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Straßenbau als Rettungsweg

5. Dezember 2015

„Bereitet dem Herrn den Weg“, so kündigt Johannes der Täufer das Kommen des Messias an. Was für ein provokanter Gegenentwurf zum Straßenbau als Projekt der Mächtigen, meint Hildegard König von der katholischen Kirche.

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Kreta Tracking Weg zum Balos Strand
Bild: picture-alliance/L. Halbauer
Prof. Dr. Hildegard König, Chemnitz
Prof. Dr. Hildegard KönigBild: Hildegard König

Letzthin mit dem Auto unterwegs. Nach stressigen Autobahnkilometern geriet ich auf eine Bundesstraße, die gerade erst vierspurig ausgebaut worden war und sich, mit glattem Belag und von neuen Leitplanken flankiert, durch die hügelige Landschaft schlängelte: Täler wurden von Brücken gequert, Hügel wurden von Schneisen durchbrochen. An den Hängen grünte und blühte es, dass es eine Pracht war. Und, o seltenes Glück, ich war fast alleine unterwegs. Ich konnte richtig laufen lassen. Nichts störte das Fahrvergnügen.

Da kam mir ein Bild aus der Bibel in den Sinn – es findet sich beim Propheten Jesaia und wird im heutigen Sonntagsevangelium in Lukas 3 zitiert: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet die Straßen! Jede Schlucht soll gefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden (Jes 40,4-5; Lk 3,4-5).

Straßen – Lebensadern der Welt
Das hört sich wie die Zielvorgabe für den modernen Straßenbau an, aber er ist mindestens zweitausendfünfhundert Jahre alt. Damals wie heute: Verkehrswege sind die Lebensadern der Welt. Güter und Ideen werden auf ihnen transportiert, Kulturen und Märkte entstehen an ihren Schnittpunkten. Menschen kommen über Straßen zueinander und werden über Straßen auseinander gezwungen.

Straßenbau war immer ein Projekt der Großen, der Eroberer und der Machthaber, und die Kleinen, die Besiegten, die Ohnmächtigen, die waren es, die schuften mussten und die Straßen bauten, auf Befehl: Bereitet den Herren den Weg.

Bei Jesaia ist es allerdings anders: Der Straßenbau ist kein Prestigeprojekt, sondern ein Rettungsweg. Und diejenigen, denen er eröffnet werden soll, die brauchen nichts mehr als Hoffnung auf einen solchen Rettungsweg. Verschleppt aus der Heimat ins ferne Babylon, als Fremde ins Exil, als Flüchtlinge in die eigene Resignation, werden sie vom Propheten aufgefordert, einen Weg zu bahnen, eine Vision zu entwickeln, nämlich dass es einen Weg aus dem Elend gibt, und dass sie auf diesem Weg ihrem Herrn begegnen.

Herr ist in der Bibel ein Gottestitel, und ein für meinen Geschmack zu männlicher Ersatz für den unaussprechlichen Gottesnamen, mit dem die göttliche Gegenwart sich zu erkennen gibt, nämlich als ICH BIN DA – Ich bin da für dich; ich bin da für euch.

Und gerade darauf läuft der biblische Straßenbau ja hinaus: Alle Menschen werden die Rettung sehen, die von Gott kommt (Jes 40,6; Lk 3,6). Das ist die Zusage des Propheten.

An der Seite der Gestrandeten
Ich sehe Bilder vor mir von Flüchtlingen, die auf unseren Straßen unterwegs sind. Wie sie zielstrebig voranmachen. Ich sehe Gesichter voller Hoffnungen und Erwartungen. Und in meine Ängste und Sorgen hinein höre ich die Aufforderung des heutigen Evangeliums: Bereitet dem Herrn den Weg… Und alle Menschen werden die Rettung sehen, die von Gott kommt.

Ich fürchte, das ist eine Aufforderung an mich. An mir liegt es, am Rettungsweg mit zu bauen: nicht allein, sondern mit anderen zusammen. Für Wege zu sorgen, auf denen ICH BIN DA für alle, jede und jeden verstehbar und begreifbar wird. Ich fürchte, das wird anstrengend und mühsam. Aber wenn schon das christliche Abendland verteidigen, dann mit Hand und Fuß, dann den Fremden, den Geflüchteten und Gestrandeten zur Seite gehen mit einem Selbstbewusstsein, das mit einem göttlichen ICH BIN DA rechnet und damit, dass dieses für alle Menschen Geltung hat.

Es ist Advent – Ankunft. Menschen kommen bei uns an. Und es kommt auf mich an, dass etwas von dem, was mich trägt und hält, bei ihnen ankommt.

Zur Autorin: Prof. Dr. Hildegard König hat in Tübingen katholische Theologie und Germanistik studiert. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung liegt im Bereich „Alte Kirchengeschichte und Patristik“. Nach einem Studienaufenthalt in Rom lehrte sie an den Universitäten Luzern, Frankfurt, Tübingen und an der RWTH Aachen. Nach einer Gastprofessur an der LMU München arbeitet sie seit 2011 als Professorin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Darüber hinaus ist sie als freie Dozentin tätig.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte