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Schaefer: "Man tut sich sehr schwer"

Phlipp Bilsky 17. Februar 2015

Niemand mache es sich leicht beim Thema Menschenrechte. Und: Xi Jinping sei der eindrucksvollste Politiker Chinas, den er kennengelernt habe, erklärt Michael Schaefer, ehemaliger deutscher Botschafter in Peking.

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Botschafter a.D. Dr. Michael Schaefer (Foto: Merics)
Bild: MERICS

Deutsche Welle: Herr Schaefer, wie haben sich die deutsch-chinesischen Beziehungen in den letzten Jahren entwickelt?

Michael Schaefer: Von null auf 180. Wir sind heute meiner Ansicht nach auf dem höchsten Stand, auf dem sich die deutsch-chinesischen Beziehungen jemals befunden haben. Wir haben eine große Dichte politischer Kontakte auf der allerhöchsten Regierungsebene. Jedes Jahr gibt es mindestens eine Begegnung der Regierungschefs, meist aber zwei oder drei solcher Treffen.

Auf der Ebene der Ressorts gibt es im Jahresrhythmus Treffen der jeweiligen Minister. Und wir haben 62 Dialogprozesse zwischen unterschiedlichen Organisationen der Regierung. Der wichtigste ist vielleicht der Rechtsstaatsdialog. Aber auch im Wirtschaftsbereich gibt es Dutzende von Themen wie Umwelt, wie Innovation, zu denen sich Fachleute während des Jahres treffen und dann den Ministern bei den jährlichen Treffen Vorschläge machen.

Ein wichtiges Thema in den deutsch-chinesischen Beziehungen sind die Menschenrechte. Wie kann Deutschland Ihrer Ansicht nach am besten mit diesem Thema umgehen?

Michael Schaefer: Das Thema ist schon deshalb schwierig, weil unsere Gesellschaften sich anders entwickelt haben. Sie haben unterschiedliche Traditionen und unterschiedliche Kulturen. Es gab in China nie einen Rechtsstaat, bis heute nicht. Trotzdem gibt es einen Wertekanon, der auch für die Chinesen wichtig ist. Man sollte nicht glauben, China sei ein Land ohne Werte. Der Konfuzianismus hat sehr klare Wertigkeiten, die auch für die einzelnen Chinesen verbindlich sind.

Im Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Rechte hat China zudem in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Man darf nicht vergessen, dass in der Hierarchie der UN-Charta der Pakt über bürgerliche und politische Rechte gleichrangig ist mit dem über wirtschaftliche und soziale Rechte. Und wenn Sie sich die Welt mal angucken, dann sind es natürlich zunächst mal die wirtschaftlichen und sozialen Rechte, die für Menschen wichtig sind.

Ich brauche eine volle Reisschale, ein Dach über dem Kopf, innere und äußere Sicherheit. Das ist zunächst mal wichtiger als Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Das spielt für die betroffenen Menschen in diesen Ländern kaum eine Rolle. So auch übrigens in China.

Chinesisches Kind beim Essen (Foto: picture-alliance/dpa)
Schaefer: Volle Reisschale erst mal wichtiger als MeinungsfreiheitBild: picture-alliance/dpa

Das heißt nicht, dass wir als Bundesregierung diese Themen nicht regelmäßig gegenüber der chinesischen Regierung ansprächen. Das gilt auch für Einzelfälle. Jeder Einzelfall wird von Vertretern der Bundesregierung – ob das jetzt die Kanzlerin ist oder ob das der zuständige Minister ist – in aller Ernsthaftigkeit sehr deutlich angesprochen. Nur manchmal scheint es eben für die handelnden Personen sinnvoller zu sein, dieses nicht vor laufenden Kameras zu tun, sondern im persönlichen Gespräch, weil man meint, dass man damit den Menschen am Ende vielleicht mehr helfen kann, als wenn man das in der Öffentlichkeit tut.

Es gibt ja verschiedene Arten, mit dem Thema Menschenrechte umzugehen. Manche sind der Ansicht, es sei sinnvoller, die Probleme hinter den Kulissen anzusprechen. Andere kritisieren, man mache es sich damit zu leicht, und die Probleme müssten öffentlich diskutiert werden.

Michael Schaefer: Nein, man macht es sich gar nicht leicht. Man tut sich sehr schwer. Ich glaube aber auch, dass man nicht sagen kann, man solle alles nur hinter den Kulissen ansprechen. Ich glaube, man muss im Einzelfall entscheiden, ob man die Dinge öffentlich macht oder nicht. Das heißt, wenn ich glaube, nicht so viele Hebel zu haben, dass ich dem Betroffenen helfen kann, werde ich es eher in der Öffentlichkeit ansprechen, als wenn ich der Meinung bin, ich kann hinter den Kulissen durch intensive Gespräche dazu beitragen, die Sache zu lösen. Das habe ich selber in Peking mehrfach erlebt, wo ich in Not geratenen Menschen, die auch im Gefängnis gesessen haben, nur dadurch geholfen habe, dass ich massiv hinter den Kulissen interveniert habe. Auch die Politik eingeschaltet habe, aber alles ohne Öffentlichkeit. Und das Ergebnis hat uns in diesen Fällen recht gegeben.

Glauben Sie, dass Deutschland in dieser Frage genug tut?

Michael Schaefer: Ich glaube, Deutschland ist das Land, das am intensivsten die Menschenrechtsthematik den Chinesen gegenüber anspricht. Ich glaube, das tun andere nicht einmal halb so sehr. Bei den Amerikanern bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube, die Amerikaner sprechen sie auch offen an. Aber viele Europäer tun es nicht mit der Intensität, mit der wir das tun.

