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PolitikSudan

Sudan: Gewalt an der Grenze zum Völkermord

3. August 2023

Die Kämpfe im Sudan greifen von der Hauptstadt Khartum zunehmend auf andere Landesteile über, vor allem auf die Krisenregion Darfur. Auf die Sondierungsgespräche in Saudi-Arabien setzen Experten nur begrenzt Hoffnung.

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Die sudanesische Flagge am Maschinengewehr eines Kämpfers der Rapid Support Forces
Die sudanesische Flagge am Maschinengewehr eines Kämpfers der Rapid Support ForcesBild: Umit Bektas/REUTERS

Die Milizen der Rapid Support Forces (RSF) machten kurzen Prozess: Am Wochenende erklärten sie Teile der Hauptstadt Khartum zum Militärgebiet. Die dort lebenden Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Wo sie fortan leben, ist den Rebellen gleichgültig. Allein in dem Viertel Jabra wurden Agenturmeldungen zufolge hunderte Menschen vertrieben.

Diese vergrößern nun die Zahl der Binnenflüchtlinge im Sudan, der seit drei Monaten unter den heftigen Kämpfen zwischen den sudanesischen Soldaten (Sudanese Armed Forces, SAF) und der gegnerischen Miliz (Rapid Sudanese Forces, RSF) leidet. Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge sind derzeit rund 2,4 Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Zudem komme es zu massiven Menschenrechtsverletzungen. In den Kampfgebieten seien die meisten Krankenhäuser außer Betrieb, erklärten die UN. Viele Menschen haben sich in den Tschad in Sicherheit gebracht.

Zugleich greift der Krieg immer weiter um sich. Unerbittlich trifft er derzeit die Krisenregion Darfur im Westen des Landes. Dort lebt ein Viertel der insgesamt 48 Millionen Sudanesen.

Rebellenorganisationen hatten dort im Kampf um die ohnehin spärlichen, durch den Klimawandel nochmals verknappten Ressourcen 2003 den bewaffneten Widerstand gegen die sudanesische Regierung begonnen. Seitdem schwelt dieser Konflikt weiter. Auch das 2020 abgeschlossene Friedensabkommen konnte ihn nicht ganz beilegen. 

Rauch über dem Bahri-Viertel in Khartum
Rauch über dem Bahri-Viertel in KhartumBild: AFP/Getty Images

Darfur: "Vermutlich ein Genozid"

Nun vertreibt die Milizengruppe RSF Agenturmeldungen zufolge gezielt die ethnische Gruppe der Masalit. Ihre Ortschaften würden demnach zerstört und geplündert; viele Frauen würden vergewaltigt, Männer umgehend erschossen.

Der Krieg dort werde mit aller Härte geführt, sagt Marina Peter, Vorsitzende des Sudan- und Südsudan-Forum e.V., im Gespräch mit der DW. "Was wir derzeit dort beobachten, lässt sich vermutlich als Genozid bezeichnen." Inzwischen hat der Internationale Strafgerichtshof eine Untersuchung mutmaßlicher Kriegsverbrechen eingeleitet, wie dessen Chefankläger in der vergangenen Woche bekanntgab.

Die Gewalt in Darfur macht die Logik dieses Krieges deutlich, insbesondere seine fortschreitende Ethnisierung. Auf diese setzt insbesondere der Kommandant der RSF, Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti. Zur Jahrtausendwende war er einer der Kommandanten der Vorläufer-Organisation der RSF, der sogenannten Dschandschawid-Milizen. Diese gingen im Auftrag der Regierung und in Absprache mit der Armee mit aller Brutalität gegen die Aufständischen vor.

Ethnisierung der Gewalt

"Nun, seit er sich im April gegen die Armee erhoben hat, versucht Hemeti erneut, die Sorgen der sich als arabisch verstehenden Gruppen auszubeuten", sagt Marina Peter. "Aus ihnen rekrutiert er seine Truppen." Zugleich nutze er die Region als Rückzugsgebiet für die RSF. Beide Parteien versuchten vor dem Beginn ernsthafter Verhandlungen, Tatsachen zu schaffen und möglichst viele Landesteile unter Kontrolle zu bringen.

