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Scherbengericht

Martin Schrader17. September 2007

Ist die Wettbewerbspolizei der EU mächtig genug, um gegen große Konzerne zu bestehen? Diese Frage steckt hinter dem Rechtsstreit zwischen Microsoft und der EU-Kommission, der in Luxemburg entschieden werden soll.

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Symbolbild Händedruck -- (c) www.BilderBox.com, Erwin Wodicka;
Wenn Unternehmer sich einigen, hat das nicht immer mit Recht und Ordnung zu tunBild: bilderbox

Am Montag (17.09.2008) wird Bo Vesterdorf, der Präsident des zweithöchsten EU-Gerichts, das Urteil im Microsoft-Prozess sprechen. Vor drei Jahren hatte die EU-Wettbewerbskommission Microsoft eine Strafe von 497 Millionen Euro aufgebrummt. Begründung: der Konzern habe seine marktbeherrschende Stellung bei Betriebssystemen ausgenutzt und Konkurrenten geschadet. Microsoft klagte gegen den Beschluss der Kommission. Sollte das Unternehmen nun vor Gericht auf der ganzen Linie Recht bekommen, würde die Firma die Bußgelder verzinst zurückbekommen.

Mittlerweile geht es in diesem Rechtsstreit jedoch um viel mehr als um Bußgelder und Auflagen für den US-Softwareriesen. Nichts Geringeres als die Macht der Europäischen Kommission als Wettbewerbsbehörde, der sich auch die High-Tech-Industrie beugen muss, stehe auf dem Spiel, berichtete die Agentur Reuters. Sollte Microsoft gewinnen, gerate die Kommission in arge Schwierigkeiten, weil das ihre Fähigkeit in Frage stellen würde, den Wettbewerb in der EU zu regulieren.

Langsam mahlen die Mühlen des Rechtsstaats

Das sieht der Wirtschaftsrechtler Andreas Müglich anders. Er warnt davor, ein Urteil im Sinne Microsofts als imageschädigend für die Kartellwächter auszulegen. Es werde lediglich ein rechtsstaatliches Verfahren durchlaufen. Sollte das Ergebnis des Gerichts den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der EU-Kommission widersprechen, seien Anpassungen im EU-Kartellrecht eine mögliche Folge. "Ein Urteil pro Microsoft schadet nicht den Wettbewerbshütern", lautet daher Müglichs Bilanz, der als Professor für internationales Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Gelsenkirchen arbeitet. "Sollte Microsoft Recht bekommen, wird es zu neuen Gesetzen kommen, um entsprechende Pflöcke ins Kartellrecht einzuschlagen."

Müglich stellt der europäischen Kartellpolizei ein gutes Zeugnis aus. Es gebe eine ganze Reihe von Konzentrationsentwicklungen, wo zu Recht zugegriffen worden sei. "An die Großen gehen sie so weit heran und haben auch schon entsprechende Bußgelder verhängt, dass eine Signalwirkung in den Markt hinein erfolgt ist."

Mit jeder Entscheidung, die von der Kommission gefällt und von Gerichten bestätigt werde, werde für Marktteilnehmer immer deutlicher, womit man bei Marktvergehen rechnen müsse", sagt Müglich. "Ich bin deshalb nicht unzufrieden mit der EU-Kartellpolitik.

Rekord-Strafen

Die Bilanz der Kartell-Knacker aus Brüssel unterstreicht dieses Urteil des Wirtschaftsrechtlers. Egal ob Telekommunikation, Chemie oder Bier - die Branchen, in denen die EU-Wettbewerbshüter Kartelle aufdecken, sind vielfältig. Die Strafen für die Markt-Sünder sind in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Im Jahr 2006 kassierte die Kommission Kartellbußgelder in Höhe von 1,85 Milliarden Euro - das war ein Rekord. Im Jahr 2007 werden die Strafgelder für Unternehmen wegen Marktmissbrauchs und Preisabsprachen noch höher ausfallen, schätzen die Wettbewerbshüter. Schon im ersten Halbjahr wurde der Gesamtbetrag von 2006 eingestellt.

Trotz dieser scharfen Urteile und hohen Strafen bleibt aber nicht zu übersehen: Es gibt immer wieder neue Kartelle. Große Unternehmen lassen sich nicht wirklich von den Bußgeldern abschrecken. Einige werden sogar als Wiederholungstäter enttarnt (vgl. die angehängte Übersicht).

Härtere Strafen

Vesterdorf hat deshalb juristische Konsequenzen auch für verantwortliche Führungskräfte gefordert. "Bei schweren Kartellvergehen müssen die Manager meiner Ansicht nach strafrechtlich belangt werden", sagte er im Juni dem "Handelsblatt". Der Präsident des Gerichts Erster Instanz beim Europäischen Gerichtshof begründete seine Forderung damit, dass eine Anhebung der Bußgelder keine abschreckende Wirkung gezeigt habe.

Für drakonische Strafen für Manager gibt es jedoch keine politischen Mehrheiten. Die deutsche Bundesregierung lehnte Haftstrafen für Manager bei schweren Kartellvergehen bereits ab. Die Sanktionsmöglichkeiten gegen Kartellsünder seien ausreichend, hieß es. Und EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes betonte, nach europäischem Recht sei die Einführung von Haftstrafen auf EU-Ebene nicht möglich. Wie von Wirtschaftsrechtler Müglich angeregt, müsste also erst ein neues Gesetz her, wollte man noch drastischer gegen Kartelle vorgehen.