Sie haben einmal gesagt, der eindrucksvollste chinesische Politiker, den Sie je kennengelernt haben, sei Xi Jinping. Wie kommen Sie zu dieser Aussage?

Michael Schaefer: Ich habe natürlich nicht so viele chinesische Politiker in den letzten Jahrzenten miterlebt. Mit Xi Jinping hatte ich die Möglichkeit, auch mehrere Male persönlich zu sprechen. Und im Vergleich zu seinen Vorgängern hat dieser Mann eine derartige Weitsicht, so viel Substanz und auch Verständnis für die kritischen Punkte in der Entwicklung seines eigenen Landes, dass ich sagen muss, ich habe das Gefühl, der weiß, was er tut. Er hat letztlich das Ziel, China wieder zu dem zu machen, was es einst mal war. Er nennt es den "chinesischen Traum". China war ja Mitte des 19. Jahrhunderts die größte Wirtschaftsmacht der Welt. Das vergessen viele Menschen. Xi Jinping hat das Ziel, diese 1,4 Milliarden Menschen zu moderatem Wohlstand zu bringen. Wie schwierig das ist, das sieht man, wenn man sich das Nachbarland Indien mit 1,3 Milliarden Menschen anschaut und die Schwierigkeit, Menschen aus der Armut zu heben.

In China sind in nur 30 Jahren immerhin 350 Millionen Menschen aus der Armut zu moderatem Wohlstand gekommen. Aber es sind immer noch 350 Millionen an der Armutsgrenze. Der Rest ist irgendwo dazwischen. Das heißt, diese Herausforderung für die chinesische Regierung ist gewaltig. Nur mit Stabilität wird sich eine solche Entwicklung fortsetzten lassen. Dass bei dieser Stabilität gelegentlich die Rechte des Einzelnen gegenüber den Rechten der Allgemeinheit oder der breiteren Mehrheit zu kurz kommen, das ist der negative Aspekt dabei. Das sollten wir auch kritisch anmerken, auch im Dialog mit China. Aber man muss wissen, wo die Probleme herkommen, und mit welchen Schwierigkeiten eine solche Entwicklung verbunden ist.

Deutsch-chinesische Regierungskonsultationen in Berlin- Gabriel und Merkel mit chinesischen Amtskollegen (Foto: Reuters/Thomas Peter)
Schaefer: Derzeit 62 bilaterale DialogprozesseBild: Reuters/Thomas Peter

In vielen Bereichen hat man derzeit den Eindruck, dass die Zügel stark angezogen werden. Etwa, was die Zensur im Internet angeht.

Michael Schaefer: Ich glaube, man hat sich in der neuen Führung entschieden, diesen gewaltigen Reformansatz, zu dem man sich entschlossen hat, in den nächsten fünf bis maximal zehn Jahren durchzuziehen. Und man will sich dabei offensichtlich nicht stören lassen. Ob immer die richtigen Entscheidungen getroffen werden, wage ich zu bezweifeln. Die Zensur des Internets ist sicher nicht akzeptabel. Auf der anderen Seite lässt sich das Internet in China nicht wirklich zensieren. Sie haben heute 680 Millionen Internetnutzer. Sie haben 320 Millionen Blogger. Sie haben 100.000 Zensoren. Diese 100.000 Zensoren können viele Blogs schließen.

Die Erfahrung zeigt aber, wenn sie einen Blog schließen, gibt es in fünf Minuten fünf neue Blogs. Damit lässt sich das Internet nicht mehr aufhalten. Und das ist auch gut so. Denn das Internet entwickelt sich zu einer postdemokratischen Form der Partizipation. Hier melden sich Menschen zu Wort, die im Kleinen wie im Großen ihre Kritik äußern. Und ich glaube, das ist eine ganz normale Entwicklung, die viel schneller geht als bei uns in Europa, weil es eben die herkömmlichen Instrumente der Medien nicht so gibt wie bei uns. Deshalb wird das Netz das Hauptkommunikationsmittel und auch zum Instrument der Meinungsäußerung. Sie würden überrascht sein, wie viele offene und kritische Meinungsäußerungen es im chinesischen Internet gibt. Insgesamt wird China die Freiheit des Netzes nicht unterbinden können, weil China auf das Internet für seine weitere wirtschaftliche Entwicklung angewiesen ist.

Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen für die deutsch-chinesischen Beziehungen in den nächsten Jahren?

Michael Schaefer: Ich glaube, wir haben eine komplementäre Partnerschaft. Die Chinesen haben etwas, das wir brauchen, nämlich einen großen Markt – und zwar für alles, nicht nur für Wirtschaftsgüter, sondern auch für Kultur und für Ideen. Und wir haben Technologien und viele Ideen. Von daher gibt es hier schon eine Symbiose. Ich glaube, wir sind nicht nur daran interessiert, mit China eine enge Wirtschaftspartnerschaft zu haben. Die Art und Weise, wie wir gerade im kulturellen Bereich in den letzten Jahren unglaublich viele Projekte, die auch Breitenwirkung erzielt haben, über die Bühne gebracht haben, zeigt, dass wir durchaus auch als Gesellschaft aktiver geworden sind. Und diese zwischengesellschaftlichen Beziehungen werden es letztlich sein, die darüber entscheiden, ob Deutschland und China gemeinsam in die richtige Richtung gehen oder nicht. Das kann nicht nur die Politik tun.

Dr. Michael Schaefer war von 2007 bis 2013 deutscher Botschafter in der Volksrepublik China. Heute ist er Vorstandsvorsitzender der BMW Stiftung Herbert Quandt.