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Salafismus wächst in Westafrika - Regierungen sind hilflos

Audrey Parmentier, Dirke Köpp27. Mai 2016

Der Salafismus ist in Westafrika auf dem Vormarsch. Besonders junge Erwachsene fühlen sich von der ultrakonservativen Islam-Strömung angezogen. Die Regierungen wüssten noch zu wenig, so Abdoulaye Sounaye im DW-Interview.

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Nigeria Ramadan: Gläubige beten auf dem Parkplatz des Nationalstadions in Lagos: (Foto: PIUS UTOMI EKPEI/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/P. U. Ekpei

DW: Herr Sounaye, gewinnt Ihrer Meinung nach der Salafismus in den westafrikanischen Ländern zunehmend an Einfluss?

Abdoulaye Sounaye: Ja, absolut! Das sieht man eindeutig in den Medien und auch in den Gemeinschaften, die entstehen. In Westafrika ist der Salafismus heute wahrscheinlich eine der aktivsten islamischen Strömungen.

Schauen wir beispielweise in den Niger. Welche Initiativen wenden sich dort gegen die Verbreitung des Salafismus?

Die Regierung hat einiges versucht. Sie hat Vereine und Verbände mobilisiert, um einen Diskurs des Friedens anzuschieben. So hat die Regierung auf ideologische Weise versucht einzugreifen. Sie hat Marabus, Imame und religiöse Clanchefs mobilisiert, um ein anderes Gesicht des Islams zu zeigen. Doch das scheint nicht zu genügen. Die Regierung hat auch versucht, Einfluss auf Initiativen zu nehmen, die sich um die islamische Ausbildung kümmern: Sie sollten das Bild eines friedlichen, konfliktfreien Islam fördern. Die Ergebnisse fallen aber eher mager aus. Ich glaube, die Regierung verfügt nicht über geeignete Instrumente, um zu verstehen, was genau geschieht. Ich kenne keine Regierung in der Sahelzone, die jemals Recherchen zu diesem Phänomen finanziert hat. Dabei handelt es sich doch um Probleme, die ihre Gesellschaften betreffen! Die Regierungen sollten sich damit befassen. Dann könnten sie ein Verständnis entwickeln, das ihnen erlaubt, sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, um diese Probleme in den Griff bekommen. Aber das ist leider nicht der Fall.

Bild einer Moschee auf dem Lande in Niger. (Foto: DW/Dirke Köpp)
Selbst das kleinste Dorf in Niger hat seine Moschee - oft gebaut mit Geld aus Katar oder Saudi-ArabienBild: DW/D. Köpp

Was konkret müssten die Regierungen unternehmen, um dem Salafismus Einhalt zu gebieten?

Sie müssten Geld investieren, um die soziologischen Gründe dieses Phänomens wirklich zu verstehen. Wissenschaftler, Universitäten, Forschungsinstitute müssten sich damit befassen. Aber allein bei dieser Theorie darf es nicht bleiben. Ein Aspekt, der mir noch viel wichtiger erscheint, ist die Ausbildung von Imamen; einige Regierungen engagieren sich schon dahingehend. Die Regierungen müssen Mittel zur Verfügung stellen, um Imame auszubilden – denn viele Imame haben sich dem Salafismus verschrieben, und zwar gegen die amtierenden Regierungen.

Was bewegt sie dazu?

Sie sind unzufrieden mit ihren Regierungen. Regierungen, die man in vielen Fällen charakterisiert als westlich geprägte oder ethnische Eliten. Wichtig ist aber auch, dass die Regierung nicht die gesamte Verantwortung trägt. Die islamische Zivilgesellschaft, wenn man sie so nennen will, also religiöse Organisationen und Gemeinschaften, muss auch ihren Teil der Verantwortung akzeptieren und etwa die Toleranz fördern. Regierungen und Zivilgesellschaft sollten auch in das islamische Bildungssystem investieren, personell und finanziell. Dieses System hat Anteil daran, dass sich der radikale, gewaltbereite Salafismus überhaupt hat etablieren können. Man kann Salafist sein, ohne Dschihadist zu sein. Es gibt etwa grundlegende Unterschiede zwischen dem Salafismus in Nordnigeria und dem im Niger: In Nigeria ist ein gewaltsamer Dschihadismus entstanden, im Niger hingegen hat er dieses Stadium noch nicht erreicht.

