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Politik

Machtdemonstration alter Schule

Frank Sieren
28. Februar 2018

Xi Jinping kann dank einer Verfassungsänderung seine Amtszeit als Präsident Chinas demnächst formal unbegrenzt verlängern. Viel Macht bedeutet jedoch auch viel Verantwortung, meint Frank Sieren.

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China Neujahrsansprache von Xi Jinping
Bild: picture-alliance/Xinhua

Xi Jinping hat es tatsächlich geschafft. Er kann China nun voraussichtlich auf Lebenszeit regieren, zumindest theoretisch. Bislang sah die chinesische Verfassung vor, dass der Präsident nicht mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden von jeweils fünf Jahren absolvieren darf. Dass man diese Richtlinie nun aus der Verfassung streichen will, hat das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei am Sonntag nach einer Tagung bekanntgegeben. Während die Nachricht in den chinesischen Medien in einem Haufen weiterer "Strukturreformen" eher versteckt wurde, nahmen die westlichen Medien sie zur Gelegenheit, Xi - der nicht nur Staatspräsident, sondern auch Armee- und Parteichef ist - mit allerlei neuen Titeln zu schmücken: "Alleinherscher", "Chinas neuer Kaiser", "Autokrat auf Lebenszeit" oder auch "Chinas Pate".

Das mag übertrieben klingen, eines lässt sich jedoch nicht leugnen: Kein anderer chinesischer Politiker hat in den vergangenen zwei Dekaden die Macht im Land so sehr auf sich vereint wie Xi Jinping. Dabei verfolgt der heute 64-Jährige aber auch ungleich ambitioniertere Pläne als seine Vorgänger Jiang Zemin und Hu Jintao. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2013 hat Xi seine Visionen vom "chinesischen Traum", vom "Wohlstand für alle" und dem Bau der "Neuen Seidenstraße" verkündet, mit der China in einer "Schicksalsgemeinschaft" die Zukunft der Menschheit mitbestimmen will.

Vom Übergangskandidaten zum strategisch denkenden Machtpolitiker

Von Afrika bis in die Antarktis investiert China riesige Summen in Infrastrukturprojekte und bindet aufstrebende Nationen damit langfristig an sich. Innerhalb der eigenen Landesgrenzen hat Xi das Militär umgekrempelt und die wirtschaftliche Modernisierung mit Investitionen in Zukunftstechnologien wie E-Mobilität oder Künstliche Intelligenz auf einen soliden Boden gestellt. Xi, der anfangs als wenig aussichtsreicher Übergangskandidat galt, hat sich auch innerparteilich als strategisch denkender Machtpolitiker erwiesen. Mit einer groß angelegten Korruptionskampagne hat er nicht nur bestechliche Kader, sondern auch politische Konkurrenten aus dem Weg geräumt und ihre Positionen mit seinen Gefolgsleuten besetzt. Auch die Macht der Partei wurde unter Xi kontinuierlich ausgeweitet. In Peking sind ihre Spruchbanner inzwischen so allgegenwärtig, dass manche Chinesen sie anstelle von Straßennamen zur Wegbeschreibung nutzen.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Legitimiert wird all das mit einem Personenkult, der unter Xis absichtlich farblos und harmlos auftretenden Vorgängern noch undenkbar gewesen wäre. Bereits im Oktober hatte die Partei beschlossen, "Xi Jinpings Leitgedanken" in ihre Verfassung aufzunehmen. Dieser Status des ideologischen Vordenkers wurde bislang nur Mao Zedong und dem Reformer Deng Xiaoping zuteil, der Chinas wirtschaftliche Öffnung nach Maos Tod erst möglich machte. Es war aber auch Deng, der sich für ein zeitliches Limit der Amtszeit von Spitzenpolitikern einsetzte. Deng hatte selbst unter Mao gelitten, der einstige Verbündete ausschalten ließ und China mit dem "Großen Sprung nach vorn" in eine gigantische Hungersnot und mit der Kulturrevolution in bürgerkriegsähnliche Zustände stürzte. Deng wollte, dass das Land niemals wieder für Jahre den Launen und Luftschlössern eines Einzelnen ausgesetzt sein sollte. Anfang der 1980er-Jahre wurde deshalb das Prinzip der "kollektiven Führung" in der Verfassung verankert. Dass Deng selbst auch ohne offiziellen Titel bis zum Ende seines Lebens und sogar darüber hinaus großen Einfluss auf die chinesische Politik ausübte, hatte er ungleich eleganter eingefädelt als Xi nun mit seiner nach Einschüchterung schmeckenden Verfassungsänderung.

Ob Xis Amtszeit wirklich historische Dimensionen annehmen wird, muss sich ohnehin erst noch zeigen. Dass Linientreue, Zensur und Staatswirtschaft unter ihm weiterhin eine große Rolle spielen, wusste man auch, ohne dass so eine autoritär wirkende Machtdemonstration alter Schule nötig gewesen wäre. Einen Gefallen tut sich Xi damit nicht. Besonders international schadet er damit dem Image Chinas, das sich zuletzt gerne als weltoffenes, modernes Land präsentiert hat. Und auch innerhalb der eigenen Bevölkerung sorgt er zumindest bei aufgeklärten Städtern für Befremdung. "Unser Kaiser hat das Mandat des Himmels erhalten und wir müssen niederknien und es akzeptieren", frotzelte etwa ein Nutzer auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo. Andere verglichen Xi mit Yuan Shikai, einem kaiserlichen General, der nach der Revolution von 1911 zuerst als Präsident der Republik China die Macht an sich riss und dann seine eigene Dynastie ausrief.

Chinesen heute aufgeklärter und vernetzter denn je

China ist ja längst nicht mehr das Land, das es noch zu Yuan Shikais oder Maos Zeiten war. Die Chinesen sind heute aufgeklärter, wohlhabender und vernetzter denn je. Trotz Zensur kann man ihnen nicht mehr jede Propaganda auftischen. Und eigentlich muss man das auch nicht mehr, denn Chinas Bürger profitieren ja bereits ganz real von Xis Politik. Er hat die Armutsrate weiter gesenkt, den Binnenmarkt angekurbelt und die Umweltverschmutzung reduziert. Niemals war Chinas Einfluss in der Welt größer als heute. Xi möchte das bevölkerungsreichste Land nicht etwa in einen Bauern- und Arbeiterstaat verwandeln wie Mao, sondern in eine globale Weltmacht, die die USA als stärkste Volkswirtschaft der Welt bald überholt. Und dafür, so lautet offenbar sein Kalkül, braucht es eine langfristige, selbstbewusste Führung unter der Hand eines starken Mannes.

Es stimmt ja auch, dass China in den Augen vieler Entwicklungsländer bereits den aus dem Westen importierten Glauben widerlegt hat, dass es für wirtschaftlichen Erfolg Demokratie, Gewaltenteilung und freie Marktwirtschaft braucht. Auch wenn Xis Rezept in vielerlei Hinsicht in direktem Widerspruch zu den westlichen Werten steht, sollten wir eines nicht vergessen: Mehr Macht bedeutet auch mehr Verantwortung. Und Xi hat sich eine Verantwortung historischen Ausmaßes aufgeladen.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.