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Frankreichs Elite-Hochschulen

Andreas Noll7. März 2007

Kaum ein französischer Präsident oder Premierminister, der nicht Absolvent einer Elite-Hochschule in Paris war. Kritiker behaupten, dass eine sich selbst reproduzierende Bildungselite die Geschicke des Landes steuert.

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Blick auf den Innenhof der Ecole Nationale d'Administration (ENA) in Paris mit modern gestaltetem Brunnen
Top-Manager für den Staatsdienst und die freie Wirtschaft - Die "Ecole Nationale d'Administration" in ParisBild: dpa - Bildarchiv

Auf den kleinen Tischen im schmucklosen Café Basile liegen Seminarunterlagen. Die Notebooks sind drahtlos mit dem Internet verbunden. Auf den roten Sitzbänken machen es sich die jungen Studenten bequem. Einige von ihnen haben Rollkragenpullover an, viele ein Jacket über dem Hemd. Vielleicht ist an diesem Abend ein zukünftiger Premierminister oder Chef eines Weltkonzerns unter den Gästen, unwahrscheinlich ist das nicht. Denn das "Basile" liegt gleich neben der Pariser Elite-Hochschule "Institut d'Etudes Politiques de Paris", kurz "Sciences Po" genannt.

Sciences Po zu ENA – Ein Sprungbrett auf den Olymp

Zum Studium an der Sciences Po führt, wie bei allen Grandes Écoles, nur ein strenges Auswahlverfahren. Die Studenten, die hier zwischen zwei und fünf Jahren büffeln, belegen neben Vorlesungen in Politik auch Kurse in Wirtschaft, Philosophie und Sprachen. "Sciences Po" unterhält Kooperationen mit mehr als 200 Hochschulen weltweit, etwa 1300 der 5000 Studenten kommen derzeit aus dem Ausland. Ganz günstig ist das Studium allerdings nicht. Je nach eigenem Einkommen bezahlt ein Student 500 bis 5000 Euro Studiengebühren im Jahr. Es gibt aber auch ein gut ausgebautes Stipendien-System.

Nach dem Studium gelten die Studenten als Generalisten, die sich in kürzester Zeit in die unterschiedlichsten Themen einarbeiten. Manche schaffen den Sprung von der "Sciences Po" auf den Olymp, die ENA. Wer die harte Aufnahmeprüfung für die "École Nationale d'Administration" schafft, kann schon mit 25 Jahren auf einem Führungsposten eines Pariser Ministeriums sitzen. So wie die Deutsche Katrin Moosbrugger, die gleich nach der ENA als Referatsleiterin im Umweltministerium anheuerte. Ein ENA-Abschluss, sagt sie, ist meist das Ergebnis einer langen Karriereplanung. "In Frankreich muss man schon im Kindergarten wissen, dass man zur Elite gehören will" und dass man ein bisschen schneller die Puzzles zusammensetzen müsse als alle anderen Mitschüler.

Als ENA-Absolvent hat man ein weltweites Netzwerk

Für die Studenten ist die ENA vor allem die Vorbereitung auf das Berufsleben. Das theoretische Wissen wird schon in den ENA-Vorbereitungsklassen vermittelt, so Moosbrugger. In den ENA-Kursen berichten Dozenten aus der Verwaltungspraxis. Am Ende der Ausbildung gibt es eine Rangliste der 100 Jahrgangs-Absolventen und ein Versprechen für die Zukunft: "Als ENA-Absolvent hat man ein weltweites Netzwerk. Wenn man irgendjemanden braucht, kennt man zumindest jemanden, der den anderen kennt."

So dass man am Ende dorthin komme, wo man gerne hin möchte oder zumindest die Information habe, so Katrin Mosbrugger.

Ungleiches System unter dem Vorwand der Gleichheit

Die Wege von der ENA führen in den Staatsdienst, aber auch in die freie Wirtschaft. Viele Top-Manager in Politik, Verwaltung und Wirtschaft kennen sich aus der gemeinsamen ENA-Zeit. Als Präsident Charles de Gaulle die ENA 1945 gründete, wollte er die besten Köpfe für die französische Staatsverwaltung rekrutieren. Heute sei es das gut verdienende Bürgertum, das seine Söhne und Töchter auf die ENA schicke, kritisiert ENA-Absolvent und Buchautor Nicolas Baverez: "In den Grandes Écoles lag der Anteil der Arbeiter in den Fünfziger Jahren bei 25 Prozent, jetzt sind es noch fünf. Das ist sehr französisch."

Unter dem Vorwand der Gleichheit habe sich ein System entwickelt, das vollkommen ungleich sei, behauptet Nicolas Bavarez. Nach langen kontroversen Debatten haben in Frankreich die ersten Grandes Écoles beschlossen, Studienplatzquoten für Talente aus den Unruhe-Vorstädten einzuführen. Denn bislang findet die soziale "Durchmischung" nur an den kostenlosen staatlichen Universitäten statt. Hier investiert der Staat allerdings nur ein Zehntel dessen, was er für die Elite-Hochschulen ausgibt. Nicolas Bavarez: "Das System in seiner Gesamtheit ist krank. Frankreich ist das einzige Land auf der Welt, das mehr Geld in einen Gymnasiasten als in einen Studenten steckt."

Hohe Anforderungen in den ENS-Vorbereitungsklassen

An der prestigeträchtigen "École Normale Supérieure", der Elite-Hochschule für den Professoren-Nachwuchs, verwenden die Studenten bis heute einen eigenen Sprachjargon, auch um sich von der Masse abzuheben. Wie bei jeder Grande École führt der Zugang auch hier über die Vorbereitungsklassen, die Abiturienten ein oder zwei Jahre lang besuchen. Der "Normalien" (Bezeichnung für einen ENS-Studenten) Alexandre Mirlesse hat als einer von vier Absolventen, von ursprünglich fünfzig Abiturienten, die "Classe Prépa" nach zwei Jahren abgeschlossen. Im Rückblick sagt er: "Man kann die Vorbereitungsklassen mit einem Schriftsteller vergleichen, Montaigne und ein bisschen Rabelais. Im ersten Jahr gibt es, wie bei Rabelais, diesen unstillbaren Durst nach Wissen. Man liest bis in die Nacht hinein."

In dieser Zeit sei es der Professor, der erzähle und der Schüler höre zu und pauke soviel Stoff wie möglich. Im zweiten Jahr sei es Montaigne, also die Bildung, der Schwerpunkt. Da lerne man Eleganz im Stil, Verbindungen zwischen den Fächern zu entwickeln und sich eine eigene Meinung zu bilden. Bis zu zwölf Stunden täglich habe er damals den Stoff in sich hineingefressen, erzählt der Literaturstudent. Vor einem Jahr habe er die Aufnahme gepackt und könne jetzt durchatmen. Der 20-Jährige packt seine Unterlagen zusammen und verschwindet im Pariser Studentenviertel.