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Politik

Russische Vertragssoldaten im Donbass in Haft

Sergey Satanovskiy
6. August 2022

Russische Vertragssoldaten lehnen es immer häufiger ab, am Krieg in der Ukraine teilzunehmen. Menschenrechtlern zufolge erfahren solche "Verweigerer" in Gefängnissen Gewalt und unmenschliche Haftbedingungen.

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Ukraine-Krieg | Russicher Soldat
Ein russischer Soldat im Mai in der Region Cherson Bild: AP Photo/picture alliance

Russische Militärs weigern sich zunehmend, an der sogenannten "Spezialoperation", wie Russland seine Invasion in die Ukraine nennt, teilzunehmen, sagen Menschenrechtler. Vertragssoldaten, die in der Ukraine nicht mehr kämpfen wollen oder aus familiären Gründen beurlaubt werden möchten, wird ihr Wunsch verwehrt, das Land zu verlassen. Die sogenannten "Verweigerer" werden, wie Angehörige und Aktivisten der DW berichten, an mehreren Orten in der selbsternannten "Volksrepublik Luhansk" in Lagern und Gefängnissen festgehalten, also in Gebieten, die zwar in der Ukraine liegen, aber nicht von Kiew kontrolliert werden.

Russische Männer können ab 18 Jahren einen befristeten Vertrag mit dem Verteidigungsministerium schließen, um für eine begrenzte Zeit in der Armee ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Vertragssoldaten kämpfen derzeit neben professionellen Streitkräften in der Ukraine. Viele von ihnen hätten ihre Verträge noch vor der Invasion Russlands in die Ukraine abgeschlossen - und bis zum letzten Moment nicht gewusst, wohin sie geschickt würden, erklären die Menschenrechtler.

Mehrere Eltern von Soldaten aus Russland haben sich inzwischen selbst in den Donbass begeben, um die Freilassung ihrer Söhne zu erreichen. Nach DW- Informationen sind sie nach Brjanka gefahren, wo sich Medienberichten zufolge in einem Lager über 200 solcher "Verweigerer" befinden sollen. Dort halten die Eltern von morgens bis abends Mahnwachen ab. Die Männer würden in einer ehemaligen Strafkolonie festgehalten, erzählte ein russischer Soldat der DW. Er selbst sei in Brjanka inhaftiert gewesen, später aber wieder freigelassen worden. 

Beschwerde an die Generalstaatsanwaltschaft

Auch in vier weiteren Orten in der von Russland kontrollierten Region sollen russische Militärs inhaftiert sein, darunter in Popasna, Altschewsk, Stachanow und Krasnyj Lutsch. Dies geht aus einer Beschwerde von Mitgliedern des russischen Menschenrechtsrates an die Generalstaatsanwaltschaft hervor. Das Dokument liegt der DW vor. Darin heißt es, Angehörige von sechs "Verweigerern" hätten sich an die Menschenrechtler gewandt. Die Soldaten seien, nachdem sie eine Teilnahme am Krieg abgelehnt hätten, in jenen Städten, aber auch an der Front bei Switlodar, inhaftiert worden. Die Militärführung habe alle ihre Anträge zurückgewiesen, schicke sie aber auch nicht zurück in ihre Kasernen nach Russland.

Den Verfassern der Beschwerde zufolge, darunter der bekannte Regisseur Alexander Sokurow und der Journalist Nikolai Swanidse, klagen die Soldaten über die Haftbedingungen und werfen ihren Vorgesetzten vor, sie psychisch unter Druck zu setzen. "Es geht um Verbrechen gegen Militärangehörige, um rechtswidrige Inhaftierung, Folter und unmenschliche Behandlung", heißt es in der Beschwerde.

Infografik Karte Russische Truppenbewegungen in der Ostukraine DE

Flucht aus der Inhaftierung

Der Menschenrechtler und Koordinator der Organisation "Bürger und Armee", Sergej Kriwenko, sagte der DW, die Haftbedingungen von "Verweigerern" würden davon abhängen, wo sie inhaftiert seien. "Anfang Juli wurde berichtet, man halte einige von ihnen in Gruben fest", so Kriwenko. Angehörige hätten zudem gesagt, Inhaftierte seien geschlagen worden.

Eine Mutter eines Soldaten in Brjanka, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollte, erzählte der DW, sein Sohn rufe sie regelmäßig an, offenbar von einem allgemeinen Anschluss, von dem auch andere Soldaten ihre Familien anrufen würden. Der Gesprächspartnerin der DW nach würden die Soldaten morgens "zur Arbeit" gebracht. Um welche es sich dabei handele, ist unklar.

Sergej Kriwenko sagte, einem Gefangenen sei es gelungen, aus der Haft in Brjanka zu fliehen und nach Russland zu gelangen. "Wenn ein Vertragssoldat innerhalb von zehn Tagen zur Kaserne zurückkehrt, in der er ständig stationiert ist, dann gilt dies nicht als Fahnenflucht und unbefugtes Verlassen der Einheit", erläuterte er.

Rückkehr an die Front

Allerdings sollen einige der Militärs so sehr unter Druck gesetzt worden sein, dass sie ihre Absagen wieder zurückzogen und zu ihren Kampfeinsätzen zurückkehrten. Das erzählten die Eltern eines weiteren Vertragssoldaten, der in Brjanka festgehalten wird, gegenüber der DW. Auch sie wollten ihren Namen nicht nennen, weil sie Angst um ihren Sohn hätten. "Erst hatten die Soldaten gesagt, sie würden auf keinen Fall in den Krieg zurückkehren und nichts unterschreiben. Doch plötzlich erfahren wir, dass sie wieder an die Front gehen, ohne ihre Eltern zu benachrichtigen."

Allein die Veröffentlichung derartiger Informationen kann eine Strafe zur Folge haben. So ist der DW ein Fall bekannt, wo ein Mann nicht in Urlaub gehen durfte, weil seine Eltern sich an Journalisten gewandt hatten. Aus diesem Grund wollten alle Verwandten der inhaftierten Vertragssoldaten, mit denen die DW gesprochen hat, anonym bleiben.

Ukraine, Melitopol | Kornernte im russisch kontrollierten Gebiet
Russische Soldaten im Süden der UkraineBild: AP/picture alliance

Um einen Soldaten dazu zu bringen, wieder an die Front zurückzukehren, wird auch mit Strafverfahren gedroht, wie Alexandra Garmaschapowa, Leiterin der in den USA ansässigen Free Buryatia Foundation, berichtet. Die Stiftung wurde im März 2022 als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine von Kriegsgegnern in der russischen Teilrepublik Burjatien und Angehörigen der burjatischen Diaspora gegründet. Sie setzt sich dafür ein, dass das burjatische Volk in freien Wahlen selbst über seine Zukunft entscheidet.

"Schwerer Verstoß gegen russische Gesetze"

Anfang Juli berichtete die Free Buryatia Foundation, dass etwa 500 Vertragssoldaten aus Burjatien sich geweigert hätten, in der Ukraine zu kämpfen, und in ihre Heimat zurückkehren wollten. Der von den russischen Behörden blockierten Zeitung "Verstka" zufolge soll es insgesamt 1793 solcher Soldaten geben.

Die ersten Absagen von Soldaten, sich weiter an der "Spezialoperation" zu beteiligen, hatte es schon Ende März gegeben, sagt Sergej Kriwenko. Damals wurden die ersten russischen Einheiten aus der Nähe von Kiew abgezogen, um sich für einen Einsatz in der Ostukraine zu reorganisieren. Die Soldaten suchten daraufhin Kontakt zu Menschenrechtlern, damit diese ihnen helfen, die Verträge mit der russischen Armee zu kündigen.

Kriwenko sagte, es gebe immer mehr Fälle, in denen Militärs den Dienst ablehnen würden. Sie würden in Gefängnissen in der sogenannten "Volksrepublik Luhansk" festgehalten, damit sie das Kampfgebiet nicht verlassen. "Das ist ein schwerer Verstoß gegen die russischen Gesetze. Ein Soldat darf nicht ohne Gericht festgenommen und inhaftiert werden. Nur ein russisches Gericht auf russischem Territorium darf über sie urteilen", so Kriwenko.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk