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Politik

Schwarze Roben, braune Gesinnung

Richard A. Fuchs
11. Oktober 2016

Nach 1945 arbeiteten viele NS-Juristen weiter im Staatsdienst. Wie braun das Justizministerium war, hat jetzt eine Historiker-Kommission mit schockierenden Zahlen nachgewiesen. Eine Bestandsaufnahme.

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Deutschland Richter am Volksgerichtshof Hitlergruß
NS-Richter - vielfach auch nach dem Krieg noch im StaatsdienstBild: picture-alliance/akg-images

Erst  war er Staatsanwalt an einem Sondergericht  in Innsbruck, dann hochrangiger Beamter im Justizministerium der noch jungen Bundesrepublik: Eduard Dreher gehört zu jenen NS-Juristen, die nach 1945 schnell wieder Karriere machten. Dreher musste keine Strafverfolgung durch ordentliche Gerichte fürchten, denn er selbst sorgte im zuständigen Ministerium dafür, dass tausende NS-Richter – inklusive er selbst - straffrei ausgingen. Und dass, obwohl Historiker ihm in mindestens 17 Fällen nachweisen konnten, dass er vor 1945 die Todesstrafe im Sinne der NS-Ideologie beantragt hatte.

Das System wechselte – die Juristen kaum

So steht der "Fall Dreher" symbolisch für das, was eine unabhängige Historiker-Kommission als Fazit aus vier Jahren Aktenstudium in den Archiven des Justizministeriums herausgefunden hat: Es gab eine hohe personelle Kontinuität zwischen NS-Justiz und dem Justizministerium in der noch jungen Bundesrepublik. Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte das Forschungsprojekt 2012 ins Leben gerufen.

Am Montag wurden in Berlin die Ergebnisse der "Akte Rosenburg" vorgestellt, ein Historiker-Dossier benannt nach dem ersten Dienstsitz des Ministeriums in Bonn. Für Manfred Görtemaker, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam, war das Ausmaß der braunen Karrieren im Nachkriegsdeutschland schockierend: "In manchen Abteilungen hatten praktisch alle eine braune Vergangenheit." Die Zahlen schockieren: Von 170 Juristen, die in der Nachkriegszeit in Führungspositionen im Ministerium saßen, hatten 90 ein Parteibuch der Hitler-Partei NSDAP und 34 waren sogar Mitglieder der paramilitärischen Sturmabteilung SA gewesen.

Manfred Görtemaker Historiker aus Potsdam
Professor Manfred Görtemaker hat als Historiker den Bericht "Akte Rosenburg" mitverfasstBild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

Görtemaker und ein Team von Historikern und Juristen konnten alle bis dato geheime Personalakten der Jahre 1949 bis 1973 des Ministeriums sichten. Der heutige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) dankte den Historikern für ihre Aufklärungsarbeit, die auch Mahnung für heute sei. "Die Erfahrung in der Nazi-Justiz wurde in der noch jungen Bundesrepublik offenbar mehr geschätzt als eine demokratische Gesinnung."

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spannte bei der Vorstellung des Berichts ebenfalls den Bogen zur heutigen Situation, in der Rechtspopulisten und rechtsextreme Gewalt demokratische Institutionen vor neue Herausforderungen stellten. "Wenn man allein sieht, wie das Wort 'völkisch' heute wieder verwandt wird, dann sollte man sich genau anschauen, was passiert, wenn Abstammung und Rasse zum Kriterium für politisches Handeln werden", so Leutheusser-Schnarrenberger.

