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Schlecht Ausgebildete bekommen Konkurrenz

1. Mai 2011

Bürger aus acht osteuropäischen Ländern dürfen seit dem 1. Mai auch in Deutschland ohne Einschränkungen arbeiten. Was ändert sich jetzt am deutschen Arbeitsmarkt, und wer könnten Gewinner und Verlierer sein?

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Eine Pflegerin schiebt eine alte Frau im Rollstuhl (Foto: AP/2007)
Pflegefachkräfte werden vermutlich auch zukünftig fehlenBild: AP

Glaubt man Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, braucht man sich in Deutschland nicht zu fürchten vor zusätzlichen Arbeitskräften aus Osteuropa. Im Gegenteil: "Uns geht nicht die Arbeit aus, uns gehen die Arbeitskräfte aus. Und das wird in den nächsten Jahren noch zunehmen", sagte von der Leyen im deutschen Fernsehen mit Blick auf den Fachkräftemangel in Deutschland.

Seit dem 1. Mai ist der deutsche Arbeitsmarkt auch für Arbeitnehmer aus acht osteuropäischen Ländern vollständig geöffnet. Sie brauchen dann keine Arbeitserlaubnis mehr und haben das gleiche Recht, wie alle EU-Bürger: Sie dürfen in der Europäischen Union arbeiten, wo sie wollen. Und das, ohne dass erst geprüft werden muss, ob für genau diesen Job nicht auch ein deutscher Arbeitnehmer in Frage kommt. Nur die Bulgaren und Rumänen müssen noch bis Ende 2013 warten. Deutschland und auch Österreich hatten mit der Aufnahme neuer EU-Mitglieder 2004 den Zugang zu ihren Arbeitsmärkten für Bürger aus bestimmten Ländern beschränkt.

Schätzung: 100.000 Menschen pro Jahr

Saisonarbeiter aus Osteuropa bei der Kohlrabi-Ernte am Bodensee (Foto: AP/2003)
Saisonarbeiter aus Osteuropa bei der Kohlrabi-Ernte am BodenseeBild: AP

Wie viele Menschen aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Ungarn und den drei baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen) sich nun auf den Weg nach Deutschland machen, kann nur geschätzt werden. Experten rechnen mit gut 100.000 Personen, die pro Jahr nach Deutschland kommen werden. Bis zum Jahr 2020 wären das rund eine Million Menschen. Von einem Massenansturm kann also keine Rede sein. Den erwartet auch der EU-Arbeitskommissar Laszlo Andor nicht.

Schon jetzt arbeiten rund 600.000 Menschen aus osteuropäischen Staaten in Deutschland. Frauen vor allem in der Gesundheits- und Pflegebranche, aber auch im Handel oder in der Gastronomie. Männer sind besonders in der Industrie beschäftigt, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft.

Grafik mit den Zahlen der Arbeitsgenehmigungen an Bürger aus Osteuropa 2010 (Grafik: DW)

Doch wer kommt wirklich nach Deutschland? Bundesarbeitsministerin von der Leyen geht davon aus, dass Facharbeiter hier Jobs suchen werden. Allerdings sind bereits seit 2004 viele Ärzte, Pfleger, Handwerker oder Ingenieure nach Großbritannien oder Schweden gegangen, wo sie von Anfang an willkommen waren.

Qualifizierte Migranten sind gut für die Volkswirtschaft

In Deutschland würden durch die Zuwanderung die meisten Arbeitnehmer gewinnen, meint Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg: "Mit den Migranten kommen auch Personen, die hier Steuern zahlen, die hier Beiträge in die Sozialversicherungssysteme einzahlen und die letztendlich zur Wertschöpfung unserer Volkswirtschaft beitragen", so Möller im ARD-Interview.

In manchen Regionen in Ostdeutschland ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch - beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern (Foto: AP)
In manchen Regionen in Ostdeutschland ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch - beispielsweise in Mecklenburg-VorpommernBild: AP

Ob die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes mehr Chancen als Risiken bringt, hängt von der Region ab, sagt Arbeitsmarkt-Experte Möller. Denn auch in Deutschland gibt es Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit - beispielsweise in einigen ostdeutschen Bundesländern. "Hier geht es sicher auch darum, das inländische Potential in Arbeit zu bringen. Aber auf der anderen Seite haben wir gerade in Süddeutschland einige Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit inzwischen unter drei Prozent liegt. Da ergeben sich für Zuwanderer natürlich große Chancen. Insbesondere, wenn sie qualifiziert sind."

Geringqualifizierte Arbeitnehmer unter Druck?

Verlierer könnten hingegen die schlecht ausgebildeten Arbeitnehmer in Deutschland sein. Und hier vor allem die bereits in Deutschland lebenden Einwanderer, meinen Migrationsforscher. Auch Möller vom IAB sagt: "Es gibt einige wenige Verlierergruppen, die bei den Geringqualifizierten zu suchen sind. Und nach unseren Erwartungen sind die eigentlichen Verlierer die Migranten, die in Deutschland schon jetzt sind. Die werden möglicherweise unter Druck kommen."

Die Gewerkschaften machen sich zudem Sorgen, dass mit den zusätzlichen Migranten aus Osteuropa das Lohnniveau in Deutschland gedrückt werden könnte, wenn Arbeitswillige aus den Nachbarländern bereit sind, für geringere Löhne und Gehälter zu arbeiten.

Reichen Mindestlöhne aus?

Es gibt immerhin Mindestlöhne in einigen Branchen wie auf dem Bau und im Pflegebereich, die an alle Arbeitnehmer gezahlt werden müssen. Ab Mai gilt dies auch für Zeitarbeitsfirmen: Wenn diese Leiharbeiter in ein deutsches Unternehmen entsenden, müssen die Beschäftigten wenigstens den Mindestlohn erhalten. Ob damit eine Abwärtsspirale der ohnehin geringen Löhne in manchen Branchen verhindert werden kann, muss sich noch zeigen.

Autorin: Klaudia Prevezanos
Redaktion: Pia Gram