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Markus Reher 5. September 2006

Nein, hungern muss in Russland niemand mehr. Für das körperliche Wohl ist hinlänglich gesorgt. Doch um geistigen Input steht es schlecht. Stück für Stück wird in Russland die Pressefreiheit ausverkauft.

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Kaum jemand in Moskau, der den Großeinkauf des millionenschweren Metallunternehmers Alischer Usmanow nicht für ein faules Geschäft hält. Das Qualitätsblatt "Kommersant" für unabhängige, gut recherchierte kritische Informationen verleibte sich der 53-jährige Geschäftsmann für mehr als 200 Millionen Euro ein, obwohl er sich bisher nicht durch allzu großes Interesse für die Branche hervorgetan hat. Sein Herz schlägt für die Kollegen aus dem Gasgeschäft und für die Freunde im Kreml.

Bewährtes Muster

Die Redakteure des "Kommersant" fürchten daher das Schlimmste. Der Deal habe Methode, Usmanow führe nur einen Auftrag des Kreml aus, schrieb das Blatt in der vergangenen Woche in einer Offenheit, die schon bald womöglich der Vergangenheit angehört. Wahrscheinlich werde er das Blatt an den großen Gazprom-Konzern weitergeben, der ungekürten Zensurbehörde Putins. Zeitungen erreichen in Russland zwar nicht die Masse, für die ist das Fernsehen zuständig. Doch die Blattmacher schreiben für die Entscheidungsträger.

Der Kauf des "Kommersant" folgt dem bewährten Muster nach dem die Tschinowniki, die Beamten der allgegenwärtigen bestechlichen Bürokratie hinter Putin, den Yukos-Konzern zerschlagen hatten, mit dem sie Zeitungen wie die große "Iswestija" oder den einst kreml-kritischen, angesehenen Privat-Fernsehsender NTW handzahm machten.

Gezähmte Berichterstattung

Längst vorbei die Zeiten, als dieser nach deutschem Vorbild die Puppen tanzen ließ, um den Politzirkus im Kreml mit satirisch spitzer Feder auf die Schippe zu nehmen, auch Präsident Putin. Der versteht wenig Spaß, doch dafür umso mehr vom behutsamen aber beharrlichen Operieren mit scharfem Skalpell und politischem Druck. Die Schere sitzt im Kopf. Nachzensur ist kaum mehr nötig. Viele Redakteure verzichten heute von sich aus auf allzu kritische Berichterstattung. Russisches Fernsehen heute, das bedeutet auf allen Kanälen harmlose Hofberichterstattung zwischen Talkshows mit erwartbarem Ausgang, Krimiserien, Literaturverfilmungen und zuckersüßen Unterhaltungsshows.

Rechtzeitig vor den Parlamentswahlen im kommenden Jahr und den Präsidentschaftswahlen 2008 soll nun der "Kommersant" auf Kurs gebracht werden, fürchten viele. Bislang galt das 1909 gegründete, Anfang der 1990er Jahre nach Verbot unter den Sowjets wieder eröffnete Wirtschaftsblatt als eine der letzten Bastionen für politisch und gesellschaftlich relevante kritische Berichterstattung. Mit 120.000 Exemplaren zwar nur von einer Minderheit gelesen, doch dafür von den Entscheidern, Meinungsmachern und der Intelligenzija. Für sie wird die Luft nun immer dünner, frischer Wind ist nicht in Sicht. Nur noch wenige von wenigen gelesene Zeitungen und Radiostationen halten die Pressefreiheit für den kleinen Teil der interessierten Bürger hoch. Und auch ihnen steckt schon ein Kloß im Hals: Wer wird der nächste sein?

Schickt Bildungs-Carepakete, Flugblattbomben, funkt Störsender und Aufklärungswellen gegen das langsam immer weiter und tiefer sickernde Gift der Kremlkontrolle! Bitte!