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Russland: Sorge um Pressefreiheit zurück auf der Tagesordnung

12. Oktober 2006

Der Mord an Anna Politkowskaja hat gezeigt: Kritischer Journalismus ist in Russland lebensgefährlich. Das kam auch beim diesjährigen „Petersburger Dialog“ zur Sprache – zum Unmut des russischen Präsidenten Putin.

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Proteste gegen AuftragsmordBild: AP

Das deutsch-russische Forum „Petersburger Dialog“ und die dabei geführten Gespräche auf höchster Ebene sind zweifelsohne jedes Jahr das Hauptereignis in den russisch-deutschen Beziehungen. Diesmal war den Gästen in Dresden, wo das Forum stattfand, nicht zum Feiern zumute: Der Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja hat die Stimmung auf dem Forum wesentlich verändert. Er war auch Thema bei den Gesprächen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin.

Der Mord an Anna Politkowskaja wurde auch in Arbeitsgruppen des Forums diskutiert, in erster Linie in der Arbeitsgruppe „Medienfreiheit“. Deren Teilnehmer gedachten mit einer Schweigeminute der in Moskau ermordeten Journalistin sowie den beiden in Afghanistan erschossenen Reportern der Deutschen Welle, Karen Fischer und Christian Struwe. Ferner wurde beschlossen, ein Beileidsschreiben im Namen der Teilnehmer des „Petersburger Dialogs“ an die Redaktion der „Nowaja Gaseta“ zu richten, für die Anna Politkowskaja gearbeitet hatte.

Ablehnung westlicher Presse-Standards

Weitere Themen der Arbeitsgruppe waren die Lage der russischen Medien und die Pressefreiheit in Russland allgemein. Im Unterschied zu den vergangenen Jahren gingen die Journalisten aus Russland diesmal in die Offensive: Sie warfen ihren deutschen Kollegen vor, eine Propaganda-Kampagne gegen Russland zu führen und tendenziös zu berichten, darunter auch über Politkowskajas Todesumstände. „Wenn das Meinungsfreiheit ist, dann gab es - entschuldigen Sie bitte - auch in der Sowjetunion Meinungsfreiheit“, sagte Maksim Schewtschenko vom „Ersten Kanal“ des russischen Fernsehens. „Wenn das Meinungsfreiheit ist, dann sind die ‚Prawda‘ und ‚Iswestija‘ aus dem Jahr 1978 Vorbilder für die Pressefreiheit.“

Schewtschenko zufolge braucht Russland die westlichen Erfahrungen der Medien nicht. Die russischen Journalisten hätten ihr eigenes Verständnis von Pressefreiheit. „Ich möchte, dass unsere westlichen, deutschen Kollegen von Russland nicht wie von einem Schulkind, das sich etwas zuschulden kommen lassen hat, fordern, dass es irgendwelchen Standards zu genügen hat, die sie für sich ausgedacht haben“, so Schewtschenko. „Russland ist ein Land mit Geschichte und einer tragischen und einzigartigen Kultur. Es hat seine eigenen sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Erfahrungen, aber auch sein eigenes Verständnis von Freiheit.“

Kritik an russischem Botschafter

Unerwarteten Besuch bekam die Sitzung der Arbeitsgruppe für Medienfreiheit vom Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, Wladimir Kotenew. Er erteilte den Versammelten eine kurze Lektion über sein Verständnis von journalistischer Verantwortung. Auch er warf der deutschen Presse vor, „tendenziös“ zu sein.

Teilnehmer der Arbeitsgruppe war auch der Chefredakteur der Zeitschrift „Ogonjok“, Wiktor Loschak. Im Gespräch mit der Deutschen Welle kritisierte er den Verlauf der Sitzung. „Man hätte erst das Genre festlegen sollen: Wenn das ein Treffen von Kollegen sein soll, die sich darüber austauschen, was sie bedrückt, und gemeinsame Wege zur Lösung suchen, dann ist das die eine Sache“, sagte er. „Aber wenn das ein Treffen von Journalisten ist, auf dem der Botschafter der Russischen Föderation Anweisungen erteilt, wie über das Leben in Russland zu berichten ist, dann ist das eine andere Sache. Man darf die Dinge nicht vermischen.“

Nikita Jolkver

DW-RADIO/Russisch, 10.10.2006, Fokus Ost-Südost