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Thunfische fressen kein Menschenfleisch

Katharina Redanz, Gabriel Borrud21. April 2016

Eine provozierende Satire: Die ‚taz‘ schreibt, dass Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrunken sind, zu Thunfischfutter werden und somit bald im Supermarkt zu finden seien. An der Idee ist aber nichts Wahres dran.

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Thunfischschwarm. (Foto: http://www.flickr.com/photos/theanimalday/7142881913/ Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en)
Bild: CC2.0/TheAnimalDay

Wer am Mittwoch den Artikel „SOS, Nahrungskette!“ in der Tageszeitung ‚taz‘ gelesen hat, schwört sich jetzt vielleicht, nie wieder Thunfisch zu essen. Thema des Stücks war die Ernährung der Tiere - mit der Vorstellung, dass der Thunfisch als Raubfisch auch ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer verspeist.

Der Text ist allerdings, abgesehen davon, dass er offensichtlich Satire ist, auch in jeglicher wissenschaftlicher Hinsicht falsch. Der Meeresbiologe Christopher Bridges klärte uns auf über sein Hauptforschungsobjekt: Den Blauflossenthunfisch, auch Roter Thun oder Großer Thun genannt, einen der beliebtesten und wertvollsten Speisefische.

DW: Was frisst ein Blauflossenthunfisch?

Christopher Bridges: Ein Blauflossenthunfisch ist ein großer Raubfisch, ein sogenannter Top-Räuber, und steht am oberen Ende der Nahrungskette. Er frisst hauptsächlich sogenannte Schwarmfische wie etwa Hering, Sardellen und Sardinen - alles, was in Schwärmen, also großer Anzahl, herumschwimmt.

Wie sieht es mit Menschen als Nahrung aus?

Das ist extrem unwahrscheinlich. Erstens, weil sie normalerweise in Schwärmen fressen – das heißt in Gruppen von 20, 30, 40 oder 50 Fischen, die alle unterschiedlich groß und schwer sind. Und weil sie in der Regel aktiven Schwärmen von Heringen, Sardinen oder Sardellen hinterherjagen. Sie versuchen so, ihre Beute zu vergrößern. Ein toter, menschlicher Körper, der auf dem Wasser treibt, ist also nicht besonders verlockend für einen Thunfisch.

Die ‚taz‘ hat einen (satirischen) Artikel veröffentlicht, in dem sie sagt, dass es nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich ist, dass Thunfische Menschen essen – insbesondere Flüchtlinge, die über das Mittelmeer versuchen nach Europa zu gelangen und dabei ertrinken. Was sagen Sie als Meeresbiologe, der sich viel mit Thunfischen beschäftigt, dazu?

Die toten Körper werden wohl hauptsächlich von Haien gefressen, die auf jegliche tote Materie aus sind. Oder sie werden zur Beute von Seevögeln, die sich über alles freuen, was auf der Wasseroberfläche treibt.

Thunfisch hingegen ist sehr wählerisch wenn es zum Futter kommt. Wir sehen das in unserer Thunfisch-Zucht. Die Tiere unterscheiden beispielsweise zwischen frischem und tiefgegefrorenem Fisch. Wenn sie etwas nicht mögen, dann spucken sie es wieder aus - wie eben den tiefgefrorenen Fisch.

Und noch eine ganz andere Sache bezüglich der Angst, dass Menschenfleisch aus Thunfischmägen auf unseren Tellern landet: Der Großteil des Dosenthunfisches, den wir hier in Europa essen, kommt aus dem Pazifik.

Ein Thunfisch im Meer. (Foto: fotolia/ Lunamaria)
Einige Thunfischarten werden über 500 Kilogramm schwerBild: Fotolia/lunamarina

Wie viele Thunfische gibt es im Mittelmeer?

Das ist eine gute Frage, so genau weiß das gerade niemand. Was wir aber wissen, ist, dass ungefähr 14,000 Tonnen jedes Jahr gefangen werden dürfen – es schwimmen also ziemlich viele Thunfische im Mittelmeer herum. Und ich spreche jetzt nur vom Blauflossen-Thunfisch, es gibt aber noch viele andere Arten, zum Beispiel den Bonito-Thunfisch oder den Weißen Thunfisch. Beides sind kleinere Arten. Es lässt sich also mit Sicherheit sagen, dass einige Millionen Thunfische im Mittelmeer leben.

Sie beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Blauflossen-Thunfisch. Wie groß ist so ein Fisch?

Die Größe des Blauflossenthunfisches variiert - von etwa 2 Kilogramm bei einem Jungfisch bis zu 500 Kilogramm bei ausgewachsenen Individuen. Und sie werden über zwei Meter lang.

Diese Thunfisch-Art ist vom Aussterben bedroht, richtig?

Das ist richtig. Genau deshalb hatten wir über die letzten fünf bis zehn Jahre sehr strenge Fangquoten - und bis jetzt läuft es ganz gut. Wir haben Erkenntnisse darüber, dass die Population sich erholt, allerdings sehr langsam. Die Quoten bestehen deshalb weiterhin. Früher konnten bis zu 70.000 Tonnen des Raubfisches im Jahr gefangen werden, heute sind noch 14.000 Tonnen erlaubt. Der Blauflossen-Thunfisch bleibt also weiterhin eine gefährdete Art, aber die Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind:

Was denken Sie persönlich über den besagten Artikel aus der ‚taz‘?

Der Artikel ist sehr, sehr spekulativ.

Auf der anderen Seite: Das Meer ist eine Recycling-Zone - alles wird recycelt. Man könnte die gleiche Geschichte über tote Seehunde oder auch über tote Wale schreiben. Die reellen Chancen, dass ein Thunfisch wirklich etwas isst, dass auf der Oberfläche treibt, sind aber wie gesagt extrem gering. Thunfische bevorzugen lebendige Beute. Die Chancen, dass Menschenfleisch in der Thunfischdose landet, stehen etwa eins zu einer Million.

Prof. Dr. Christopher Bridges ist Meeresbiologe an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Hier leitet er die Arbeitsgruppe ‚Ecophysiology‘ und beschäftigt sich vor allem mit dem Blauflossen-Thunfisch.