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Schritte gegen Sichelzellen-Krankheit

14. Dezember 2015

Jedes Jahr werden Hunderttausende Kinder mit genetischen Blutkrankheiten geboren. Die meisten kommen in Afrika zur Welt. Doch dort fehlt es an Aufklärung und Versorgung, sagt Ärztin Roswitha Dickerhoff.

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Eine Ärztin von Ärzte ohne Grenzen behandelt ein Kind mit Sichelzellen-Krankheit im Sudan (Foto: AFP/ Getty Images)
Eine Medizinerin von Ärzte ohne Grenzen behandelt ein Kind mit Sichelzellen-Krankheit im SudanBild: getty / C. Bouroncle

Deutsche Welle: Als Hämatologin beschäftigen Sie sich mit Blutkrankheiten. Eines Ihrer Themen ist seit Jahrzehnten die Sichelzellen-Krankheit. Ein wichtiges Mittel im Kampf gegen diese Erbkrankheit ist die Untersuchung von Neugebohrenen. Nur so kann frühzeitig festgestellt werden, wer betroffen ist. Wird so etwas in Afrika angewandt?

Roswitha Dickerhoff: In Afrika hat nur ein Land - nämlich Kongo - insgesamt 30.000 Neugeborene gescreent. Die Mediziner sagen aber selber in ihrer Forschungsarbeit, dass die Voruntersuchung in Afrika solange keinen Sinn hat, bis man nicht die Möglichkeit existiert, die diagnostizierten Kinder auch zu betreuen. Und die gibt es nicht.

Was passiert, wenn die Kinder nicht richtig betreut werden?

In Subsahara-Afrika sterben drei Viertel aller Kinder, die mit der Krankheit auf die Welt kamen, bevor sie fünf Jahre alt werden. Das liegt daran, dass die elementare Versorgung nicht gewährleistet ist. Es gibt keine Impfung gegen die Pneumokokken. Die Kinder bekommen kein Penicillin. Dann kommt noch die Malaria hinzu, die bei diesen Kindern sehr schwer verläuft. Und dann sind da noch unterschiedliche Durchfall-Erkrankungen, Fieber jeglicher Art, schwere Komplikationen, wo sie eigentlich frisches Blut benötigen, aber kein sicheres Spenderblut vorhanden ist.

Kinderärztin Roswitha Dickerhoff (Foto: R. Dickerhoff)
Roswitha Dickerhoff forscht seit den 1970er Jahren an der Sichelzellen-KrankheitBild: R. Dickerhoff

Wer in Afrika einen Schlaganfall bekommt, der hat kaum Möglichkeiten der Rehabilitation. Wir hatten neulich ein Kind aus Angola, das hatte mehrere Schlaganfälle hinter sich. Es ist einfach Zuhause liegen gelassen worden. Das Kind war völlig verkrüppelt und hatte Kontrakturen. Es konnte sein Knie und den Ellbogen nicht mehr strecken und weder laufen noch stehen. So enden diese Kinder.

Das heißt: In Afrika muss erst mal eine Struktur geschaffen werden, die es ermöglicht, dass diese Kinder überhaupt überleben.

Viele Sichelzell-Kinder sterben. Wer überlebt ist medizinisch schlecht versorgt. Wie geht die Gesellschaft damit um?

In Afrika gilt diese Erkrankung als Makel, als Strafe für eine Sünde, die die Eltern begangen haben. Mütter werden in vielen Fällen zu einer Scheidung gezwungen, nachdem sie ein krankes Kind zur Welt gebracht hat. Es zerbrechen Familien, die Eltern werden schlecht behandelt. Die Patienten werden - wenn sie die ersten Jahre überlebt haben - diskriminiert. Dadurch entstehen viele psychische Probleme.

Was müssten die Behörden in Afrika ganz dringend tun?

Erstens: Aufklärung in der Bevölkerung. Was ist die Krankheit? Es ist keine Magie, es ist kein Zauber, es ist kein Makel. Sondern es ist eine Erbkrankheit wie viele andere auch. Man kann die Träger feststellen und auch feststellen ob das Kind krank ist. Man kann etwas tun, damit diese Kinder überleben. Auch das würde den Makel nehmen. In Afrika gilt bis jetzt die Ansicht: Diese Krankheit ist ein Todesurteil. Manche Eltern warten regelrecht auf den Tod des Kindes.

