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Solidarität ist ungerecht

Andrea Buchberger1. Dezember 2006

Erst langsam dämmert es den Deutschen, welche Folgen die Reformen der Großen Koalition für ihr alltägliches Leben haben, das jetzige und das zukünftige.

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Hunderttausende rechnen sich aus, wie lange sie denn arbeiten müssen, nachdem die Regierung das Renteneintrittsalter anheben will, bzw. wie viel weniger Geld sie bekommen, wenn Sie dennoch früher als der Staat jetzt plant in den so genannten "wohlverdienten Ruhestand" gehen. Nur wenige fragen sich, wie viel Geld ihre Kinder und Enkel wohl zahlen müssten, um diesen Ruhestand zu finanzieren.

Das Prinzip der Solidarität

Den deutschen Sozialsystemen liegt ein Prinzip zu Grunde - das der Solidarität. Das gilt für die Rentenversicherung und für die gesetzliche Krankenversicherung. Die Beiträge für beide Systeme werden dem Arbeitnehmer prozentual vom Einkommen abgezogen. Das bedeutet, die Reichen zahlen mehr als die Armen. Die Jungen zahlen die Rente für die Alten. Die Gesunden kommen für die Kosten der Kranken auf. Wer mehr verdient, bezahlt mehr Steuern zum Gemeinwohl aller. Früher hat dieses System gut funktioniert, denn es war genug Geld in den Kassen. Andere Länder haben Deutschland darum beneidet.

Nachdenken über Gerechtigkeit

Dieses Prinzip aber funktioniert nicht mehr, denn das Verhältnis zwischen reich und arm, alt und jung, beruflich aktiv und arbeitslos ist aus den Fugen geraten- und die Regierung hat sich daran gemacht, das System zu reformieren. Erst mit der so angestoßenen politischen und öffentlichen Debatte – so scheint es- wird dem Bürger klar, in welchem Luxus er bislang lebte. Rundum versichert, rundum versorgt bis ins Alter und in jeder Lebenslage, und dass sich die Dinge nun ändern.

Das Ende der Solidarität

Mit Erstaunen stellt manch einer fest, dass nur jeder zweite Deutsche über 55 Jahren noch arbeitet, viele profitieren von einer Frührente, finanziert noch aus den Zeiten fetter Jahre. Empört müssen Arbeitnehmer, die zehn Jahre später geboren sind, feststellen, dass der Gesetzgeber ihr Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre anhebt, dass sie außerdem mehr als andere Generationen für die pflegebedürftigen Eltern, die heranwachsenden Kinder und für die eigene Gesundheit und Altersvorsorge ausgeben müssen. Hinzu kommt die statistische Erkenntnis, dass die Kaufkraft der Deutschen seit 1991 gesunken ist.

Geteiltes Leid, halbes Leid

Wer ist Schuld an dieser ohne Frage ungerechten Situation? Es werden beide Volksparteien der Großen Koalition durch Wählerfrust abgestraft- und beide Parteien überbieten sich, dass sie die sozial gerechteren Vorschläge in die unfreiwillige Partnerschaft einbringen. Sozial gerecht heißt, dass knapper werdende Geld anders zu verteilen, als die jeweils andere Partei vorschlägt und dann um einen Kompromiss zu ringen. So verschwimmt das Profil und der Regierungsstil, und das Wesentliche gerät aus dem Blickfeld- dass es nach wie vor um das Prinzip der Solidarität geht- und das ist, wenn man es mit Heller und Pfennig aufrechnet, ungerecht.