Im Senegal will die Regierung den Sufismus als Gegenentwurf zum Salafismus fördern, denn er ist in der senegalesischen Gesellschaft tief verankert.

Es könnte tatsächlich helfen, die sufistischen Gemeinschaften zu unterstützen, ihnen eine stärkere Stimme und Position zu geben. Denn in der öffentlichen Diskussion in Westafrika dominiert die salafistische Denkweise. Wenn es dagegen mehr sufistische Diskurse gäbe, könnte das zu einem Ausgleich beitragen. Es könnte eine Konkurrenz entstehen, die auf Dauer die negativen Auswirkungen salafistischer Gewalt reduziert.

Nigeria Afrika: Soldat steht in einem Türrahmen eines zerstörten Gebäudes (Foto〉AFP / STEFAN HEUNIS)
Besonders Nigeria leidet unter der Gewalt islamistischer Terrorgruppen, speziell Boko Haram.Bild: Getty Images/S.Heunis

Kennen Sie im Niger oder anderswo Initiativen an Schulen oder Universitäten, die versuchen, die Jugendlichen zur Demokratie oder zu einer anderen Vorstellung der Gesellschaft zu bilden?

Solche Initiativen sind sehr selten und begrenzt. Im Niger zum Beispiel treffen sich an der Universität Niamey regelmäßig Jugendliche, um sich auszutauschen oder zu debattieren. Manche Jugend- oder Studentenclubs versuchen, die Debatten breiter zu machen und nicht nur über Religion zu reden. Auch wirtschaftliche Initiativen sind unerlässlich. Nehmen wir den Fall von Boko Haram: Manche jungen Leute haben sich dieser Gruppe niciht aus religiösen Gründen angeschlossen, sondern weil sie keine Perspektive hatten. Sie hatten nichts, was ihnen aus ihrer Misere, aus ihrem Frust herausgeholfen hätte. Aber dann hat Boko Haram an ihre Türen geklopft und ihnen 100.000 oder 150.000 Francs CFA (ca. 150 oder 230 Euro, Anm. der Red.) pro Monat angeboten. Und sie sind der Gruppe beigetreten. Das ist ein wichtiger Aspekt. Wichtig ist aber auch die Sozialisierung der jungen Leute. Im Niger ist mir in den letzten zwanzig Jahren die soziale Ausgrenzung der Jugend aufgefallen. Dieses Phänomen ist von salafistischen Organisationen und Gemeinden ausgenutzt worden: Sie schaffen Angebote für diese Leute, gehen auf sie zu, betreuen sie und schaffen so eine Gruppe. Wir haben es in all den Fällen, wo der Salafismus stark ist, mit Gesellschaften zu tun, die in einer Krise stecken - und die Politiker damit eben auch. Daher ist so wichtig, dass es Initiativen gibt, um die Jugend wieder stärker in die Gesellschaft integrieren.

Was macht den Salafismus so attraktiv?

Im Salafismus gibt es einen Diskurs der Gleichheit, eine Art emanzipatorischen Realismus, der besagt, dass jeder den Islam verstehen und jeder sich ihm anschließen kann. Darin ist auch ein anti-klerikaler Rationalismus versteckt, der die islamischen Gelehrten kritisiert: Anstatt dem Islam zu dienen, hätten die Gemeinschaften gegründet, die dann einem Scheich oder Marabu unterstellt seien, der aber die Schüler ausnutze. Aber es gibt auch noch einen anderen Grund für die Verbreitung des Salafismus, und das ist sein Charakter einer „Marktreligion“. Viele junge Leute haben den Kommerz im Salafismus bemerkt, in dem es Figuren gibt, die sehr schnell sehr populär geworden sind, gerade auch wegen ihres anti-klerikalen,. anti-traditionellen Diskurses.

Der Salafismus ist also auch eine Art, seiner Unzufriedenheit Luft zu machen?

Genau. Der Salafismus profitiert von der Unzufriedenheit vieler Menschen; das macht sich vor allem im Diskurs bemerkbar: Es ist ein radikaler Diskurs, ein Diskurs des Protestes. Denn viele Enttäuschte des Systems, der Regierung, diejenigen, die die Dinge ändern wollten, haben sich dem Salafismus angeschlossen.

Abdoulaye Sounaye ist Religionswissenschaftler aus Niger und arbeitet am Zentrum Moderner Orient in Berlin.

Das Interview führten Audrey Parmentier und Dirke Köpp.