Reisetagebuch von Maurice Gully
22. Juni 2009Montag, 22.06.2009
Jetzt bin ich also tatsächlich in Ghana. Ich steige aus dem Flugzeug aus. Eine Angewohnheit habe ich in solchen Situationen: Sobald ich auf der letzten Treppenstufe stehe, also noch einen Schritt vom fremden Boden entfernt, merke ich mir das Wort, an das ich gerade denke. Ich denke lustigerweise „Fön“. Es fühlt sich an wie ein warmer Fön, der mir ins Gesicht bläst. Acht Stunden vorher in Köln war es schmuddelig, zu kalt für den Sommer. Draußen, vor dem Flughafen wartet schon Judith Scholz auf mich. Sie werde ich die nächsten neun Tage begleiten und portraitieren. Ich bin sehr nervös, freue mich aber wie ein kleines Kind, dass alles so reibungslos geklappt hat.
Wir fahren gemeinsam durch Ghanas Hauptstadt Accra. Ich verriegele die Tür von innen und lasse das Fenster oben. So hatte man mir es in Südafrika beigebracht. „So ein Blödsinn“, sagt Judith. Fenster wieder runter, Luft ins schwül-warme Auto lassen. Tür auf und Straßenverkäuferin ranholen. Gekonnt balanciert sie eine Schüssel mit kleinen Wasser-Plastiktütchen auf dem Kopf. Sie lächelt, sie ist sehr freundlich. Ich ärgere mich ein bisschen über mich selbst – über meine Vorurteile.
Ich kaufe zwei Wassertütchen. Judith erklärt mir: „Du musst sie an einer Ecke aufbeißen, dann lässt du dir das Wasser in den Mund laufen.“ Okay, das werde ich in den nächsten Tagen üben. Versprochen. Mir bleibt auch keine andere Wahl. Schließlich möchte ich mich ganz auf Ghana einlassen.
Nach 3,5 Stunden sind wir endlich in Judiths Heimatdorf Maase. Ich habe ein kleines Gästehaus ganz für mich alleine, nur einen Steinwurf von Judiths Haus entfernt. Mein Haus wird sonst nur bei Beerdigungen genutzt – wenn die Großfamilien zusammenkommen. Es sieht lustig bunt aus: Helles gelb, leichtes rosa, drinnen grüne Wände. So farbenfroh wie alle Eindrücke, die ich an meinem ersten Tag in Ghana gewonnen habe. Ich bin müde. Ich freue mich auf mein Bett. Vorher sage ich dem kleinen Gecko über meiner Zimmertür „Gute Nacht“. Er wird mich ganz sicher verstanden haben.
Dienstag, 23.6.2009
Mein erster Morgen in Ghana. Geschlafen habe ich gut, allerdings bin ich ordentlich durchgeschwitzt. Auch nachts kühlt es hier nie richtig ab. Ich stehe vor Judiths Dusche. Alles wie bei uns: Fliesen auf dem Boden und an den Wänden. Brause, Schlauch, zwei Hähne für Kalt- und Warmwasser. „Ist aber nur Attrappe“ höre ich Judith lachen.
Fließendes Wasser gibt es hier nicht. Nirgends im Haus. Sie hat schon einen kleinen Eimer mit Wasser warm gemacht. Der wird mit kaltem Wasser gemixt. Und dann gehe ich in die „Fake-Dusche“. Warum bringen die Hähne und Schlauch an, wenn die nie funktionieren werden? Ambiente ist wohl alles. Und so schütte ich Wasser über mich. Viel zu schnell. Ich hätte kleinere Stöße nehmen sollen. Und dann zwischendurch einseifen. Blöd. Übe ich morgen weiter - versprochen.
Frühstück gibt es in Ghana kaum. Judith ist nett. Sie hat extra Tee für mich aufgesetzt. Dazu esse ich Weißbrot. Ich fühle mich frisch und wohl. Denke erst jetzt, beim Schreiben, zum ersten Mal an mein Schoko-Müsli in Köln. Brauche ich gerade nicht.
Eigentlich bin ich alles andere als ein Naturbursche. Eher der Typ, der zweimal pro Tag seine Brille putzt, weil mich Flusen darauf nerven. Geht aber auch ohne putzen. Schön. Wird meinen kleinen Gecko in meinem Zimmer freuen, wenn ich ihm das erzähle. Der war heute Morgen gar nicht da, fällt mir ein. Wahrscheinlich draußen in einer Pfütze baden. Mit viel natürlichem Ambiente...
Mittwoch, 24.6. 2009
Was denkt ein Schwarzer, wenn er einen Weißen in Ghana mit einer Satellitenschüssel wie ein Storch über einen Acker laufen sieht? Ich weiß es nicht. Ist mir auch peinlich. Der Weiße bin in diesem Fall nämlich ich. Heute will ich erste Beiträge nach Bonn überspielen. Ich stehe auf dem Gelände des Ausbildungszentrums. Und dafür brauche ich verdammt noch mal so eine blöde Satellitenverbindung. Das nächste Internetcafe wäre eine dreiviertel Stunde entfernt. Zu weit.
Zurück zum Acker: Hier ist freie Sicht nach Süd Ost-Ost. Trotzdem kriege ich keine Verbindung. Ich laufe den Acker hoch und runter. Es ist brüllend-heiß. Der schwarze Hausmeister der Schule schaut mich weißen Storch auf dem Acker an, als ob ich von einem anderen Stern komme. Ja, genau da muss ich irgendwo hin. Mit dieser Satellitenverbindung zu den Sternen. Nach einer Stunde klappt es dann doch irgendwie.
Abends dann direkt unter die Dusche. Also … unter den Wassereimer. Klappt schon viel besser als gestern! Ich schütte mir das Wasser in kleinen Stößen über den Körper. Am Ende habe ich sogar noch ein wenig Wasser übrig.
Vor dem Schlafen gehen sehe ich erst, was dieser Tag mit mir gemacht hat: Für das Hocken auf dem Acker musste ich einen hohen Preis zahlen: 12 Stiche am linken, 7 Stiche am rechten Bein.Was das für Insekten waren? Keine Ahnung. Muss ich mal meinen Gecko in meinem Zimmer fragen. Der hat die ja zum Fressen gerne…
Donnerstag, 25.6.2009
Ich habe gut geschlafen. Ich schlafe hier sowieso immer wie ein Stein. Einen Wecker brauche ich nicht. Das Leben fängt hier früh an. Um 5 Uhr morgens krähen Hähne.
Ich höre die ersten Stimmen vor meinem Fenster. Aboagyewaah, die Patentochter von Judith hat schon frisches Wasser für uns geholt. Von einem Brunnen in der Nachbarschaft. Sie balanciert die Wasserkanister auf dem Kopf. 10, 15 Kilo sind kein Problem. Sogar kleine Kinder tragen hier schon alles mögliche auf dem Kopf: Schüsseln mit Obst, Kisten mit leckeren Sojaspießen, auch ganze Baumstämme. Das alles sieht so grazil, so elegant aus. An diesem Bild kann ich mich immer noch nicht satt sehen.
Ich dusche wieder mit meinen Wassereimern, die ich mir über den Kopf schütte. Da bin ich mittlerweile echter Profi. Auch die kleinen Wassertütchen kann ich immer besser trinken. Ich darf nicht die ganze Ecke abbeißen, dann kommt zuviel Wasser raus und alles landet auf dem T-Shirt. Also Wassertütchen nur leicht anbeißen. Aha.
Als ich aus der Dusche komme sehe ich einen kleinen Mini-Handspiegel von Aboagyewaah. Darauf ist ein Aufkleber von Paris Hilton. Also Paris Hilton wäre die letzte, die ich im Busch erwartet hätte. Ich denke an Aboagyewaah und an die vielen eleganten und hübschen Mädchen, die ich jeden Tag an den Brunnen sehe. Sie lachen miteinander, sehen glücklich aus. Paris Hilton lächelt auch auf dem Aufkleber, wie Paris Hilton eben lächelt. Ich bekomme schlechte Laune. In diesem Moment ist sie für mich die ärmste Frau auf diesem Planeten.
Ob ich meinem Gecko in meinem Zimmer diese Geschichte heute Abend erzähle? Ich denke, sie wird ihn nicht interessieren.
Freitag, 26.6.2009
Habe heute selber Wasser aus dem Brunnen für meine Dusche geholt.
Ja klar, Gully ist natürlich ein Schlaumeier: Den Eimer schön wie ein Afrikaner auf dem Kopf balancieren. Man muss ja alles mal gemacht haben. Von wegen Völkerverständigung und so. Aboagyewaah, die Patentochter von Judith, lacht sich schlapp. Ich verschütte die Hälfte, trage den Eimer dann weiter mit den Händen.
Heute bin ich mit Judith und ihrem Kollegen Francis auf einer Rundtour zu den Familien der Patenkinder.
Im Auto bleibt viel Zeit für Gespräche. Francis erzählt mir, dass einige seiner schwarzen Landsleute total verrückt seien. Die würden sich z.B. ihre Haut mit Cremes bleichen, um einen helleren Teint zu bekommen. Ich setzte noch einen drauf: Ich erzähle ihm, dass sich bei uns in Deutschland Menschen unter ein Gerät legen, um brauner zu werden. Jetzt hält er uns Weiße auch noch für verrückt. Wir haben Tränen in den Augen vor Lachen und erklären kurzerhand mal eben die gesamte Menschheit für verrückt.
Abends dann wieder bei meinem Gecko im Zimmer: Wie erkläre ich ihm, dass Menschen ihre Hautfarbe ändern wollen? Vielleicht ist er auch der falsche Ansprechpartner. Ich sollte es bei einem Chamäleon versuchen. Ich muss aber leider gestehen, dass ich nicht weiß, ob es die in Ghana gibt…
Langsam muss ich mal ans Kofferpacken denken. Geht bald schon wieder zurück nach Köln. Ob ich meinen Gecko mitnehme? Als Souvenir? Ich überlege mir schon mal eine gute Übersetzung für: „Lieber Zollbeamte, ich hab den in den letzten Tagen doch so lieb gewonnen…“
Autor: Maurice Gully
Redaktion: Birgit Görtz