Frauen in Darfur gehen in einer Wüstenlandschaft an einem bewaffneten Jeep des sudanesischen Militärs vorbei
Frauen werden in dem Konflikt häufig Opfer sexueller Gewalt. Szene aus DarfurBild: Abd Raouf/AP/picture alliance

Prognose: Konflikt schwächt beide Seiten

Dass diese Strategie langfristig aufgehe, sei allerdings unwahrscheinlich, heißt es in einer Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik vom Mai dieses Jahres. "Sowohl die SAF als auch die RSF werden aller Voraussicht nach geschwächt aus diesem Krieg hervorgehen, auch wenn eine der beiden Parteien Erfolge erzielen sollte." Derzeit sei es allerdings wenig wahrscheinlich, dass eine der beiden Seiten den Konflikt militärisch oder politisch in nächster Zeit für sich ent­scheiden könne. "Je schneller sie einsehen, dass sie sich in einem strategischen Patt befinden, desto eher könnten sie bereit für ernsthafte Friedensgespräche sein."

Schwierige Sondierungsgespräche

Zwar keine Friedens-, wohl aber Sondierungsgespräche führen die beiden Kriegsgegner derzeit im saudischen Dschidda. Unter Vermittlung Saudi-Arabiens loten sie Möglichkeiten aus, die Waffen zumindest eine Zeitlang ruhen zu lassen.

Zum jetzigen Zeitpunkt seien die Gespräche allerdings schwierig, sagt Marina Peter. Noch seien beide Seiten überzeugt, sie könnten den Krieg für sich gewinnen und ließen sich daher auf keinen Kompromiss ein. Darum sei eher mit einer Zunahme der Kämpfe zu rechnen. Hinzu komme, dass dem Land eine legitime Regierung fehle.

Lager für sudanesische Flüchtlinge im Tschad
Lager für sudanesische Flüchtlinge im Tschad Bild: ZOHRA BENSEMRA/REUTERS

"Bisweilen entsteht der Eindruck, als stelle die von General Burhan kommandierte Armee die legitime Regierung Sudans", sagt Peter. Doch Burhan besitze keinerlei Legitimität, da er sich nach der Machtergreifung des Militärs im Oktober 2021 selbst zum Staatschef ernannt habe. "Deshalb müssten die eigentlichen Verhandlungen um die Zukunft des Landes mit ganz anderen Personen geführt werden, nämlich den Vertretern der politischen Parteien und der Zivilgesellschaft", so Peter. Vor allem gehören auch die meist jungen Vertreter des Sudanese Resistance Committees (SRC) eingebunden. "Denn sie sind es, die die humanitäre Hilfe im Land so weit wie möglich aufrechterhalten."

Peter weist zudem darauf hin, dass die militärischen Gruppen den Krieg zwar begonnen hätten, dieser ohne sie aber nicht zu beenden sei. "Aber in politischen Ämtern dürfen sie keinen Platz mehr haben, wenn man in dem Land wirklich Frieden unter einer tragfähigen Regierung schaffen will. Das alles braucht Zeit."

Die Zeitung Sudan Tribune weist zudem auf die hohe Zahl von Akteure mit unterschiedlichsten Interessen unter den Gastgebern der Gespräche hin. "Dieser Umstand führt eher zu einer Zersplitterung der Lage als zu einer einheitlichen Position, die die Konfliktparteien zur Vernunft bringen könnte." Während Saudi-Arabien eher General Burhan nahesteht, fühlen sich die ebenfalls an den Gesprächen beteiligten Vereinten Arabischen Emirate Rebellenführer Hemeti verbunden. Völlig offen sei darum, so die Tribune, ob der Krieg sich seinem Ende nähere - oder gerade erst beginne.

Sudan: Millionen benötigen humanitäre Hilfe

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika