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27. April 2013

Der evangelische Kirchentag steht kurz bevor. Jahrzehntelang wurde er von der Theologin Dorothee Sölle geprägt. Vor zehn Jahren ist diese tiefe Denkerin gestorben. Für die evangelische Kirche erinnert Claudia Aue an sie.

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Während die Weinrose im Juni noch hellrosa blüht, bilden sich ab September die scharlachroten Früchte der Hagebutte. Aufnahme aus den Niederlanden. pixel Schlagworte Hagebutte , Rosaceae , Rose_Family , Sweet_briar , Schottische_Zaunrose , .Natur , Wildrosen , Sweet-briar , Heckenrosen , .Pflanzen , Rosen , Rosa_rubiginosa , Blumen , Rosengewächse , Weinrose
Bildergalerie nach Europa eingeschleppte Tiere und Pflanzen Rosa rubiginosaBild: picture-alliance/dpa

Ein Leben für die Gerechtigkeit

Sie wäre auf dem Evangelischen Kirchentag in der kommenden Woche bestimmt dabei gewesen. Mit einem Vortrag, aber eher noch zum Diskutieren und neu Verstehen: Dorothee Sölle. Die Theologin ist heute vor zehn Jahren gestorben. Vor ein paar Wochen stand ich noch einmal an Ihrem Grab in Hamburg und sah die Steine darauf liegen. Menschen erinnern sich an sie und vermissen sie – vielleicht als Freundin, manche aber bestimmt auch, weil sie von ihr herausgefordert wurden, noch einmal nach zu denken – anders zu denken. Mich mahnt sie immer, nicht zu vergessen, welche Kraft in unserem Glauben liegt – zu handeln, nicht nur zuzugucken. Und ich habe mich dort, auf dem frostigen Friedhof, wieder an einen Satz auf ihrer Homepage erinnert:

„Meine Tradition hat uns wirklich mehr versprochen! Ein Leben vor dem Tod, gerechtes Handeln und die Verbundenheit mit allem, was lebt, die Wölfe neben den Lämmern und Gott nicht oben und nicht später, sondern jetzt und hier. Bei uns, in uns.“

Politisches Denken und mystische Frömmigkeit

Von diesen Überzeugungen ist sie wohl ihr Leben lang keinen Schritt abgewichen. Allerdings bekam ich wenig später einen Vortrag über sie in die Hände und mir wurde noch einmal klar, dass sie wirklich in keine Schublade passt und, dass sich ihr Weg auch immer wieder verändert hat. Zu hören war der Vortrag in einer Kirche der Stille und überschrieben war er: Dorothee Sölle als Mystikerin. Sie, die in den 60er Jahren die Form des Politischen Nachtgebets ins Leben gerufen hatte; sie, der man nachsagte, den Glauben auszuhöhlen und zu politisieren? Ich lese noch einmal in dem spannenden Manuskript des Altonaer Propstes Horst Gorski. Eine Mystikerin war sie wohl von Anfang an. Allerdings habe es in ihren Schriften eine Entwicklung gegeben. In den früheren Werken überwiegt die Impulsivität der Rebellion. In den späten Jahren wird der mystische Kern, der darin schon immer enthalten war, bewusst reflektiert, aber politisches Engagement und mystischer Glaube seien für Dorothee Sölle immer ein und dasselbe gewesen. Und sie erinnert mich wieder daran: Theologie ist immer mit meiner eigenen Person verbunden und dem Satz: man kann nicht denken, was man nicht tut. Es geht nicht nur darum, dass Gott uns liebt, sondern auch darum, dass wir ihn lieben und dies auch zeigen in dem, was wir tun. Eines ihrer späteren Gedichte überschreibt sie. Hör nicht auf, mich zu träumen, Gott - und auch darin klare Worte:

Nicht du sollst meine probleme lösen, sondern ich deine gott der asylanten, nicht du sollst die hungrigen satt machen, sondern ich soll deine Kinder behüten vor dem terror der banken und der militärs (sondern ich soll dich aufnehmen schlecht versteckter Gott der elenden.) Du hast mich geträumt gott wie ich den aufrechten gang übe und niederknien lerne, schöner als ich jetzt bin, glücklicher als ich mich jetzt traue freier als bei uns erlaubt. Hör nicht auf mich zu träumen gott ich will nicht aufhören mich zu erinnern dass ich dein baum bin gepflanzt an den wasserbächen des Lebens.

Das Erbe von Sölle geht heute weiter

Wenige trifft man, die dies leben: sich einsetzen, widersprechen, sich engagieren. Doch auf dem Kirchentag in ein paar Tagen werden mir hoffentlich von genau diesen ein paar über den Weg laufen. Mit dabei sind zum Beispiel auch Mitglieder aus der diakonischen Basisgemeinschaft Brot und Rosen. Sie leben in einem Haus der Gastfreundschaft zusammen und nehmen obdachlose Flüchtlinge auf. Es geht um Brot, um Lebensnotwendiges. Und es geht um mehr – einen Geschmack vom Festmahl Gottes zu erahnen, so sagt es Dietrich Gerster von Brot und Rosen, der auch beim Kirchentag dabei sein wird. Und vielleicht ist es das, was auf einem Kirchentag passieren kann. Und auch, wann immer unser Alltag auf andere Weise unterbrochen wird. Es mischt sich ein anderer Duft darunter. Rosen sind ein Hauch von Liebe, sie sind verschwenderische Geschöpfe, die da sind, um schön zu sein. Manchmal reicht nur eine, um ein ganzes Zimmer anders erscheinen und duften zu lassen. Und, wenn wir um das tägliche Brot bitten, im Vaterunser – dann geht es um das Brot auf unserem Frühstückstisch, aber eben auch um das Brot für unsere Seele. Davon können wir auf dem Kirchentag vielleicht probieren, wenn wir mit anderen singen und beten, Gottesdienste feiern und von Geschichten hören, die uns neu aufbrechen lassen. Gut, dass Dorothee Sölle auf dem Kirchentag mit dabei sein wird. Am Freitag gibt es eine große Veranstaltung über ihr Leben mit dem schlichten Titel: Gotteshunger!


Zur Autorin:
Claudia Aue (Jahrgang 1972) ist Radiopastorin. Sie vereint in ihrem Dienst zwei Qualifikationen: Sowohl eine theologische als auch eine journalistische Ausbildung hat die gebürtige Hamburgerin absolviert. Theologie studierte sie in Göttingen, USA, Heidelberg und Kiel. Nach dem Studium arbeitete Claudia Aue bei den Kieler Nachrichten, danach ging sie für zwei Jahre nach Hamburg ins Vikariat in St. Pauli. Danach wurde sie Volontärin bei den Kieler Nachrichten und schließlich Pressereferentin bei Bischof Dr. Hans Christian Knuth.

Claudia Aue Radiopastorin Kiel
Claudia Aue Radiopastorin KielBild: Evangelische Radio- und Fernsehkirche im NDR