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Spielabbruch: Der Corona-Eklat in Brasilien

Tobias Käufer | Ramona Samuel
7. September 2021

Nach dem Abbruch des WM-Qualifikationsspiels zwischen Brasilien und Argentinien durch die Gesundheitsbehörde sind die Diskussionen über das Vorgehen voll entbrannt. Argentinien gerät in Erklärungsnot.

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Das Spiel zwischen Brasilien und Argentinien in Sao Paolo wurde unterbrochen
Bild: Andre Penner/AP Photo/picture alliance

Nach dem umstrittenen Abbruch des WM-Qualifikationsspiels zwischen Brasilien und Argentinien in São Paulo durch die Gesundheitsbehörde Anvisa am vergangenen Sonntag schlagen in beiden Ländern die Emotionen hoch. Die Meinungen aus sportlicher, wissenschaftlicher und politischer Sicht gehen auseinander. "Ich fand es sehr beschämend, alle haben auf dieses Spiel gewartet", sagt Brasiliens Ex-Nationalspieler Beto im Gespräch mit DW Online.

"Für mich war es eine große Verantwortungslosigkeit, ein solches Spiel in einer WM-Qualifikation abzubrechen." Die Behörden hätten bereits vorher eingreifen müssen, um ein solches Szenario zu verhindern, ist der ehemalige Spieler des SSC Neapel und von Flamengo aus Rio de Janeiro überzeugt. Die Argentinier wiederum hätten es nicht so weit kommen lassen dürfen, dass Spieler eingesetzt werden, von denen unklar war, ob sie überhaupt dabei sein dürfen. "Wenn sie einen Fehler gemacht haben, müssen sie dafür gerade stehen", so Beto.

Messi kritisiert Vorgehen der Behörde

Argentiniens Superstar Lionel Messi hingegen warf den brasilianischen Behörden vor, mit falschen Karten gespielt zu haben: "Nein, sie haben uns nicht Bescheid gesagt", sagte Messi. "Sie hätten am ersten Tag kommen sollen und nicht so." Aus Sicht des argentinischen Mannschaftskapitäns hat Argentinien nichts falsch gemacht, obwohl es eindeutig ist, dass der argentinische Verband offenbar die Einreisebestimmungen ignorierte.

Mitarbeiter der Behörde Anvisa hatten das WM-Qualifikationsspiel  unterbrochen, weil vier argentinische Nationalspieler gegen die Corona-Einreisevorschriften in Brasilien verstoßen hätten. Konkret handelte es sich um die Profis aus der englischen Premiere-League: Emiliano Buendia, Emiliano Martinez (beide Aston Villa) sowie Cristian Romero und Giovani Lo Celso (beide Tottenham). Anvisa erklärte auf Anfrage von DW, die argentinische Delegation sei im Vorfeld des Spiels bereits aufgefordert worden, die betreffenden Spieler zu isolieren und unter Quarantäne zu stellen.

Brasilien Argentinien Fußball-WM
Argentinien-Kapitän Lionel Messi (M.) kann keine Fehler beim argentinischen Verband erkennenBild: Andre Penner/AP Photo/picture alliance

"Es gibt nichts zu diskutieren"

Infektiologin Nilse Nelia Querino Santos aus São Paulo begrüßt die Entscheidung der Gesundheitsbehörden: "Das ist eine Frage des Gesetzes. Es gibt nichts zu diskutieren, wenn die Regeln von Anvisa und dem Gesundheitsministerium so sind. Und selbst wenn Sie diskutieren wollen, ob diese Regel richtig ist oder nicht, verstößt das Verhalten der Spieler gegen die Regel eines Landes", sagt Querino Santos der DW.

Aus infektiologischer Sicht sei das Vorgehen der Gesundheitsbehörde also richtig gewesen, denn sowohl in Brasilien als auch in Großbritannien gäbe es die Delta-Variante des Coronavirus, so Querino Santos. "Eigentlich hätten die Regeln noch strenger sein müssen. Wir Brasilianer zum Beispiel sind in unserer Reisefreiheit deswegen stark eingeschränkt. Ich selbst habe ein Flugticket nach Frankreich und kann nicht reisen, weil es eine Quarantäne-Regel gibt." Was für die normalen Bürger gelte, müsse auch für Fußballprofis gelten.

Respektlosigkeit vor Corona-Maßnahmen

Politikwissenschaftler Roberto Gulart von der Universität Brasilia sieht auch eine politische Dimension des Vorgehens. "Ich glaube, dass die Entscheidung von Anvisa, das Fußballspiel zu unterbinden, auf der Grundlage von wegen der Pandemie geltenden brasilianischen Gesetzen getroffen wurde", so Gulart. Die Mehrheit der Brasilianer stehe hinter der Entscheidung von Anvisa, ist der Politikwissenschaftler überzeugt. Denn hätte Anvisa nicht eingegriffen, wären das eine Respektlosigkeit gegenüber den in Brasilien geltenden Maßnahmen gewesen.

In den sozialen Netzwerken wird derweil spekuliert, die Entscheidung könne auch damit zusammenhängen, dass der einflussreiche TV-Sender Globo das Spiel zur beliebtesten Sendezeit am Sonntagnachmittag übertragen hatte. Der Sender gilt als kritisch gegenüber Präsident Jair Bolsonaro. "Ich erinnere daran, dass die Copa America in Brasilien stattfand und dies keine Entscheidung des Gesundheitsministeriums oder von Anvisa war, sondern eine politische Entscheidung von Präsident Bolsonaro." Übertragen wurde das Turnier allerdings vom Konkurrenzsender SBT, der Bolsonaro nähersteht. Ob allerdings der Einfluss von Bolsonaro so weit gehe, die Behörde Anvisa zu instrumentalisieren, daran hat Gulart seine Zweifel: "Ich weiß nicht, ob es ihnen gelingen würde, Anvisa soweit zu instrumentalisieren, um an einem Sonntagnachmittag ein Fußballspiel der brasilianischen Nationalmannschaft zu unterbrechen."

Unklar ist, wie es nun weitergeht. Brasilien führt mit der Maximalausbeute von 21 Punkten aus den bisherigen sieben Spielen die Tabelle an und könnte eventuell einen Punktverlust am grünen Tisch deutlich leichter verkraften als Argentinien (15 Zähler). Den "Albiceleste" sitzen auf den Plätzen drei bis fünf Ecuador (13), Uruguay (12) und Kolumbien (10) im Nacken. Nur die ersten vier Mannschaften lösen nach insgesamt 18 Spielen ihr Ticket direkt für das WM-Turnier in Katar. Der Weltverband FIFA muss nun entscheiden, wie dieses Spiel gewertet wird.