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Religiös unmusikalisch?

21. September 2013

Sorry, ich bin religiös unmusikalisch! Diesen Satz hört man oft. Aber ist es nicht vielmehr ein Mangel an Wissen, der Menschen zu religiösen Analphabeten macht, meint P. Gerhard Eberts von der katholischen Kirche.

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Dombild von Stefan Lochner
Dreikönigsaltar. Ein Triptychon von Stefan Lochner im Kölner DomBild: picture-alliance/Bildagentur Huber

Nach dem geglückten Abitur luden Abiturientinnen einer Mädchenschule Mitschülerinnen, Eltern und Gäste zu einem musikalischen Abend ein. Es war noch nicht die Abiturfeier, sondern eine kleine Kostprobe von dem, was in einem musischen Gymnasium der Leistungskurs Musik imstande ist, hervorzubringen. Wer sich an diesem schwülen Sommerabend vielleicht vor zu viel strenger Klassik gefürchtet hatte, wurde angenehm überrascht.

In einer flotten, witzigen Moderation wurde das Programm unter das Thema Europa gestellt. Doch was die Nationen angeht, so haben Sprachunterricht und Partnerschaftsferien den Blick der Schülerinnen bereits über Europa hinaus geweitet. Da macht es auch keine Schwierigkeiten, musikalisch einen Abstecher über den großen Teich zu machen, ins ferne Amerika.

Was sich so leicht und beschwingt anhörte, so gekonnt vorgetragen wurde, war in Wirklichkeit das Ergebnis harter Arbeit und geduldigen Übens. Hinter der Musik und der Moderation standen nicht nur Kenntnisse über Partituren, sondern auch über Musikgeschichte und abendländische Kultur. Christlich geprägte Schulen fühlen sich verpflichtet, solche Werte zu vermitteln. Und die Schüler und Schülerinnen sehen darin nicht nur eine Pflicht, sondern haben auch Spaß daran. Von der griechischen und römischen Geisteswelt beeinflusst, sind in der Musik, aber auch in Literatur und Kunst christliche Werte entstanden, die sich nicht in Geld aufwiegen lassen, die uns aber verpflichten, sie zu bewahren und weiterzuentwickeln. Noch gibt es diese Werte. Noch gibt es Menschen, die die Ikonographie einer gotischen Kathedrale zu lesen vermögen und die mit der Partitur einer Beethovensymphonie umzugehen verstehen.

Doch es wächst die Zahl derer, die von religiösen Symbolen und der christlichen Gedankenwelt keine Ahnung mehr haben. Mancher entschuldigt sich: „Ich bin religiös leider total unmusikalisch“.

Ein junger Polizist aus den neuen Bundesländern erzählt, dass er mit Kollegen in Bautzen auf einem Lehrgang war. In der Freizeit stand auch ein Besuch in der Kathedrale von Bautzen auf dem Programm, die schon seit dem 17. Jahrhundert von evangelischen und katholischen Christen gemeinsam benutzt wird. Unter seinen Kollegen war der genannte Polizist der einzige Katholik, ja, der einzige Christ. Als der Mann, der die Kirchenführung machte, von Kreuz und Tabernakel sprach, von Heiligen und Propheten, ohne diese Begriffe zu erklären, wandten sich die übrigen Teilnehmer fragend an ihren katholischen Kollegen: „Wir verstehen nur Bahnhof! Kannst Du uns das mal erklären?“ Der junge Polizist gestand: „Da habe ich ganz schön geschwitzt, denn so firm bin ich auch nicht.“

Eine Frau aus Kyrgistan, im äußersten Winkel des ehemaligen Sowjetreiches, lernte ich bei einer Fortbildung kennen, eine Lehrerin. Sehr kompetent in russischer Literatur. Im Lehrsaal hatte jemand große Poster der berühmten Mosaiken aus Ravenna aufgehängt. „Ich kann sie nicht lesen“, sagte die Frau, „religiös bin ich eine Analphabetin.“ Bedauernd fügte sie hinzu: „Die Zeiten waren so, dass ich das nie gelernt habe. Würden Sie mir bitte die Bilder erklären.“

Die Zeiten waren so, dass viele Menschen nicht vertraut gemacht wurden mit christlichen Bildern und christlichen Werten. Christsein wurde ihnen als etwas Überholtes, Antiquiertes vorgestellt. Bei uns – jedenfalls in weiten Teilen des Landes - sind die Zeiten noch so, dass junge Menschen eingeführt werden in den Reichtum christlicher Kultur und dass die älteren mit Bildern und Klängen des Glaubens aufgewachsen sind. Ich habe die Hoffnung, dass heute noch genügend Menschen diese Bilder erklären können.

Ich denke an die vielen, die gerne in kunstgeschichtlich bedeutenden Kirchen verweilen, und die Freude daran haben, in der reichen Bildergeschichte unseres Glaubens zu lesen. Ich denke an die vielen, die sich in einer Kirche, einem Konzertsaal oder in einer Schulaula musikalisch an die Wurzeln unserer Kultur- und Glaubensgeschichte führen lassen. Wenn dies einladend geschieht, wie bei dem Konzert der Schülerinnen, weckt es vielleicht auch die Neugierde, an einem Sonntagsgottesdienst teilzunehmen.

Pater Gerhard Eberts MSF (Missionar von der Heiligen Familie)
Pater Gerhard EbertsBild: Gerhard Eberts

P. Gerhard Eberts, geboren im Sauerland, ist Missionar von der Heiligen Familie (MSF). Nach Priesterweihe und Journalistenausbildung war er von 1968 bis 2011 Chefredakteur der Ordenszeitschrift „Sendbote“. Gleichzeitig war er bis 1984 Redakteur der Monatszeitschrift Weltbild. Zwischen 1991 und 2000 war P. Eberts Studienleiter und Dozent beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchs (ifp) in München. Dabei kümmerte er sich besonders um den Aufbau von Journalistenkursen in Osteuropa. Heute arbeitet er als Hochschulseelsorger in der Katholischen Hochschulgemeinde Augsburg, er gibt Exerzitien und trägt seit 2010 Verantwortung für die Koordination der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Diözese Augsburg.