Tempo-Streit beim EU-Gipfel
19. Oktober 2012Am Ende haben alle ein bisschen Recht bekommen: Frankreich hat sich beim Termin 1. Januar 2013 durchgesetzt und Deutschland mit seiner Überzeugung, dass die Einführung einer Bankenaufsicht auf europäischer Ebene nicht überhastet passieren dürfe. Konkret bedeutet das: Die EU-Finanzminister werden bis Dezember den rechtlichen Rahmen für die neue Kontrollbehörde erarbeiten, die dann im Laufe des kommenden Jahres ihre Arbeit aufnehmen soll.
Merkel zufrieden mit dem Kompromiss
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich nach den mehr als zehnstündigen Verhandlungen in Brüssel zufrieden mit dem Ergebnis. Der Zeitplan sei zwar "schon sehr ambitioniert", aber gleichzeitig werde der deutschen Überzeugung Rechnung getragen, dass "Qualität vor Schnelligkeit" gehen müsse. "Das Ziel ist es, eine Bankenaufsicht zu bekommen, die ihren Namen auch verdient, denn wir wollen ja etwas besser machen als das, was wir schon haben", sagte Merkel am Ende des Verhandlungsmarathons. Den Vorwurf, sie wolle den Beginn der Bankenaufsicht möglicherweise aus wahltaktischen Gründen bis nach der Bundestagswahl im Herbst 2013 verzögern, wies die Kanzlerin entschieden zurück. In Diplomatenkreisen war vermutet worden, dass die deutsche Regierung befürchten könnte, dass die erste Auszahlung von Hilfsgeldern an angeschlagene ausländische Banken bei den deutschen Wählern nicht gut ankommen würde.
Frankreichs Staatschef François Hollande dagegen rechnet durchaus mit einem Startschuss zum Jahreswechsel, sobald eben der Legislativrahmen dafür mit dem Europäischen Parlament abgestimmt und von den Staats- und Regierungschefs im Dezember angenommen worden sei. Ab Januar werde die federführende Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Aufbau der Aufsicht beginnen, kündigte
Hollande an. Von da an brauche es noch «einige Wochen oder Monate», bis die effektive Arbeit beginne.
Es bleiben Fragen
Die Bankenaufsicht hatten die 27 Länderchefs grundsätzlich schon auf ihrem Gipfel im Juni beschlossen. Die neue Kontrollinstanz unter dem Dach der EZB ist Voraussetzung dafür, dass marode Banken frisches Geld direkt aus dem Euro-Rettungsschirm ESM bekommen und sich so rekapitalisieren können. Ein wichtiges Ziel dieser Maßnahme ist es, finanziell angeschlagene Staaten entlasten zu können.
Doch bevor es so weit ist, müssen eine Reihe von höchst komplizierten Fragen geklärt werden: Wie kann die Europäische Zentralbank gleichzeitig geldpolitisch unabhängig und politisch und demokratisch kontrollierte Aufsichtsbehörde sein? Wie werden EU-Länder einbezogen, in denen die Gemeinschaftswährung Euro nicht gilt? Und wie wird mit Banken umgegangen, die Geschäfte innerhalb und außerhalb der Währungsunion machen?
Außerdem soll geprüft werden, ob die Mitgliedsstaaten "individuelle Abkommen vertraglicher Natur" mit EU-Institutionen schließen können. Damit könnten Vereinbarungen getroffen werden, nach denen die Wettbewerbsfähigkeit der Länder verbessert würde, sagte Bundeskanzlerin Merkel.
Lob für Griechenland
Ausdrücklich gelobt wurden in Brüssel die Reformbemühungen Griechenlands. Gipfel-Chef Herman Van Rompuy nannte sie "bemerkenswert", fügte aber hinzu: "Wir erwarten, dass Griechenland die Struktur- und Haushaltsreformen fortführt." Dann könne sich das Land der weiteren Unterstützung der Euroländer sicher sein. Ein Ausschluss aus der Euro-Zone steht auch für Kanzlerin Merkel nicht zur Debatte. Am heutigen Freitagvormittag traf sie sich am Rande des Gipfels mit dem griechischen Regierungschef Antonis Samaras zu einem "Meinungsaustausch über die Reformen und Konsolidierungsbemühungen in Griechenland", wie es aus Delegationskreisen hieß.
mak/wl (dpa, rtr, DAPD)