Südsudan: Ein Hirtenvolk zwischen Kühen, Krieg und Konsum
Vier Stunden nördlich von Juba richtet sich das Leben nach dem Rhythmus der Kühe. Doch auch Südsudans Krieg und ethnische Konflikte prägen den Alltag der Mundari-Ethnie. Aber wo bleiben die Sehnsüchte der Jugend?
Im Winterquartier
Eine Staubwolke am Himmel gibt schon von Weitem den Ort zu erkennen, wo die Mundari-Viehhirten mit ihren Tieren ihr Winterquartier aufgeschlagen haben. Die Nähe der Stadt Terekeka ist kaum spürbar. Um das Quartier zu erreichen, mussten die Hirten mit ihren Herden den Nil durchqueren: Ein lebensgefährliches Unterfangen.
Kühe gehören zur Familie
Jeden Morgen bekommen die Kühe eine gründliche Massage mit der Asche ihrer Exkremente. Sie schützt sie vor Parasiten und bringt ihr Fell zum Glänzen. Die Kühe bedeuten alles für die Mundari. Sie stellen den Brautpreis, ermöglichen den Handel für lebensnotwendige Güter. In Dürrezeiten sichern sie die Ernährung. Eine Kuh zu verlieren oder verkaufen zu müssen, bricht den Hirten das Herz.
Das Erbe der Araber
Die Pause wird mit Shisha-Rauchen verbracht. Die Wasserpfeifen haben sich die Mundari von den Arabern abgeschaut, als Südsudan noch eins mit dem arabisch geprägten Norden war. Über Jahrzehnte flüchteten sich Nordsudanesen in ihr Gebiet, um den strengen Regeln der Scharia zu entgehen. 2011 wurde der Südsudan unabhängig.
Fürs Leben gezeichnet
Die Vernarbung ist Bestandteil eines Übergangsrituals: Sie bedeutet für junge Mundari den Eintritt ins Erwachsenenalter. Bei ethnischen Konflikten können sie allerdings das Todesurteil bedeuten, da jede einzelne Person anhand der Narben ihrer ethnischen Gruppe zuzuordnen ist. Kurz nach der Unabhängigkeit stürzte das Land in eine politische Krise, die schon bald ethnisch aufgeladen wurde.
Wenn der Frieden das Leben teurer macht
Im Februar haben sich Präsident Riek Machar und seine Gegenspieler in einer Einheitsregierung zusammengefunden. Zahlreiche Schlichtungsversuche waren zuvor gescheitert. Der fragile Frieden bedeutet auch die Rückkehr zahlreicher Kämpfer, die sich auf Brautschau begeben. Der Brautpreis ist explodiert: 40 Kühe müssen heiratswillige Männer jetzt aufbringen. Jede hat einen Wert von 700 US-Dollar.
Bildung? Keine Priorität
Nach dem Krieg ist auch Paul nach Südsudan zurückgekehrt - nach neun Jahren im kenianischen Flüchtlingslager Kakuma. Dort konnte er kostenlos zur Schule gehen. Gerne würde er dorthin zurück und seinen Abschluss machen, doch das soll nun jährlich 50 Dollar kosten. Bildung rechtfertigt im Mundari-Verständnis aber nicht den Verkauf einer Kuh. Hochzeiten oder Hungersnöte sind da etwas anderes.
Riskanter Lockruf
Jeden Abend warden die Kühe ins Quartier gerufen. Dazu bläst dieser Hirte ins Rinderhorn: Der Klang ist kilometerweit zu hören. Die Kehrseite: Der Abendruf macht regelmäßig auch Viehdiebe auf die Hirten aufmerksam. Nicht selten sind die Räuber mit Maschinengewehren und Raketenwerfern bewaffnet. In einem Land, das seit seiner Unabhängigkeit mehr Krieg als Frieden erlebt hat, ist das Normalität.
Neuer Morgen - neues Zeitalter?
Viele junge Menschen empfinden die alten Hierarchien und das schutzlose Leben mehr und mehr als Last. Ihre Smartphones vermitteln ihnen Eindrücke in andere Lebenswelten ohne Kühe. Ohnehin könnte sich ihre Welt bald drastisch ändern: China finanziert den Bau einer Fernstraße, durch die die Hauptstadt Juba in unter einer Stunde erreichbar sein soll - ein Bruchteil der bisherigen Zeit.