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Uniform für alle

Kirstin Helberg, Damaskus12. Dezember 2008

Auf den Strassen in Damaskus spielen Kinder mit Plastikgewehren, schon für die Kleinsten gibt es Mini-Tarnanzüge. In der syrischen Erziehung spielt Militarismus eine große Rolle.

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Schulanfang in Syrien - auch hier wird Uniform getragenBild: AP

Gegenüber unserer Wohnung in Damaskus liegt eine Grundschule, vom Balkon aus blicken wir direkt auf den Schulhof. Doch was sich dort im Laufe des Vormittags abspielt, erinnert mich eher an einen Kasernen- als an einen Pausenhof. Sobald es klingelt, müssen sich die syrischen Kinder in Reih und Glied aufstellen. Eine Erzieherin in weißem Kittel tritt vor die Schüler und brüllt abwechselnd zwei Worte ins Mikrofon. Das erste – staaed – bedeutet so viel wie "strammstehen", die Mädchen und Jungen gehen in militärische Hab-Acht-Stellung mit geschlossenen Beinen und eng am Körper anliegenden Armen. Darauf folgt der zweite Befehl – istaareh, zu Deutsch "lockern" oder "entspannt euch".

Von der Picke auf

Solche paramilitärischen Elemente ziehen sich in Syrien durch die gesamte Erziehung: Bis vor wenigen Jahren waren die Schuluniformen khaki-grün und sahen mit ihren Schulterklappen aus wie Militäruniformen. In der zehnten Klasse mussten alle Schüler – Jungen wie Mädchen – für zwei Wochen zum Militärtraining: Sie reinigten Strassen, trieben Sport und lernten etwas über den Schutz von Zivilisten im Krieg. Daneben sammelten die 16jährigen Erfahrungen mit echten Waffen. Ein Bekannter erzählte mir neulich von seiner ersten Schießübung mit einer alten Kalaschnikow. Die größte Sorge galt dabei der Patronenhülse, die nach dem Abschuss der Kugel aus dem Gewehr fiel: Sie war so heiss, dass sie meinem Bekannten einmal den Unterarm versengte.

Die militärische Ausbildung setzte sich bis vor kurzem auch an der Universität fort. In den ersten vier Studienjahren verbrachten die männlichen Studenten einen Teil ihrer Semesterferien im Militärcamp – eine Art Zeltlager, in dem sie neben körperlicher Ertüchtigung auch den Umgang mit Gasmasken und Waffen lernten. Manchmal mussten die jungen Männer auch einfach nur in der sengenden Sonne stehen, erinnert sich mein Bekannter.

Alles ganz normal

Was auf Europäer und vor allem auf Deutsche befremdlich wirkt, ist in Syrien ein wichtiger Bestandteil des nationalen Bewusstseins. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits ist Syrien umgeben von Konfliktherden, ob im Irak, im Libanon, in Israel oder Palästina: Gewalt ist im Nahen Osten omnipräsent. Andererseits wird auf dem Golan bis heute syrisches Land besetzt, Damaskus befindet sich offiziell im Kriegszustand mit Israel. Krieg ist folglich keine ferne negative Erinnerung wie in Deutschland sondern eine aktuelle reale Bedrohung. Während in deutschen Kinderzimmern Gewaltspiele und Waffen tabu sind, werden Kinder und Jugendliche in Syrien deshalb bewusst damit vertraut gemacht.

Zum ersten Mal wurde mir dieses unterschiedliche Verhältnis zum Krieg bei einer Kindermodenschau in Damaskus klar. Nachdem die fünf- bis zehnjährigen Mädchen in niedlichen Kleidchen über die Bühne stolziert waren, kamen sie zum Finale in Uniformen und mit Holzgewehren, um einen einstudierten Tanz vorzuführen. Die europäischen Zuschauer waren geschockt, die Syrer begeistert.