben wurde der weltweite Ausbau von Atomkraft in den letzten Jahren vor allem von China. Alle vier 2017 in Betrieb genommenen Reaktoren wurden von China gebaut, drei davon in China und eins in Pakistan. Ohne den Zubau von Atomkraftwerken in China "nimmt die Stromproduktion aus Atomkraft weltweit seit drei Jahren ab", erklärt Mycle Schneider, Hauptautor des Reports.

Ob China weiterhin massiv auf die zivile Atomnutzung setzen wird, ist für Schneider offen. Obwohl das Land seit Dezember 2016 kein einziges kommerzielles Atomkraftwerk mehr in Bau gegeben hat, "ist es zu früh zu sagen, dass ist jetzt das Ende des Ausbaus in China." 

Mehr dazu: Klimaschutz: Atomkraft, ja bitte?

Infografik Photovoltaik Windkraft Atomkraft weltweit Vergleich 20007-2017 DEU

Der Grund für die weltweite Stagnation beim Ausbau der Atomenergie liegt vor allem an den gestiegenen Baukosten der Reaktoren durch höhere Sicherheitsanforderungen, an den langen Bauzeiten von oft über zehn Jahren und den preiswerteren Alternativen bei der Stromproduktion.

Der Preis für Strom aus neuen Reaktoren hat sich laut Report seit 2009 um rund 20 Prozent verteuert. Gleichzeitig hat sich der Strom aus Kohle und aus modernen Gaskraftwerken um acht und 27 Prozent verbilligt. Bei der Wind- und Solarenergie waren es sogar 67 und 86 Prozent. Der Strom aus neuen Atomkraftwerken wurde so im Vergleich immer teurer und kostet inzwischen mehr als doppelt so viel wie aus neuen großen Solaranlagen und Windkrafträdern an Land.

Infografik Stromkosten aus neuen Großkraftwerken 2018 DEU

Vom rapiden Preisverfall bei der Stromerzeugung sind inzwischen aber auch ältere Atomanlagen betroffen. "Die Erneuerbaren unterbieten auf dem Markt inzwischen bereits laufenden Atomkraftwerke", erklärt Schneider. Für die Betreiber von Atomkraftwerken lohnt sich somit die Stromproduktion immer weniger. Reparaturen würden deshalb zurückgestellt oder — wie beispielsweise in den USA — der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken auch direkt subventioniert. 

Hohe Kosten nach Abschaltung der Reaktoren

Weltweit wurden die meisten Reaktoren in den 1970er und 1980er Jahren gebaut. Entsprechend alt sind inzwischen die 413 Reaktoren in Betrieb, das globale Durchschnittsalter liegt inzwischen bei rund 30 Jahren.

Auf Kraftwerksbetreiber und Staaten kommen mit der Abschaltung der Reaktoren enorme Kosten zu. In Deutschland kostet der Rückbau von Kraftwerken eine Milliarde Euro oder mehr. Schneider sieht hier für viele Kraftwerksbetreiber und Regierungen ein großes Dilemma, weil oft zu wenig Rückstellungen vorgenommen wurden. In Frankreich, um ein Beispiel zu nennen, sagt Schneider, "liegen sie in der Größenordnung von 300 Millionen Euro pro Reaktor".

Kraftwerksbetreiber verdienen nach Abschaltung ihrer Reaktoren kein Geld mehr und müssen dann für den Rückbau viel zahlen. Das Geld fehlt dann den Stromkonzernen. Schneider spricht von einer abhängigen Zwangssituation, die dazu motivieren könnte, Altreaktoren noch möglichst lange laufen zu lassen. Eine absehbare Kostenlawine für den Rückbau würde so möglichst lange in die Zukunft verschoben.

Frankreich AKW Flamanville
Pannenreaktor Flamanville. Die Kosten stiegen von 3,3 auf 10,9 Milliarden. 2012 sollte er ans Netz, jetzt Ende 2019. Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Berenger

Militär möchte zivile Atomtechnologie

Das Ende der zivilen Atomkraft behagt einigen nicht. Den Kraftwerksbetreibern und Staaten wegen anfallender Kosten. Aber auch Militärexperten zeigen sich zunehmend skeptisch gegenüber dem Ausstieg. Wissenschaftler der Universität Sussex bezeichnen in ihrer Analyse über die britische Atompolitik den geplanten Bau von neuen Reaktoren in Hinkley als eine Quersubventionierung des militärischen Atomprogramms: Die Aufrechterhaltung des zivilen Atomprogramms auf Kosten der Stromkunden hätte den Vorteil, den Verteidigungshaushalt zu entlasten. 

Die haupttreibende Kraft hinter den neuen Atomreaktoren in vielen Ländern wie Indien, Saudi Arabien, Türkei und auch Großbritannien "ist die Atombombe und der Wunsch zur Atombombe", erklärt Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group. 

Die Verbindung zwischen ziviler und militärischer Atomtechnologie ist für den Atomexperten Schneider nicht neu. Erstmalig hat ihr aber jetzt auch der Nuclear Industry Status Report ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Experten gehen der Frage nach, warum überhaupt noch bestimme Länder an Laufzeitverlängerungen oder gar Neubau interessiert sind, wenn sich eine solche Entscheidung weder energiepolitisch noch wirtschaftlich rechtfertigen lässt.

"Es ist kurios: Seit zwei bis drei Jahren gibt es immer mehr Stellungnahmen von zum Teil hochrangigen Vertretern der Industrie, des Militärs und der Interessensverbände. Sie zeigen ein Interesse an der Weiterführung der Atomkraft, weil sie davon profitieren, dass Leute ausgebildet werden und eine entsprechende Infrastruktur in den Ländern finanziert wird."

Schneider erlebt diesbezüglich inzwischen auch bei den Betreibern von Atomkraftwerken eine ganz neue Argumentation. Viele betonen gemeinsame Interessen mit den Militärs, damit die Atomkraft im Markt noch weiter bestehen kann.

Rueter Gero Kommentarbild App
Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion