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Weniger Aufmerksamkeit für Terroristen

Wolfgang Dick4. August 2016

Terroristen wollen Aufmerksamkeit. Die französische Zeitung "Le Monde" will deshalb ihre Berichterstattung ändern. Nachahmer wird das nicht abschrecken, sagt Robert Kahr, Kommunikationswissenschaftler bei der Polizei.

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Polizeikräfte mit Maschinenpistolen nach dem Amoklauf in München. Foto: picture-alliance/dpa/S. Babbar
Bild: picture-alliance/dpa/S. Babbar

DW: Die französische Zeitung "Le Monde" will ihre Terrorberichterstattung deutlich ändern und künftig auf Details wie Fotos oder Lebenslauf von Gewalttätern verzichten. Kann das Nachahmer verhindern ?

Robert Kahr: Nein, kann es nicht. Es gibt schon einen breiten Fundus an bestehenden Recherchequellen durch die breite Berichterstattung zu vorangegangenen Taten. Auf diesen Fundus wird der Täter zur Vorbereitung ähnlicher Taten immer zurückgreifen können.

Läuft die Initiative der Zeitung "Le Monde" dann völlig ins Leere?

Für die Antwort auf diese Frage würde ich gerne unterscheiden zwischen politisch motiviertem Terrorismus und Einzeltätern.

Für Menschen, die einen Anschlag eher aus eigenem Antrieb heraus machen, also Menschen, die sich über lange Zeit in psychischen Ausnahmezuständen befinden und sich in so ein Tatmodell hineinsteigern und diese Phantasien dann umsetzen, kann eine Aktion wie die der Le Monde signalisieren, wenn ihr jetzt wie eure Vorbilder agieren wollt, dann wird euch dieser Ruhm, diese Publizität verwehrt werden. Das kann ein sehr konstruktiver Aspekt sein.

Dann gibt es politisch motivierten Terrorismus. Der kann weniger gestoppt werden durch eine reduzierte Berichterstattung. Da geht es eher darum, denen den kommunikativen Erfolg zu verbauen. Terrorismus ist immer auch eine Kommunikationsstrategie. Das heißt, ich mache etwas ganz Schlimmes und versuche dann mediale Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und dann meine Botschaften zu platzieren. In dem Moment aber, in dem klar wird, dass dieses Kalkül keinen Erfolg mehr haben wird, ist auch eine solche Handlung deutlich weniger erfolgversprechend.

Müsste dann die Berichterstattung über Terror-Anschläge nicht komplett eingestellt werden?

Das ist ja nicht gänzlich möglich. Es gibt jedoch etliche wissenschaftliche Forschungen, welche Inhalte eine destruktive Wirkung entfalten können. Natürlich muss über diese Taten geredet werden. Es werden Menschen verletzt und getötet. Es entstehen Eingriffe in unsere Sicherheitsstruktur. Es ist schon sehr wichtig, darüber zu reden und zu berichten, damit sich die Menschen eine Meinung darüber bilden können. Die Art und Weise, wie man darüber redet, ist allerdings das, woran man intensiv arbeiten kann und das ist das, was Le Monde für sich entschieden hat, nämlich auf Bilder von Terroristen und auf terroristisches Propagandamaterial zu verzichten. Das sind die Dinge, die dieses Kalkül vorsieht. Nicht das, was über den Ablauf der Tat geschrieben wird, sondern was über die Täter-Persönlichkeiten, deren Motive und Botschaften entsteht, das sollte man möglichst neutral und nüchtern und möglichst reduziert veröffentlichen. Videomaterial, das auch noch "live" aus der Lage heraus von den Terroristen veröffentlicht wird, sollte ganz unterbunden werden.

Portrait Robert Kahr, Kommunikationswissenschaftler an der Hochschule der Polizei in Münster. Foto: dhpol
Polizei-Kommunikationsexperte Robert Kahr: "Terrorberichterstattung sollte überdacht werden"Bild: Hochschule der Polizei Münster

Sollten deutsche Medien das Modell der "Le Monde" ihrer Meinung nach übernehmen?

Ich fände es zumindest wichtig, darüber zu diskutieren und das sorgfältig abzuwägen. Natürlich ist Frankreich noch in einem ganz anderen Maße betroffen von terroristischen Anschlägen im Vergleich zu Deutschland. Das heißt, dort werden noch tiefgreifendere Diskussionen geführt. Aber es wäre schon gut, wenn wir hier in Deutschland noch einmal darüber nachdenken, in wie weit man das terroristische Kalkül unterstützt oder zulässt, große Aufmerksamkeit zu generieren. Diese Frage müssen sich alle Redaktionen stellen. In Ruhezeiten sollte die Art und Weise der Berichte in einem Krisenfall offen diskutiert und dann eindeutig festgelegt werden.

Müssten dann auch Live-Sondersendungen mit ihren Spekulationen verschwinden?

Da tauchen leider noch während laufender Geschehnisse weitere fiktionale Tatorte auf. Es tauchen fiktionale weitere Täter auf, die für eine massive Verunsicherung und durchaus für physischen Schaden bei Menschen führen können. Das Weiterverteilen von Gerüchten ist daher hochproblematisch.

In dem Moment, in dem Medien in der Live-Berichterstattung Gerüchte oder Videos unbekannter Herkunft, die zum Beispiel in sozialen Netzwerken herumgeistern, einfach weiter teilen, entsteht noch einmal eine ganz andere Öffentlichkeit. Und noch einmal eine ganz andere scheinbare Wahrhaftigkeit dadurch, dass Medien darüber berichten. Journalistische Grundsätze, wie kritische Quellenprüfung, sollten auch in der Live-Berichterstattung nicht über Bord geworfen werden. Da ist natürlich auch die Kommunikation der Polizei gefordert.

Wie muss denn die Aufklärung und Informationspolitik der Polizei künftig aussehen ?

Die Polizei soll und muss in solchen Krisensituationen sehr pro-aktiv kommunizieren. Ein Kollege hat zu dem Anschlag in München einmal gesagt: In dem großen Rauschen sind wir, die Polizei, der Bariton. Das fand ich sehr gut auf den Punkt gebracht. Wir müssen für Ruhe und Verlässlichkeit im Informationsfluss sorgen. Die Polizei darf natürlich erst dann kommunizieren, wenn sie wirklich gesicherte Erkenntnisse hat.

Aber es muss schnell und sehr, sehr deutlich mit klaren Ansagen erfolgen. Das ist das, was wir hier in der Aus- und Fortbildung der Polizei an der Hochschule in Münster vorantragen möchten. Da bewegt sich in den Bundesländern auch schon sehr viel. Über die letzten Jahre haben wir immer wieder gemerkt, dass das Verhalten verschwindet, das dem Motto folgt: Wir sagen da jetzt nichts zu und sitzen das aus. Das funktioniert heute in unserem Informationszeitalter nicht mehr. Die Menschen verlangen nach Transparenz und Verlässlichkeit. So haben viele Polizeibehörden jetzt zum Beispiel Facebook- und Twitter-Accounts, es gibt immer mehr Strategien, wie kommuniziert werden soll, wie der Dialog mit der Presse und dem Bürger gesucht werden soll. Man hat verstanden, dass Polizeiarbeit ohne gute Kommunikation nicht funktioniert.

Inwieweit hat die Terror- Berichterstattung mehr geschadet als genutzt?

Das kann in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nie wirklich eine Frage sein. Natürlich muss berichtet werden - unabhängig von der Frage, ob das jetzt nützt oder schadet. Der Informationsauftrag und die Aufklärung über staatliche Macht wie der Polizeiarbeit sind ja weiterhin wesentlich. Diese Frage stellt sich meines Erachtens also nicht grundsätzlich.

Trotzdem gibt es eine Menge Ansätze, wie die Medien besser und konstruktiver berichten können. Es gab schon nach dem Amoklauf von Winnenden Ansätze unaufgeregter, cool aber nicht kühl zu berichten und lieber mal zu warten, bis alles wirklich verifiziert ist. Insofern ist die Entscheidung von Le Monde zu begrüßen. Die Berichte sollen sich weniger um Täter kümmern, sondern auf die Menschen konzentrieren, die unter den Terrortaten leiden, die Angehörige oder Freunde verloren haben oder selbst verletzt wurden. Das sind die, denen unsere Aufmerksamkeit geschuldet ist. Auch Berichte über spontane Hilfsinitiativen sind wichtig. In München zum Beispiel wurde unter #offenetür angeboten, Leute kommt zu uns, ihr könnt euch bei uns verstecken und seid da sicher. Das sind die Dinge, die wir nicht nur medial, sondern gesamtgesellschaftlich kultivieren müssen.

Robert Kahr ist Kommunikationswissenschaftler an der Hochschule der Polizei in Münster. Er hat drei Jahre zusammen mit seinem Kollegen Frank Robertz an einem Buch geschrieben, das den Titel trägt: "Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus"

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.