1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schneller, kürzer, oberflächlicher?

Marcel Fürstenau2. Dezember 2015

Im digitalen Zeitalter ändert sich die Kommunikation mit rasender Geschwindigkeit. Die Folgen für den gesellschaftlichen Dialog sind gravierend. Besonders betroffen: das Verhältnis zwischen Politik und Medien.

https://p.dw.com/p/1HG3y
Die Logos von Twitter, Facebook und anderen sozialen Medien symbolisieren das weite Feld der sogenannten social Media
Bild: DW/S. Leidel

"Lügenpresse" - das Schimpfwort der "Pegida"-Bewegung fiel natürlich auch an diesem Abend. Es ist Teil des Rituals in Dresden, wo jeden Montag tausende selbsternannte "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" auch die Medien verunglimpfen. Die Lieblingsvokabel der rechtslastigen Demonstranten erwähnte auch der ehemalige Regierungssprecher Ulrich Wilhelm - auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Es ging um die politische Kommunikation im digitalen Raum.

Bei diesem Thema kennt sich Wilhelm so gut aus wie nur wenige. Jahrelang erklärte er die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aus dem Zentrum der Macht wechselte er zum Bayrischen Rundfunk, wo er seit knapp fünf Jahren Intendant ist. Der Volljurist kennt also beide Seiten. Er weiß aus jahrelanger Erfahrung, wie schnelllebig das Geschäft für alle Beteiligten ist. In Zeiten des Internets ist das Tempo inzwischen so hoch, dass häufig von Echtzeit-Journalismus die Rede ist. Auch dieser Begriff spielte eine Rolle in der Gesprächsrunde mit vier Kommunikationsprofis, die von TV-Korrespondent Matthias Deiß moderiert wurde.

Politik steht unter Dauerbeobachtung - live!

Das Format der Veranstaltung war also klassisch in dem Sinne, dass die Diskutanten artig nebeneinander saßen und ihnen geschätzt 150 Leute zuhörten. Man nahm sich also Zeit, Gedanken reifen zu lassen, Thesen zu formulieren und ausführlich zu begründen. Man tat also das, was in sozialen Netzwerken oft zu kurz kommt oder bei einem Medium wie Twitter mit einer vorgegebenen Begrenzung von 140 Zeichen unmöglich ist. Doch gerade um diese digitalen Kommunikationswege und ihre Folgen für den gesellschaftlichen Diskurs drehte sich die Diskussion.

Was bedeutet es für die Politik, wenn ihr Handeln permanent live begleitet und kommentiert wird? Wobei die Akteure sich an dieser Interaktion munter beteiligen, indem sie beispielsweise aus dem Plenum des Bundestages Tweets absetzen. So wie es Journalisten oder Zuschauer auf der Tribüne tun. Dorothee Bär, CSU-Abgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin im Verkehrsministerium, hat sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Die 37-Jährige twittert eifrig, musste aber lernen, "mir die Folgen zu überlegen". Soll heißen: Jede Äußerung über das Kurznachrichten-Portal hat das Potenzial, ein Skandal zu werden oder einen sogenannten Shitstorm im Netz auszulösen. Deshalb frage sie auch mal ihren Mann, bevor sie etwas ins Netz stellt, verriet die aus Bamberg stammende Politikerin.

Dorothee Bär will nicht Merkels Nachfolgerin werden

Bärs Auftritt bei der Adenauer-Stiftung gefiel einem ihrer gut 35.000 Follower so gut, dass er begeistert twitterte, er wünsche sich, "dass Sie die nächste Bundeskanzlerin werden". Die Antwort folgte prompt: "Ich mir nicht", retweetete die Hochgelobte nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung. Es hätte ja auch keinen guten Eindruck gemacht, während der Diskussion mit dem Smartphone eine Nachricht abzusetzen… Ein Bild, das ansonsten längst zur (schlechten) Gewohnheit geworden ist - nicht nur in der Politik.

