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"Olympia müssen wir endgültig abhaken"

Herbert Schalling
1. Mai 2018

Zwei Monate nach Olympia-Silber hat das deutsche Eishockey-Team ein neues Gesicht: Etliche Helden fehlen, dafür sind NHL-Profis und viele junge Spieler dabei. Trainer Sturm spricht im DW-Interview über die WM-Chancen.

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Eishockey Länderspiel Deutschland - Frankreich
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

DW: Wie groß ist der Druck, den gerade erst erworbenen Zuspruch in der Öffentlichkeit durch eine schlechte WM-Platzierung zu verspielen?

Marco Sturm: Ich glaube, viele Leute wissen über die Kräfteverhältnisse im internationalen Eishockey Bescheid. Die wissen, dass wir jetzt nicht jedes Spiel gewinnen werden. Aber klar, wir spüren den Druck. Der ist größer als früher. Wir versuchen, bei der WM wieder so zu spielen wie bei Olympia und wie bei der letzten WM. Wenn das passiert und wir gutes Eishockey spielen, sind wir zufrieden.

Die WM ist nach dem olympischen Turnier der zweite Saisonhöhepunkt. Worin liegt der Reiz, sich jetzt schon wieder mit der Weltelite zu messen?

Es ist ein neues Turnier. Olympia müssen wir endgültig abhaken. Die Vorbereitungsspiele vor der WM haben uns gezeigt, dass noch einiges zu tun ist. Wir müssen cleverer werden und viel mehr Drang zum Tor entwickeln. Ich denke, trotz des veränderten Teams fahren die Spieler mit genügend Selbstvertrauen zur WM. Dort können sie sich aufs Neue beweisen

Sie haben gleich nach Olympia gesagt, dass die Mannschaft bei der WM nicht mehr so auflaufen wird. Hatten Sie mit so einem starken Personalwechsel gerechnet?

Es gab Rücktritte, einige Spieler sind verletzt, andere mental müde. So fehlt auch unser herausragender Goalie Danny aus den Birken. Es ist jetzt ein Neustart mit einem jüngeren Team. Bei Olympia war unsere Mannschaft die älteste des Turniers. Jetzt sind nur fünf Spieler über 30, aber zwölf 25 oder jünger. Sieben sind zum ersten Mal bei einer WM dabei.  

Ein wenig mehr an Routine wäre bei der WM vielleicht doch nützlich. Lassen Patrick Reimer, Marcel Goc und Christian Ehrhoff die Mannschaft mit ihren Rücktritten im Stich?

Nein. Alle drei haben schon im letzten Sommer mit mir über ihre Absicht gesprochen, zum Saisonende aufzuhören. Da war an olympisches Silber noch nicht zu denken. Ich habe sie jetzt nicht umstimmen können. Man muss auch sehen, dass alle drei lange, erfolgreiche Karrieren hinter sich haben. Dass sie mit diesem Erfolg aufhören wollten, kann ich ihnen nicht verdenken.

Südkorea Pyeongchang- Abschlussfeier der Olympischen Spiele: Christian Ehrhoff
Als Silbermedaillengewinner Fahnenträger zum Olympia-Abschluss - und dann das Karriereende in der Nationalmannschaft: Christian EhrhoffBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Drei Spieler aus der NHL verstärken jetzt ihren Kader. Die dürften nicht gerade in euphorischer Stimmung kommen, weil sie mit ihren Mannschaften frühzeitig in den Playoffs ausgeschieden sind.

Ich bin froh über jeden Spieler, der sich bereit erklärt, die WM zu spielen. Leon Draisaitl ist ein Topstürmer. Er hat uns schon bei der WM im vergangenen Jahr sehr geholfen. Dennis Seidenberg mit seinen 36 Jahren ist ein absoluter Leader. Er gibt unserer Mannschaft große Stabilität. Das trifft auch auf Korbinian Holzer zu.

Mit Markus Eisenschmid, Marc Michaelis und Manuel Wiederer tauchen vollkommen neue Namen auf. Was sind das für Spieler?

Es sind Talente, die in Nordamerika noch unterklassig spielen, in der AHL oder am College. Wir schauen auf der Suche nach passenden Spielern nicht nur auf die NHL-Profis. Im letzten Jahr hat Frederik Tiffels richtig gut eingeschlagen. Er ist jetzt wieder im Kader.

Der Gewinn der olympischen Silbermedaille war der größte Erfolg für das deutsche Eishockey. Wie haben Sie ihn wahrgenommen? Was hat sich dadurch verändert?                                                          

Es war für uns alle unglaublich, welche Begeisterung wir ausgelöst haben. Auch bei Menschen, die eher selten oder noch nie ein Eishockeyspiel live erlebt haben. Diesen Schwung wollen wir mitnehmen, um unseren Sport in Deutschland weiter voranzubringen. Wir haben ein langfristiges Programm, "Powerplay 2026". In acht Jahren wollen wir zur Weltspitze im Eishockey gehören.                                                                        

Was ist dafür nötig?

Wir müssen uns verstärkt um den Nachwuchs kümmern: Kinder für das Eishockey begeistern, in die Trainerausbildung investieren, die materielle Basis erweitern. Das heißt, wir brauchen auch mehr Eishallen.       

Die deutsche Vorrundengruppe ist stark besetzt. Mit Finnland, Norwegen und Kanada treffen Sie auf Teams, mit denen die Mannschaft schon beim olympischen Turnier zu tun hatte. Welche Platzierung streben sie an?

In der Weltrangliste sind wir Siebter. Das ist der Platz, den wir verteidigen wollen. Dazu müssen wir ins Viertelfinale. Zu den genannten Teams kommen noch die USA, dazu Lettland, Gastgeber Dänemark und Aufsteiger Südkorea. Da brauchen wir in jedem Spiel höchste Konzentration und Einsatzbereitschaft.  

Das Interview führte Herbert Schalling.

Marco Sturm (39) ist mit 1006 Spielen deutscher Rekordspieler in der nordamerkanischen Eishockey-Profiliga NHL. Seit 2015 ist er Bundestrainer. Nach dem Gewinn der olympischen Silbermedaille 2018 mit der deutschen Mannschaft wurde er Ehrenbürger seiner Heimatstadt Dingolfing in Bayern.