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Spaniens Meinungsfreiheit auf dem Prüfstand

18. Februar 2021

Die Inhaftierung des spanischen Rappers Hasél schlägt weiter hohe Wellen. Viele Kulturschaffende bangen um die Meinungsfreiheit. Ist ihre Sorge berechtigt?

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Menschen mit Fackeln ziegen eien Straße entlang, eine Frau trägt ein Schild: "Libertat Pablo "( Freiheit für Pablo)
Nicht nur in Barcelona kam es zu Ausschreitungen gegen die Verhaftung des Rappers Pablo HasélBild: Nacho Doce/REUTERS

Die Bilder von Pablo Haséls Festnahme gingen um die Welt: Sie zeigen den Rapper mit finsterer Miene und gereckter Faust, wie er - umgeben von martialisch bewaffneten Polizisten - dem "faschistischen Staat" den Tod wünscht. Danach uferten die Proteste gegen seine Verhaftung in Krawalle aus: Brennende Mülltonnen, eingeschlagene Fensterscheiben, herausgerissene Feuerlöschschläuche - all das ist noch drei Tage später im Netz zu sehen. Empörte Unterstützer gingen zu Tausenden auf die Straßen und forderten die Freilassung Haséls. Gleich in mehreren Städten Spaniens kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, auch letzte Nacht wieder. Es habe Dutzende Verletzte gegeben, mindestens 42 Menschen seien festgenommen worden, meldet die Nachrichtenagentur Europa Press unter Berufung auf die Behörden.

Rapper Pablo Hasél mit emporgestreckter Fauststeht neben zwei Polizisten mit Helm
Der Rapper Pablo Hasél bei der FestnahmeBild: Lorena Sopena/REUTERS

Der 32-jährige Katalane Pablo Hasél, so scheint es, ist zur Symbolfigur geworden - in einem Streit um Meinungsfreiheit. Die Grenze zwischen erlaubter Kritik und strafbarer Beleidigung: Sie ist ein schmaler Grat, wie die Texte des Rappers zeigen: "Hey, Tyrann", lautet die Botschaft an den amtierenden spanischen König in seinem Song "Ni Felipe VI". Und weiter: "Wir sind die Wut, die nach Revolution strebt. Du wirst uns nicht betäuben."

Star der spanischen Rapperszene

Worte voller Wut und Zorn sind allgegenwärtig in Haséls Songtexten und Tweets, die Sprache ist hart. Er spickt sie mit Gewaltdrohungen und Schwarz-Weiß-Bildern. Er reitet Angriffe auf Monarchie und Staatsgewalt, das Königshaus besteht für ihn aus "parasitären Volksfeinden", die Polizei ist "Abschaum". Und Hasél nimmt alles - aus linker Sicht - böse aufs Korn: soziale Ungleichheit, den Kapitalismus, die USA. In der spanischen Rapper-Szene hat ihn seine Radikalität zum Star gemacht.

Für seine Unterstützer ist Hasél schon jetzt eine Ikone in Sachen Meinungsfreiheit. Für "ungerecht und unverhältnismäßig" hält Amnesty International Haséls Verurteilung. Und erinnerte an den mallorquinischen Musiker Josep Miquel Arenas, Künstlername Valtònyc, der Anfang 2018 vom Obersten Gerichtshof in Madrid zu dreieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt wurde. Er hatte, wie Hasél, gegen Polizei, Monarchie und korrupte Politiker angesungen und seinen Gewaltfantasien freien Lauf gelassen. Der junge Mann floh allerdings nach Brüssel, um der Haftstrafe zu entgehen. Belgien ignoriert den europäischen Haftbefehl bis heute: Hier gelten die Texte Valtònycs als von der Meinungsfreiheit gedeckt.

