Strategien gegen Terror
7. Juli 2010Am 7. Juli 2005 verübten einheimische, so genannte "homegrown", Terroristen in London Anschläge auf U-Bahnen und Busse und ermordeten dabei 56 Menschen. Über 700 wurden zum Teil schwer verletzt. Auch an den Anschlägen auf spanische Nahverkehrszüge 2004 und an der so genannten "Sauerlandgruppe", die ein Attentat in Deutschland vorbereitet hatte, waren Einheimische beteiligt.
Das besondere am "homegrown"-Terrorismus: Die Täter sind - anders als zum Beispiel die Attentäter vom 11. September 2002 - in den Ländern aufgewachsen, in denen sie ihre Anschläge verübt oder geplant hatten. Sie waren dort zur Schule gegangen. Sie stammten meist aus säkular geprägten Migrantenfamilien und waren ohne starken Religionsbezug erzogen worden. Und sie schienen gut in die Gesellschaft integriert zu sein - bis sie Kontakt zu islamistischen Scharfmachern bekamen. Einige der "homegrown"-Terroristen hatten noch nicht einmal einen muslimischen Familienhintergrund, sondern waren erst spät in ihrem Leben zum Islam konvertiert.
Junge Muslime vor Radikalisierung immunisieren
Großbritannien hat vor fünf Jahren eine wichtige Lektion gelernt: Das Land muss eine Polarisierung der Gesellschaft vermeiden. Dafür habe sich insbesondere die britische Polizei stark gemacht, sagt Magnus Ranstorp vom Schwedischen Verteidigungs-College in Stockholm: "Sie hat sich bemüht die Gesellschaft zusammenzuhalten. Gerade nach den Anschlägen, aber auch ansonsten, gibt es viel, was die Behörden tun können. Entscheidend dabei ist es, die örtlichen muslimischen Gemeinschaften dazu zu bringen, das Thema Extremismus in der Gesellschaft selbst offen anzusprechen."
Die Behörden müssten eng mit den Gemeinschaften zusammenarbeiten, aus denen die potentiellen Täter stammen. "Wir müssen mit dem Umfeld zusammenarbeiten, besonders dort, wo diese Radikalisierungstendenzen auftreten: zum Beispiel mit Moscheevereinen oder denjenigen, die sich im Umfeld derer aufhalten, die sich radikalisieren", meint auch Ole Schröder, Staatssekretär im deutschen Innenministerium.
Die muslimischen Gemeinschaften müssten immun gegen extremistisches Gedankengut werden. "Es geht darum, die muslimische Zivilgesellschaft zu aktivieren", sagt Schröder weiter. "Denn wir können nur wirksam etwas gegen diese Form des Terrorismus tun, wenn die Gesellschaft es auch als eigenes Problem erkennt, wenn sie bereit ist, gegen Radikalisierungstendenzen in den eigenen Reihen vozugehen und diese auch den Sicherheitsbehörden zu melden."
Terroristen sind uncool
Auch die Imame in den Moscheen sind gefordert. Sie sollen junge Muslime ansprechen, bevor es Extremisten tun. Doch dafür brauchen sie eine gute Aus- und Fortbildung, die sicherstelle, dass "wir keine Hassprediger haben, sondern Prediger, die sich für den Frieden einsetzen", erklärt Schröder. Die islamische Gemeinschaft in Deutschland müsse deutlich machen, "dass es kein Teil des Islams sein darf, Terrorismus zu predigen".
Innerhalb der Europäischen Union wurde nach den Anschlägen von London eine Arbeitsteilung vereinbart. Spanien hat mit seiner starken marokkanischen Migration die Aufgabe übernommen, Modelle für solche Ausbildungen zu entwickeln und an andere Staaten zu vermitteln.
Auch Großbritannien versucht, mit direkter Arbeit in den Moscheen die Radikalisierung junger muslimischer Männer zu verhindern. Dazu hat die Regierung ein umfassendes Programm mit über 260 öffentlich geförderten Projekten aufgelegt, die sich direkt an die muslimische Gemeinschaft wenden. Diese Projekte sollen den jungen Menschen zeigen, "dass Al Qaida eben nicht cool ist," so der Wissenschaftler
Ein Beispiel dafür sind Mentoren-Programme. "Die Polizei führt in zahlreiche muslimischen Gemeinschaften im ganzen Land Rollenspiele durch, in denen die Verantwortlichen sich in die Lage der Polizei und der Regierung versetzen können. Das soll ihnen zeigen, wie schwierig das ist, und dass alle an einem Strang ziehen," erklärt Ranstorp.
Rechtstaatlichkeit gilt auch für Verdächtige
Judith Sunderland von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warnt außerdem vor einer Stigmatisierung von Muslimen in westlichen Gesellschaften. Minarett- oder Kopftuchverbote förderten die Radikalisierung.
Der Umgang mit Terrorverdächtigen müsse nach rechtstaatlichen Prinzipien erfolgen. Dieses Prinzip hätten einige Gesetzgeber aber ausgehebelt. "Sie haben im Strafverfahren Ausnahmen für Terrorverdächtige geschaffen. So wurde die Haftzeit ohne Beschluss eines Haftrichters sehr stark verlängert - in Großbritannien bis zu 28 Tagen. In Spanien und Frankreich ist der Zugang zu einem Rechtsanwalt stark eingeschränkt," so die Menschenrechtlerin.
Aber dies bewirke das Gegenteil dessen, was die Gesetzgeber eigentlich wollten, sagt sie. Anti-Terror Maßnahmen, die Menschenrechte verletzen, füttern ihr zufolge "langfristig nur ein Gefühl von Ungerechtigkeit, das der Radikalisierung Vorschub leistet."
Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Julia Kuckelkorn