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Sind Deutschlands Medien islamfeindlich?

8. Juni 2010

Themen wie Ehrenmorde oder Burkaverbot tauchen regelmäßig in den Medien auf. Hierbei handelt es sich meist um Einzelschicksale, die aber oft mit dem Etikett "Islam" versehen werden. Sind die Medien also islamfeindlich?

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Die Zeitung die Welt mit Mohammed-Karikatur (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Die Experten sind sich einig: Die islamfeindlichen oder kirchenkritischen Medien gibt es nicht. Aber es sind nicht nur Boulevardblätter wie die Bild-Zeitung, die zum Beispiel Muslime schnell unter Generalverdacht stellen, wenn es um Ehrenmord, Zwangsheirat oder Terroranschläge geht. Auch "Der Spiegel", ein Nachrichtenmagazin, das weltweit vertrieben wird, habe sich durchaus islamfeindlich gezeigt, meint der Schriftsteller Kay Sokolowsky. So betitelten die Macher des Wochenmagazins zum Beispiel eine Ausgabe in 2007 mit der Zeile "Mekka Deutschland – die stille Islamisierung". "Ein ungeheuer infamer Zeitschriftentitel", findet Sokolowsky. Schließlich sei der Spiegel nicht irgendein Blatt. "Ich warte ja bis heute auf diese stille Islamisierung Deutschlands, darauf, dass meine Frau sich ein Kopftuch umbinden muss und dass ich mein Fleisch nur noch geschächtet zu mir nehmen darf, aber das ist ja noch nicht passiert."

Cem Özdemir (Foto: AP)
Muslime werden auf ihre Religion reduziert, meint ÖzdemirBild: AP

Der Hamburger Literaturwissenschaftler, der ein Buch über das "Feindbild Moslem" geschrieben hat, kritisiert, dass die Muslime in Deutschland noch immer schnell unter Generalverdacht gerieten. Wird in der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland ein Verbrechen begangen, heiße es immer wieder, alle Muslime seien so wie der Verbrecher. "Wenn also ein Ehrenmord passiert oder eine Zwangsheirat aufgedeckt wird, wird gesagt: Ja, das ist unter Muslimen der Normalfall und nicht der Ausnahmefall, da entdecke ich Islamfeindlichkeit."

Reduziert auf Religion

Auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, selbst Muslim, moniert, dass zum Beispiel das Thema Gewalt in türkischen Familien in den Medien oft durch eine religiöse, tendenziell islamfeindliche Brille betrachtet würde. Muslime hierzulande würden oft auf ihre Religion reduziert. "Die Identität einer Persönlichkeit setzt sich ja nicht nur aus der Religionszugehörigkeit zusammen, sondern aus der Schichtzugehörigkeit, aus der Geschlechtszugehörigkeit, Bildungsstand, aus vielen anderen Faktoren, und wenn es um Muslime geht, dann wird man häufig auf das Muslim-Sein reduziert."

Andererseits – so räumt der Grünen-Politiker ein – reagieren viele Muslime auf Kritik mehr als sensibel – zum Beispiel beim so genannten Streit um die Mohammed-Karikaturen, die viele seiner Glaubensgeschwister als verletzend empfunden hätten. "Etwas als verletzend empfinden und dieses kritisieren schließt nicht ein, verbieten, schließt nicht ein, dass man so dagegen vorgeht, wie das zum Teil geschehen ist." Man müsse das richtige Maß finden, sagt Özdemir. "Das bedeute in der Demokratie: Wenn man sich über was ärgert, muss man Leserbriefe schreiben, Demonstrationen machen oder sonst was, alles andere gibt es in der Demokratie nicht."

Raus aus der Opferrolle

Ehrenmord-Opfer (Foto: DW)
Nach Ehrenmorden wird gern generalisiertBild: DW-TV

Auch der evangelische nordelbische Bischof Gerhard Ulrich kritisiert islamfeindliche Tendenzen, gerade im Boulevard-Journalismus. Dennoch bricht er eine Lanze für die Medien, auch wenn die Religionen seiner Meinung nach manchmal in der Öffentlichkeit schlecht wegkommen: "Die Frage ist nicht: Wie wird die Kritik geäußert, sondern wie gehen wir damit um? Wie reagieren wir darauf." Am Beispiel der Berichterstattung über den sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche fordert der evangelische Kirchenmann seine katholischen Glaubensgeschwister dazu auf, konstruktiv auf die Kritik zu reagieren. Und den Muslimen empfiehlt der Bischof, "aus der Opferrolle heraus zu kommen und stärker den Dialog zu suchen." Und da sieht er auch die Kirchen in der Pflicht. "Wir brauchen die Auseinandersetzung miteinander, damit wir pauschalen Vorurteilen und den Ängsten, die geschürt werden, begegnen können."

Bischof Gerhard Ulrich fordert mehr offene Dialogbereitschaft im christlich-muslimischen Dialog. Das klingt nach einem Seitenhieb gegen Altbischof Wolfgang Huber. Unter ihm als Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands war der evangelisch-muslimische Dialog sehr ins Stocken geraten.

Autor: Michael Hollenbach

Redaktion: Manfred Götzke