"Strafmaß schießt über das Ziel hinaus"

Ein Mann geht an einem Graffiti auf einer Häuserwand vorbei, das die Freilassung des wegen Monarchiebeleidigung verurteilten Rappers fordert.
Graffiti fordern die Freilassung des wegen Monarchie-Beleidigung verurteilten Rappers.Bild: Fermin Rodriguez/NurPhoto/picture alliance

Hasél dagegen muss für zweieinhalb Jahre hinter Gitter, weil er "den Terrorismus verherrlicht" habe, so die spanische Justiz. Das Urteil geht zurück auf ein Antiterror-Gesetz, das 2015 - trotz internationaler Kritik - unter dem konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy verabschiedet wurde. Ein "Maulkorbgesetz", wie auch Carlos Collado Seidel, ehemaliger Generalsekretär des deutschen PEN-Zentrums, meint. "Das Strafmaß gegen Hasél schießt deutlich über das Ziel hinaus", sagte er gegenüber der DW, "zumal der ETA-Terrorismus, der in Frage kommen könnte, seit Jahren gar nicht mehr existiert." Die baskische Untergrundorganisation, die als Widerstandsbewegung gegen die Franco-Diktatur entstand, löste sich 2018 offiziell auf.

Der Spanienexperte Walther Ludwig Bernecker
Der Spanienexperte Walther Ludwig BerneckerBild: picture-alliance/dpa/Friedrich-Alexander-Universität

Auch der renommierte Spanien-Experte Walther L. Bernecker, Professor für Auslandswissenschaften an der Uni Erlangen-Nürnberg, hält die Reaktion der spanischen Justiz für überzogen: "Was ist schon eine Majestätsbeleidigung in einem demokratisch-parlamentarischen Staat?", fragt er. "Wenn Hasél die Königsfamilie eine mafiöse Bande nennt, nachdem die spanische Presse täglich über Korruptionsfälle im Königshaus berichtet: Wo ist dann die Grenze zu ziehen?" Als "aufgeregt" beschreibt Bernecker die Diskussion über Spaniens Monarchie. Und völlig offen sei, ob sich der Alt-König Juan Carlos eines Tages wegen der Vorwürfe vor Gericht verteidigen muss.

Anhänger des Rappers protestieren vor dem Gerichtsgebäude mit Plakaten gegen die spanische Justiz.
Anhänger des Rappers protestieren vor dem Gerichtsgebäude mit Plakaten gegen die spanische Justiz.Bild: pciture-alliance/AP Photo/P. White

Der Fall Böhmermann in Deutschland

Weder Collado Seidel noch Bernecker sehen die Meinungsfreiheit in Spanien allerdings ernstlich in Gefahr. In manchen Fällen gebe es jedoch Grenzen dessen, was man öffentlich verbreiten dürfe. "Niemand bei uns in Deutschland würde eine Verurteilung wegen Leugnung des Holocaust oder eine Verherrlichung des NS-Regimes in Frage stellen", so Seidel, der EX-Generalsekretär der Schriftstellervereinigung PEN. "Das steht auch bei uns unter Strafe!" Und Bernecker sieht sich an den "Fall Böhmermann" in Deutschland erinnert: Der Satiriker und Fernsehmoderator machte sich 2019 in einem Schmähgedicht über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan lustig und musste wegen "Majestätsbeleidigung" vor Gericht. In der Folge hat Deutschland den Straftatbestand, der noch aus der Kaiserzeit stammte, aus dem Strafgesetzbuch getilgt. Folgt Spanien nun dem deutschen Vorbild? Spaniens Regierung hat es gelobt, zu spät für Pablo Hasél.

Unterdessen haben sich rund 200 spanische Künstler und Intellektuelle auf die Seite des verurteilten Rappers gestellt, darunter der bekannte Filmemacher Pedro Almodóvar, der Schauspieler Javier Bardem und der Sänger Joan Manuel Serrat. Sie unterzeichneten einen Aufruf, in dem sie dem spanischen Staat vorwerfen, dem Beispiel von Ländern wie der Türkei oder Marrokos zu folgen: "Wenn wir zulassen, dass Pablo verhaftet wird, kann es morgen jeden von uns treffen."