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PolitikEuropa

Russische Kriegsblogger kritisieren Generäle

Killian Bayer
4. Januar 2023

Der ukrainische Raketenangriff auf eine russische Militärunterkunft in Makijiwka hat russische Nationalisten empört. Die Kritik rechter Kriegsblogger an der russischen Militärführung wächst. Warum lässt der Kreml das zu?

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Mann mit Bauarbeiterhelm steht auf dem Führerhaus eines Autokrans am Rande eines zerstörten Gebäudes
Zerstörte Soldaten-Unterkunft in Makijiwka Bild: ALEXANDER ERMOCHENKO/REUTERS

Nicht erst nach dem Tod von mindestens 89 russischen Soldaten bei einem einzigen ukrainischen Angriff wettern rechte pro-russische Kriegsblogger über die Unfähigkeit der russischen Armee. Die sogenannten Milblogger nutzen vor allem die Nachrichtenplattform Telegram, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.

In einem Beitrag auf "Grey Zone", einem Telegram-Kanal, der dem privaten Militärunternehmen "Gruppe Wagner" des Unternehmers und Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin zugeordnet wird, heißt es: "Wie zu erwarten war, hat man nach den Ereignissen in Makijiwka begonnen, die Soldaten selbst dafür verantwortlich zu machen. Schließlich hatten sie ihre Telefone eingeschaltet und wurden dadurch entdeckt. Natürlich hat der Feind diese Möglichkeiten und manchmal nutzt er sie. Aber in diesem Fall ist es zu 99 Prozent eine Lüge und der Versuch, jegliche Schuld von sich zu weisen."

"Inkompetenz und Unfähigkeit" in der russischen Militärführung

Russische Generäle seien grundsätzlich beratungsresistent, meint Igor Girkin, ein russischer Ex-Spion und selbsternannter Nationalist, der im November 2022 wegen seiner Beteiligung am Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014 von einem niederländischen Gericht wegen Massenmordes verurteilt wurde. Auf seinem Telegram-Kanal schreibt Girkin, das Gebäude, in dem die Soldaten untergebracht waren, sei völlig zerstört worden, weil es gleichzeitig als Munitionslager genutzt wurde.

Boris Roschin, rechter Milblogger und Autor des Chats "Colonelcassad", kritisiert, dass militärisches Personal in Reichweite der ukrainischen Artillerie stationiert sei. Die Armee habe ihre Strategie in den vergangenen Monaten an die Umstände angepasst, um keine großen Mengen an Munition und Treibstoff mehr an einem Ort zu lagern. Allerdings, so Roschin, gelte dies nicht für Menschen. Dafür verantwortlich sei die russische Militärführung: "Inkompetenz und die Unfähigkeit, die Folgen eines Krieges zu begreifen, sind nach wie vor ein ernstes Problem."

Nahaufnahme von Igor Girkin bei einer Pressekonferenz 2018
Übt ungestraft harsche Kritik an russischen Militärs: Igor Strelkov aka. Igor Girkin (Archivbild von 2018)Bild: Pavel Golovkin/AP/picture alliance

Harsche Kritik daran, wie das russische Militär in den Augen russischer Nationalisten den Krieg verpfusche, ist an sich nichts Neues. Pro-russische Kriegsblogger melden sich seit Monaten lautstark zu Wort. Doch die jüngste Welle der Entrüstung über das Verteidigungsministerium in Moskau wirft die Frage auf, warum derartige Kritik in einem zunehmend autoritären Russland toleriert wird.

Blogger, die den Krieg befürworten, können ihre Meinung frei äußern. Kriegsgegnern drohen im Falle von Straftaten wie der "Diskreditierung der russischen Streitkräfte" oder der Verbreitung "falscher Informationen" über das russische Militär und seine Aktivitäten bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Moskau kann Narrativ nicht komplett kontrollieren

Es komme auf die Richtung der Kritik an, erklärt Abbas Galljamow, politischer Analyst und ehemaliger Redenschreiber des russischen Präsidenten Wladimir Putin: "Kriegsblogger üben Kritik aus der sogenannten patriotischen Perspektive: Sie greifen nicht Putin an, sie greifen die Ausführenden an. Aber sie stellen weder Putins Führung noch seine Idee, in der Ukraine einzumarschieren, in Frage." Seine Führung und den Krieg selbst in Frage zu stellen, sei dagegen nicht erlaubt, meint Galljamow, wer dies tue werde als "Feind" gesehen.

Allerdings hat Igor Girkin, einer der prominentesten Kritiker des russischen Militärs, auch Putin selbst schon mehrfach direkt kritisiert. In einem 90-minütigen Video auf Telegram im Dezember sagte Girkin, der Kopf des Fisches sei vollkommen verrottet.

Sergei Schoigu, Wladimir Putin und Waleri Gerassimow sitzen nebeneinander an einem langen Tisch, Putin grinst Schoigu an
Stehen Verteidigungsminister Sergei Schoigu (l.) und Generalstabschef Waleri Gerassimow (r.) noch in Putins (M.) Gunst?Bild: SPUTNIK via REUTERS

Der britische Historiker und Russlandexperte Mark Galeotti meint, Moskau erkenne zunehmend, dass es das Narrativ nicht komplett kontrollieren könne. Leute wie Girkin seien gewissermaßen Wortführer für recht bedeutende Fraktionen innerhalb des Militärs und des Sicherheitsapparats, erklärt Galeotti. Man befürchte wohl, sie zu Märtyrern zu machen, wenn man sie unterdrücke. Außerdem habe man dann nicht mehr die Möglichkeit, ein Gefühl dafür zu bekommen, was genau ihr Anliegen sei.

Steckt dahinter ein politischer Schachzug?

Auch Putin sei mit seinen militärischen Führern unzufrieden, meint Abbas Galljamow. "Sie haben ihm den Sieg in drei Tagen versprochen, stattdessen hat er sich vor der ganzen Welt blamiert." Auf einer emotionalen Ebene verstehe Putin die Kriegsblogger sogar, so der russische Politik-Analyst.

Mit Blick auf die Machtkämpfe innerhalb der Führung ist die Kritik wohl auch politisch motiviert. Laut Galeotti stehen längst nicht alle Militärs geschlossen hinter Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow; es könne durchaus sein, dass diese Männer noch in diesem Jahr abtreten müssten. "Was wir in den sozialen Medien sehen, spiegelt sehr viel von der realen Politik in Russland wider", so der britische Historiker.

Aus dem Englischen von Dagmar Breitenbach.