1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verantwortung zum Schutz

Andreas Zumach2. Dezember 2008

Die Staatengemeinschaft ist seit einem UN-Beschluss von 2005 verpflichtet einzuschreiten, wenn ein Land seine Bürger nicht schützen kann oder will. Doch die Frage, wann dieser Fall eintritt, ist sehr umstritten.

https://p.dw.com/p/G0nO
Ein muslimischer Bosnier trauert im Juli 2008 an den Särgen mit sterblichen Überresten von 307 Toten des Massakers von Srebrenica, bei dem bosnische Serben 1995 vermutlich mehr als 8000 Jungen und Männer töteten. Viele Tote des Völkermordes wurden erst Jahre später in Massengräbern entdeckt (Foto: AP/2008)
Ein muslimischer Bosnier trauert im Juli 2008 an den Särgen mit sterblichen Überresten von 307 Toten des Massakers von Srebrenica, bei dem bosnische Serben 1995 vermutlich mehr als 8000 Jungen und Männer töteten. Viele Tote des Völkermordes wurden erst Jahre später in Massengräbern entdecktBild: AP

Die Regierung jedes Landes ist primär dafür verantwortlich, die eigene Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschheit zu schützen. Ist eine Regierung dazu nicht willens oder nicht in der Lage, geht die Schutzverantwortung auf die Vereinten Nationen (UNO) und ihren Sicherheitsrat über, die dann vorrangig präventive diplomatische, humanitäre und andere friedliche Mittel zum Schutz der bedrohten Bevölkerung einsetzen können, notfalls aber auch wirtschaftliche oder militärische Zwangsmittel.

Erstmals wurde 2005 festgestellt: Die UNO ist zuständig

Auf dieses neue Prinzip der "Responsibility to Protect" - der Verantwortung zum Schutz - einigten sich die Staats-und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der UNO auf ihrem New Yorker Gipfeltreffen im September 2005. Entwickelt wurde das Prinzip der Schutzverantwortung von einer internationalen Kommission, die die kanadische Regierung eingesetzt hatte nach den Völkermorden und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen der 1990er Jahre in Ruanda, Ex-Jugoslawien und anderswo. Mit dem New Yorker Gipfelbeschluss wurde allerdings noch keine verbindliche Völkerrechtsnorm geschaffen. Doch erstmals wurde auf dieser hohen Ebene der UNO zumindest im abstrakten Konsens festgestellt, dass die Souveränität der Nationalstaaten nicht uneingeschränkt gilt.

In welchen konkreten aktuellen Konfliktfällen die jeweilige nationale Regierung ihre Schutzverantwortung nicht wahrnimmt und daher die UNO tätig werden soll - darüber gehen die Meinungen unter den 192 UNO-Mitgliedern allerdings weit auseinander. Ist der Konflikt in der westsudanesischen Provinz Darfur mit seinen bislang schon über 300.000 Toten ein solcher Fall? War die Behinderung der Nahrungsmittelversorgung für die von einer Naturkatastrophe betroffene Bevölkerung Burmas durch die dortige Militärjunta ein Verbrechen gegen die Menschheit? Auch amnesty international, Human Rights Watch und andere Menschenrechtsorganisationen sind sich in diesen Fragen nicht völlig einig.



Sorge der Länder des Südens vor Missbrauch der Verantwortung

Viele Regierungen in den Ländern des Südens - insbesondere in Afrika und Asien - fürchten, die militärisch handlungsfähigen Staaten des Nordens könnten das Prinzip der Schutzverantwortung missbrauchen für so genannte humanitäre Interventionen zur Durchsetzung ihrer eigenen wirtschaftlichen oder geostrategischen Interessen. Verstärkt wird das Misstrauen durch die Tatsache, dass sämtliche militärische Interventionen seit Ende des Kalten Krieges - ob mit oder ohne Mandat des Sicherheitsrates - von den Staaten der NATO und der EU durchgeführt wurden, sowie durch den Umstand, dass die UNO über keinerlei eigene militärische Kapazitäten verfügt und über nur sehr beschränkte zivile Instrumente zur Beilegung von Konflikten. So lange dies so bleibt, wird der Nord-Süd-Konsens, der für eine Umsetzung des neuen Prinzips der Schutzverantwortung erforderlich ist, kaum entstehen.

Flüchtlingskinder aus Darfur stellen sich in einem Lager im Tschad für den Beginn der Schule auf: Mehr als 300.000 Menschen sind durch Rebellenkämpfe in der westsudanesischen Provinz Darfur seit 2003 getötet worden, die Zahl der Flüchtlinge liegt bei mehr als 2,5 Million Menschen (Foto: dpa/2007)
Flüchtlingskinder aus Darfur stellen sich in einem Lager im Tschad für den Beginn der Schule auf: Mehr als 300.000 Menschen sind durch Rebellenkämpfe in der westsudanesischen Provinz Darfur seit 2003 getötet worden, die Zahl der Flüchtlinge liegt bei mehr als 2,5 Million MenschenBild: picture alliance/dpa
Gedenkstätte in Nyamata mit hunderten von Totenschädeln, südlich der ruandischen Hauptstadt Kigali für die Opfer des Völkermordes in Ruanda 1994, bei dem zwischen 500.000 und 1 Million Tutsi von Hutus innerhalb weniger Wochen ermordet worden sind, ohne dass die UN eingegriffen hat (Foto: AP/2002)
Gedenkstätte in Nyamata, südlich der ruandischen Hauptstadt Kigali für die Opfer des Völkermordes in Ruanda 1994, bei dem zwischen 500.000 und 1 Million Tutsi von Hutus innerhalb weniger Wochen ermordet worden sind, ohne dass die UN eingegriffen hatBild: AP