Deutschland Rosenburg ehemaliges Bundesjustizministerium in Bonn Kessenich
Die Rosenburg in Bonn: Im ersten Justizministerium nach dem Krieg gingen NS-Karrieren weiterBild: picture-alliance/dpa

Juristen schützen sich selbst vor Strafverfolgung 

Dass die braune Unterwanderung der Nachkriegsjustiz politische Folgen hatte, das macht der Bericht unmissverständlich deutlich. So setzten die vormaligen NS-Juristen nach 1949 alle Hebel in Bewegung, um die Strafverfolgung von NS-Verbrechern zu hintertreiben, so Professor Manfred Görtemaker. "Es hat nach 1949 keinen einzigen Richter oder Staatsanwalt gegeben, der für das, was er während des Dritten Reiches getan hat, zur Verantwortung gezogen wurde." Die Justiz habe sich gewissermaßen kollektiv selbst amnestiert. Maßgeblich daran beteiligt war die so genannte "zentrale Rechtsschutzstelle", eine Unterabteilung des Ministeriums. Diese habe den Auftrag gehabt, so Görtemaker, im Ausland lebende NS-Straftäter vor Strafverfolgung zu warnen. "Das heißt, das Bundesministerium der Justiz hat sich aktiv an der Verhinderung von Strafverfolgung beteiligt."

Heiko Maas Bundesjustizminister
Justizminister Heiko Maas (SPD) will die Opfer der Unrechtsjustiz entschädigenBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Zudem formulierte die Bundesregierung von 1959 an ein geheimes Kriegsrecht. Die Dokumente, also 45 Notverordnungen, waren aus der Feder führender Juristen mit NS-Belastung geschrieben worden und atmeten den Geist der Unrechtsgesetze des Dritten Reiches. "Für dieses geheime Kriegsrecht gab es keine Grundlage im Grundgesetz, viele Vorschriften verstießen sogar gegen die Grundrechte, beispielsweise sollte eine polizeiliche Vorbeugehaft eingeführt werden - die Wiederkehr der berüchtigten Schutzhaft", erläuterte Justizminister Heiko Maas. Auch deshalb sei dies ein "organisierter Verfassungsbruch" gewesen – unter tätiger Mithilfe der Juristen mit brauner Vergangenheit.

Besonders dreist seien die Juristen bei der Verhinderung der eigenen Strafverfolgung vorgegangen, ergänzt Professor Manfred Görtemaker. Führende Juristen, darunter auch Eduard Dreher, hätten gezielt auf Gesetzesänderungen hingewirkt, die zu einer schnellen Verjährung von NS-Verbrechen führten. "Das hatte zur Folge, dass tausende oder gar zehntausende von Beihilfetätern straffrei ausgingen", so Görtemaker.

Entschädigung für zu Unrecht Verurteilte?

Nazis im Staatsdienst - das Justizministerium erforscht seine eigene Vergangenheit

Auch manche Gesetze seien nur unzureichend entnazifiziert, sagen die Historiker. So wurde die Diskriminierung von Homosexuellen oder Sinti und Roma vom Dritten Reich in die Bundesrepublik weitervererbt. Als Beispiel nannte der Justizminister die Verfolgung von Homosexuellen nach 1945, die auf dem von der NS-Diktatur übernommenen Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs basierte. Darin wurde Sex zwischen Männern unter Strafe gestellt.

Während viele Länder weltweit in den 60er Jahren die Straffreiheit für Homosexualität einführten und auch die meisten progressiven Juristen in Deutschland eine solche Entkriminalisierung forderten, mauerten die Juristen im Justizministerium. "Sie beharrten stur darauf, dass Homosexualität weiter strafbar sein müsse, und sie taten das mit den Argumenten aus der NS-Zeit", sagte Maas.

Jetzt gelte es, die Opfer solcher Unrechtsjustiz zu rehabilitieren, sagte Maas. Im Falle der Homosexuellen folgten bis zur endgültigen Abschaffung des Paragrafen im Jahr 1994 rund 50.000 Verurteilungen. 50.000 Unrechtsurteile, die der Justizminister durch eine Gesetzesnovelle für Unrecht erklären will. Die Opfer sollen zudem den Anspruch auf Entschädigung erhalten. Für Gutachter Christoph Safferling, Professor für Strafrecht an der Universität Nürnberg-Erlangen, ein sichtbarer Beweis, warum geschichtliche Aufarbeitung keine Nebensächlichkeit ist. "Hier geht es um nichts anderes, als um den Kampf für den Rechtsstaat - und zwar in jeder Materie."