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Politik

"Väter der Steuer hatten nie ihre Tage"

Leonie von Hammerstein | Lukas Hansen | Maximiliane Koschyk
7. November 2019

Tampons, Binden und Menstruationstassen hatten bislang in Deutschland den Stellenwert eines Goldfischs. Zumindest für den Steuerzahler. Das soll sich jetzt ändern.

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Hygieneartikel Tampon l Tamponsteuer l
Bild: Colourbox

Ein grauer Herbstmorgen im Berliner Regierungsviertel, Besuchergruppen drängeln sich am Sitzungssaal in einem Nachbargebäude des Reichstags vorbei. Am runden Sitzungstisch sitzen Männer und Frauen. Ihnen gegenüber hat Jule Schulte Platz genommen.

Mit einer Petition: Sie will die Steuern für Tampons, Binden und andere Menstruationsprodukte senken. 80.000 Unterschriften von Unterstützern hat die Journalistin schon gesammelt, darunter Tampon-Hersteller und Drogerie-Händler.

Sechseinhalb Jahre ihres Lebens hat eine Frau die Periode

Fast ein Fünftel des Verkaufspreises verlangt der Staat bislang in Deutschland als Umsatzsteuer für Tampons, Binden und Menstruationstassen. Für Schulte ist der hohe Mehrwertsteuersatz auf Menstruationsprodukte eine Ungerechtigkeit.

Die Journalistin rechnet den Politikern vor: 40 Jahre lang, fünf Tage im Monat hat eine Frau im Schnitt ihre Periode. Sie blute damit circa sechseinhalb Jahre ihres Lebens, kalkuliert Schulte. "Unabhängig davon, ob es ihr gefällt oder nicht."

Sieben Prozent Mehrwertsteuer für Goldfische und Schnittblumen

Denn es gibt auch einen reduzierten Steuersatz von sieben Prozent, für Produkte des täglichen Bedarfs. Dazu gehören Lebensmittel, aber auch Schnittblumen, Bustickets oder Haustiere wie Goldfische. Nicht aber: Tampons, Binden und andere Menstruationsprodukte.

Vor Schultes Initiative gab es bereits immer wieder Petitionen, an den Bundestag und auf Internetplattformen. Der Bundestag hatte die Bittsteller zuvor immer mit der Begründung abgewiesen, dass die reguläre Mehrwertsteuer für Menstruationsprodukte nicht diskriminierend sei. "Weil die Väter der Steuer noch nie ihre Tage gehabt haben," erklärt Schulte.

Was ist die Tampon-Steuer?

"Dass solche Themen in einem Parlament, in dem vor allem Männer sitzen, wenig Beachtung finden, ist nicht verwunderlich", sagt Ulle Schauws, die frauen- und queerpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Mehr als zwei Drittel der Abgeordneten im deutschen Parlament sind Männer.

Kenia schaffte die Tampon-Steuer 2011 ab

Andere Länder sind da schon weiter: Kenia schaffte die Mehrwertsteuer auf Menstruationshygiene bereits 2011 ab. Von Kanada bis Indien haben im vergangenen Jahrzehnt Länder auf der ganzen Welt Steuern auf Menstruationsprodukte ganz entfernt oder zumindest reduziert.

Denn vor allem in Ländern des globalen Südens können sich viele Menschen die Hygieneprodukte nicht leisten. Ohne Binden oder Tampons können sie nicht in die Schule oder zur Arbeit gehen - aus der finanziellen Diskriminierung wird eine gesellschaftliche.

Auch in Deutschland ist das so: "2019 ist die Periode noch ein Tabu-Thema", sagt die Grünen-Politikerin Schauws. "Wir müssen vor allem jungen Mädchen klar machen, dass das nichts Ekliges ist."

Malen für die Menstruation

Dem Menstruations-Tabu den Kampf ansagen - und gleichzeitig die Umsatzsteuer austricksen: Mit Malbüchern für die Menstruation oder einem Tampon-Buch, in dem sich Tampons verstecken. Für Bücher gilt nämlich schon der reduzierte Steuersatz von sieben Prozent. Könnte es solche Bücher künftig auch für Kondome, Arzneimittel oder Babywindeln geben? Auf sie gilt immer noch der 19-Prozent-Steuersatz und auch sie könnten als Produkte des täglichen Bedarfs gelten.

Die Tampon-Steuer als Brexit-Argument?

Denn nicht in jedem Land lässt sich die Umsatzsteuer für Tampons und Co. so einfach abschaffen. In der Europäischen Union gilt derzeit noch eine Mindest-Mehrwertsteuer von fünf Prozent. Weniger dürfen die Mitgliedstaaten nicht auf Produkte verlangen. Mehr schon, wie eine Daten-Recherche zeigt. Die Tampon-Steuer und die angebliche Bevormundung durch die EU wurde damit zur Wahlkampfmunition für Brexit-Anhänger.

Infografik Mehrwertsteuer Hygienprodukte DE

Der britische Nachbar Irland hatte seine Steuer bereits vor Einführung der Fünf-Prozent-Bremse komplett abgeschafft. Ab 2022 soll die Bremse wegfallen, dann könnten alle EU-Mitglieder die Tampon-Steuer komplett loswerden.

Die Bundesregierung hatte den Vorschlag bereits in ihr Jahressteuergesetz eingebaut. Das Parlament hat das Gesetz an diesem Donnerstag verabschiedet. Dann gilt ab dem 1. Januar 2020 auch in Deutschland der ermäßigte Steuersatz für Menstruationsprodukte.