Zweitens: Es müssen die elementarsten Dinge unternommen werden, damit diese Kinder das fünfte Lebensjahr erreichen. Sie müssen geimpft werden, sie brauchen Penicillin und es müssen Stellen geschaffen werden, die die Komplikationen solcher Kindern kennen. Ein gutes Beispiel ist die Milzsequestration: Es gibt eine ganz simple Methode, danach zu tasten. Und es muss die Möglichkeit geschaffen werden, sicheres Blut zu geben. Bei einigen dieser Komplikationen ist Blut lebensrettend.

Sichelzellenanämie
Die Diagnose ist der erste Schritt zu einer erfolgreichen Behandlung - ein Arzt im Senegal untersucht eine Blutprobe.Bild: picture alliance / dpa

Gibt es denn auch Lichtblicke?

Es gibt eine Studie in Nigeria die helfen soll, Schlaganfälle bei Kindern mit Sichelzell-Krankheit zu verhindern. Die Mediziner dort versuchen, Kollegen an der transkraniellen Dopplersonografie auszubilden und in einigen Zentren die Kinder zu untersuchen. Die können dann zwar nicht auf ein chronisches Transfusionsregime [regelmäßige Blutzufuhr , Anm. d. Red.] gesetzt werden, weil gar nicht genug sicheres Blut da ist, sondern sie bekommen ein Medikament, das seit vielen Jahren auch bei einigen Leukämien angewandt wird. Von dem weiß man, dass es nicht nur Schmerzen verhindern, sondern auch die Flussgeschwindigkeiten des Blutes in den Hirngefäßen vermindern kann. Man will so versuchen, zumindest einige der Komplikationen bei diesen Kindern zu vermeiden. Dabei geht es meistens darum, mit relativ einfachen Mitteln, einigen Kindern zumindest die schwierigen Komplikationen zu ersparen.

Viel komplexer ist eine Stammzelltransplantation. Die kommt zwar nur für wenige Patienten mit passenden Spendern in Frage, zeigt dann aber auch Erfolg. Welche Bedeutung hat sie für Afrika?

Jedes Sichelzell-Kind in Nordamerika oder Mitteleuropa, das einen passenden Familienspender hat, sollte transplantiert werden. Es ist hier klar: Fast alle Erwachsenen haben später schwere Organschäden. Aber bevor man sich über eine Transplantation unterhält, muss gewährleistet sein, dass die Grundversorgung gegeben ist. Eine Transplantation ist ein sehr kostspieliges und aufwendiges Verfahren. Meiner Meinung ist es in einem Land, das nicht einmal die Basisversorgung bereitstellen kann, ethisch nicht vertretbar, nur einige wenige Patienten herauszupicken und zu sagen: Wir transplantieren Euch. Das Geld sollte in eine Versorgung für alle gesteckt werden.

Und wenn das verwirklicht wird, nämlich die Aufklärung der Bevölkerung über die Natur der Krankheit und die Basisversorgung der Kinder, damit sie erst mal das fünfte Lebensjahr erreichen - dann kann man irgendwann mal darüber sprechen, ob es sinnvoll ist, einige dieser Patienten zu transplantieren. Aber jetzt von Transplantation zu sprechen - auf einer breiten Ebene - das wäre wie das Pferd von hinten aufzuzäumen.

Gibt es auch in den westlichen Industriestaaten noch Herausforderungen beim Umgang mit der Sichelzell-Krankheit?

Die Sterblichkeit gerade bei jungen Erwachsenen ist groß. Auch in den Ländern, in denen es eigentlich eine gute Versorgung gibt. Das liegt daran, dass der Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin in allen Ländern ein ganz großes Problem darstellt.

Die Internisten haben immer noch nicht die nötige Einstellung zur Krankheit. Die gehen immer noch davon aus: Daran stirbt man als Kind! Das war früher so - sowohl in Amerika als auch bei uns - und diese Einstellung gilt bei vielen immer noch. Die Versorgung erwachsener Sichelzell-Patienten in Deutschland weist noch erhebliche Mängel auf.

Das Interview führte Fabian Schmidt

Roswitha Dickerhoff ist Fachärztin für Kinder-Onkologie und Hämatologie an der Universitäts-Kinderklinik Düsseldorf.