Bundeskanzlerin Merkel kommuniziert mit ihrem Handy
Auch Bundeskanzlerin Merkel kann man im Bundestag oft in dieser Pose sehenBild: picture-alliance/AP Photo/A. Schmidt

Für Staatssekretärin Bär, von Amts wegen auch für digitale Infrastruktur zuständig, überwiegen jedoch ganz klar die Vorteile. Die Kommunikation mit ihren Wählern und der Bevölkerung sei insgesamt "niederschwelliger" geworden. Als Beispiel nannte sie die stark gestiegene Zahl der Petitionen, die online im Bundestag eingereicht werden. Wie schnell sich im digitalen Raum die Zeiten ändern, erlebt Bär, wenn sie Schülergruppen aus ihrem Wahlkreis im Bundestag herumführt. Ein Gruppenfoto für die Facebook-Seite oder als Tweet? Eher nicht, die jungen Leute sind längst bei Instagram, musste Bär amüsiert zur Kenntnis nehmen.

Die positiven Seiten des Shitstorms

Abgesehen von digitalen Vorlieben plauderte die Runde aber vor allem über Chancen und Risiken der modernen Plattformen. Kommunikationsberater Axel Wallrabenstein von der MSL-Group schwärmte über die positive Stimmung im Silicon Valley, wo er gerade gewesen sei. Ein Shitstorm im Internet könne auch "inspirierend und bewegend sein und neue Debatten auslösen". Dennoch vermisst Wallrabenstein in der politischen Kommunikation mitunter das, was er "Einordnung" nennt. Und schon war man in einer typischen Medien-Debatte, bei der es um Dinge wie "Qualitätsjournalismus" und "Schwarmintelligenz" im Internet geht.

Eine nüchterne Bestandsaufnahme aus akademischer Perspektive lieferte Christoph Neuberger. Der Direktor des Münchener Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung konstatierte eine zunehmende Verflachung und Oberflächlichkeit. An Journalisten appellierte er, nicht aus jedem Aufreger-Thema in sozialen Medien eine Meldung zu machen. Seine Empfehlung: In Ruhe zur Kenntnis nehmen und einordnen. Und fast beiläufig erinnerte Neuberger daran, dass Facebook oder Twitter nicht gegründet worden seien, "um die Kommunikation zu verbessern". Das Motiv sei gewesen, "damit viel Geld zu verdienen". Seine Prognose für die Zukunft: Die Bedeutung der klassischen Medien wird weiter abnehmen, die Markenbindung nachlassen. Und trotz seines negativen Befunds für die aktuelle Situation bleibt Neuberger optimistisch: Im Internet würden sich die nötigen Foren für eine entschleunigte Kommunikation schon entwickeln.

Das englische Wort "shitstorm" im deutschsprachigen Duden
Das englische Wort hat längst Eingang in den deutschen Sprachgebrauch und den Duden gefundenBild: picture-alliance/dpa

Ein Kommunikationsberater empfiehlt Jackson Pollock

Moderator Matthias Deiß tweetete nach der Veranstaltung seinen Dank in den endlosen digitalen Raum: "Danke @DoroBaer, @walli5, Ulrich Wilhelm, Christoph Neuberger u. Bundestagspräsident #Lammert f.e. spannende Stunde!" Wer diese Form des Dialogs nicht sofort versteht, könnte Nachholbedarf in Sachen politische Kommunikation haben. Ulrich Wilhelm, der früheren Merkel-Sprecher und amtierende BR-Intendant, hält das auch für sich und seinen Sender für möglich. "Treffen wir ein Thema? Lassen wir uns zu sehr treiben? Blenden wir wichtige Aspekte aus?" Alles Fragen vor dem Hintergrund der digitalen Revolution im Medienbereich.

Zu den Folgen dieser Entwicklung gehören dann auch Erkenntnisse wie diese: Axel Wallrabenstein hat am Montag eine Jackson Pollock-Ausstellung angesehen und tags zuvor einen guten Weißwein getrunken. Berichtete Moderator Deiß zu Beginn der Diskussion und nannte als Quelle Wallrabensteins Twitter-Account. Die Veranstaltung in der Berliner Adenauer-Stiftung hatte übrigens noch einen Untertitel: "Vom Glanz und Elend der öffentlichen Rede".