Flüchtlingskinder erfrieren in Afghanistan
10. Februar 2012Eiskalt ist der Winter in Kabul. Abdul Bari trägt nur ein Hemd und eine Pluderhose, darüber einen langen Schal. Vor ein paar Monaten ist er aus der umkämpften Provinz Kandahar nach Kabul gekommen um der unsicheren Lage und der herrschenden Armut im Süden des Landes zu entfliehen. Er lebt mit seiner Familie im Flüchtlingslager Charahi Qambar. Es besteht aus Zelten und notdürftigen Lehmbehausungen, die von der Regierung gestellt wurden.Doch bei Temperaturen von minus 20 Grad bieten diese Unterkünfte keinen Schutz. "Das kalte Wetter hat bereits zwanzig Kinder getötet", berichtet Abdul Bari. "Wir haben die Leichen in der Nähe unserer Zelte gefunden und in der Umgebung beerdigt." Er fürchtet um die Gesundheit seiner Kinder. "Es wird immer kälter, das Wetter ist für sie eine lebensbedrohliche Gefahr."
Barfuß im Schnee
Als vor ein paar Wochen der erste Schnee fiel, war er den Menschen eine willkommene Abwechslung zu den lehmfarbenen staubbedeckten Straßen. Dann ließ der Schneefall nach, die Kältewelle aber blieb. Die Migranten in den Kabuler Camps trifft die Kälte besonders hart. Es gibt kein Feuerholz, kaum Nahrung, Heizungen und Öfen sind nicht vorhanden. Erwachsene und Kinder müssen die Kälte ohne warme Bekleidung aushalten. Fayaz ist elf Jahre alt. Sein Gesicht ist von der Kälte ausgetrocknet. Er hofft, dass der Staat zur Hilfe kommt: "Wir bitten den Präsidenten Hamid Karsai, uns Mehl, Öl, Brot, Schuhe, Kleidung und Brennholz zu geben", sagt er. Einige seiner Freunde wühlen in den zugefrorenen Müllbergen, um etwas Essbares zu finden. Sie tragen Plastiklatschen ohne Socken. Die Füße spüren sie kaum noch, sagen sie.
Kein Geld für Hilfsangebote
Nach offiziellen Angaben sollen allein im letzten Monat fünfzehn Kinder in den Camps erfroren sein. Die Migranten selber vermuten jedoch, dass die Zahl doppelt so hoch ist. Das Migranten-Camp Charahi Qambar liegt in der Nähe des Kabuler Luxushotels Intercontinental und bleibt dennoch von der Regierung unbeachtet. Das Budget reiche nicht aus, um die Menschen in den Camps vor der Kälte zu schützen, so der Sprecher des afghanischen Flüchtlingsministerium, Islamuddin Jurahat. Die schlechte Sicherheitslage erlaube es aber auch nicht, sie zurück in ihre Heimatregionen zu schicken.
Binnenflüchtlinge sind für die afghanischen Behörden ein großes Problem. Allein im vergangenen Jahr haben rund 185.000 Menschen ihre Dörfer verlassen, das ist ein Zuwachs von 45 Prozent gegenüber 2010. Etwa 18.000 von ihnen leben gegenwärtig in und um Kabul herum in Lagern ohne Strom und Wasser.
"Die meisten Familien haben ihre Häuser aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit verlassen", erklärt Nadir Farhad vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR)."Etwa 10 Prozent sind vor Krieg und Kämpfen geflohen." Der Winter verschlechtert ihre ohnehin schlechten Lebensbedingungen noch weiter. Doch die meisten wollen oder können nicht zurück.
Auch Abdul Bari will in Kabul bleiben. Er möchte lieber erfrieren, als zurück in seine vom Krieg gezeichnete Provinz, sagt er und fordert: "Die Regierung muss uns helfen, sie muss uns angemessene Behausungen zur Verfügung stellen." Er kauert auf dem Boden. Vergeblich versucht er, seine Füße in der Wintersonne aufzuwärmen.
Autorin: Waslat Hasrat-Nazimi
Redaktion: Ana Lehmann