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Schlichten statt Richten

Julia Mahncke20. März 2013

Ob in der Familie, unter Nachbarn oder nach einem Autounfall - ein ernster Streit muss nicht immer vor Gericht enden. Oft ist der Gang zu einem Schlichter die schnellere und günstigere Alternative zu einem Prozess.

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Mann und Frau streiten Foto: Jan-Philipp Strobel (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Libanese Hassan Allouche hat schon mehrfach für Schlagzeilen in deutschen Medien gesorgt. Der selbst ernannte "Friedensrichter" war erst vor Kurzem wieder Skandalfigur in einem Bericht des Boulevardblatts "Bild". Denn er löst spektakuläre Streitfälle unter Berliner Muslimen, wie etwa eine Stecherei zwischen zwei arabischen Großfamilien auf einer Hochzeit. Und er ist nicht der Einzige: Abseits des deutschen Rechtssystems schlichten Männer wie Allouche Auseinandersetzungen in der muslimischen Subkultur - und das "im Namen Allahs", wie die "Bild" schreibt.

So manche Beobachter fürchten, dass die "Friedensrichter" im Verborgenen ein paralleles Justizsystem in Deutschland einführen. Es ist nicht bekannt, wie viele islamische Streitschlichter es in Deutschland gibt, die sich bei der Konfliktlösung eher an der Scharia als an deutschen Gesetzen orientieren. Offizielle Zahlen liegen dazu nicht vor.

Schneller und billiger als ein Prozess

Bei der Debatte um die islamischen Friedensrichter gerät oft in den Hintergrund, dass der Einsatz von privaten Mediatoren auch in Deutschland gar nicht unüblich ist. Deren Engagement wird teilweise sogar von der Justiz begrüßt, weil sie die Gerichte entlasten.

In einigen deutschen Bundesländern gibt es sogenannte Schiedsmänner und -frauen. In Nordrhein-Westfalen stellen sich Ehrenamtliche vor dem Stadtrat zur Wahl und lernen in einem Wochenendlehrgang, wie sie als Schiedsperson agieren müssen. "Die häufigsten Fälle sind natürlich Nachbarschaftsstreitigkeiten", berichtet Ilse Stibbe, die seit 23 Jahren als Schiedsfrau in Köln tätig ist. "Gerade hatte ich wieder einen Fall, da hatte eine Frau sich ein Laufband gekauft, und immer, wenn sie drauf lief, bebte die Wohnung nebenan. Am Ende haben wir verabredet, dass sie Polster unter dem Gerät anbringt."

Monika Ganteföhr Foto: privat
Monika Ganteföhr: "Jeder kann zu uns kommen"Bild: privat

Zwischen 30 und 50 Euro kostet es in der Regel, wenn jemand den Dienst einer Schiedsperson in Anspruch nehmen möchte. Außer Familien- und Arbeitsrecht darf hier alles geregelt werden, also auch Körperverletzung oder Unfallschäden. "Wir können einen Vergleich schließen und der ist 30 Jahre lang gültig", sagt Stibbe. Einigen sich also ein Unfallgeschädigter und der Verursacher darauf, dass 3000 Euro Schadenersatz gezahlt werden soll, und die Zahlung erfolgt nicht, kann der Geschädigte die Summe einklagen.

"Auch Menschen aus anderen Kulturkreisen können zu uns kommen", sagt Monika Ganteföhr, Vorsitzende des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen. Die Gespräche müssen auf Deutsch geführt werden, aber ein Begleiter, der beim Übersetzen hilft, ist erlaubt. "Das ist kein Problem. Ich habe schon erlebt, dass eine türkische Frau ihr 14-jähriges Kind mitgebracht hat, das wunderbar übersetzen konnte."

Menschen mit Migrationshintergrund oder Einwanderer würden allerdings selbst eher selten zur Schiedsperson ernannt. Ein Grund dafür, so Ganteföhr, sei die Voraussetzung, dass die Bewerber EU-Bürger sein müssen. Ein anderer, dass die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift Pflicht ist. Ganteföhr bemängelt auch den geringen Bekanntheitsgrad dieser Art der außergerichtlichen Einigung. Dabei liege die Einigungsquote immerhin bei durchschnittlich 50 Prozent.

Schlichten hat Tradition

Dass Migranten aus dem arabischen Raum sich insgesamt öfter an Streitschlichter aus der eigenen Gemeinschaft wenden als an ausgebildete Schiedspersonen oder an die Polizei, hat viele Gründe, sagt Naseef Naeem. Er hat in Syrien Rechtswissenschaft studiert und arbeitet heute als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Seminar für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Göttingen. "Viele Einwanderer wissen einfach nicht, wie unser Rechtssystem funktioniert", gibt Naeem als einen Grund für den Besuch eines arabischen Streitschlichters an.

Dr. iur. Naseef Naeem Wissenschaftlicher Mitarbeiter Seminar für Arabistik / Islamwissenschaft Zugeliefert von Naseef Naeem über Julia Mahncke
Naseef Naeem: "Migranten trauen deutschen Behörden nicht"Bild: privat

Außerdem hätte diese Methode Tradition, auch unter Christen aus der Region. Manchmal sei es auch der illegale Aufenthalt oder illegale Geschäfte in Deutschland, der die Zerstrittenen daran hindert, zur Polizei oder zu einem Anwalt zu gehen. Er halte allerdings nichts von den arabischen und türkischen Streitschlichtern in Deutschland, so Naeem im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sie würden nicht zur Integration beitragen und verhinderten, dass der deutsche Staat seine Schutzpflicht ausüben kann.

Während die arabischen und türkischen Streitschlichter nicht grundsätzlich im Rahmen des Islam agieren, gibt es Schiedsgerichte in Deutschland, die an religiöse Regeln anknüpfen. Das Rabbinatsgericht in Berlin zum Beispiel. Streiten sich zwei Juden, können sie ihre Auseinandersetzung ganz traditionell von Rabbinern schlichten lassen.