Vor dem Manning-Prozess
16. Dezember 2011Bevor es um Schuld oder Unschuld geht, müssen erst Verfahrensfragen geklärt werden. Seit Freitag (16.12.2011) berät ein Militärgericht vor den Toren Washingtons darüber, ob die Beweise gegen Bradley Manning für einen Prozess ausreichen. Die Hauptverhandlung könnte dann in einigen Monaten starten. Die militärische Anhörung ist dennoch der von vielen Beobachtern lang ersehnte Auftakt im juristischen Tauziehen um die WikiLeaks-Depeschen. Dabei steht nicht nur das Schicksal eines einfachen Soldaten im Fokus, sondern auch die Glaubwürdigkeit des US-Präsidenten, der auch mit dem Versprechen eines Wandels in der Menschenrechtspolitik ins Amt gewählt wurde.
Unmenschliche Haftbedingungen
Der Vorwurf gegen Manning wiegt schwer: Der damals 22-Jährige soll hunderttausende Geheimdokumente weitergeben haben – zuletzt im Frühjahr 2010 die vertraulichen Botschafts-Depeschen. Die Veröffentlichung dieser sensiblen Einschätzungen wurde für die US-Regierung zu einem diplomatischen Desaster.
Noch bevor der Prozess gegen Manning überhaupt beginnt, musste der mutmaßliche Whistleblower für die ihm vorgeworfenen Taten schon schwer büßen. Monatelang wurde Manning nach seiner Verhaftung im Mai 2010 in isolierter Einzelhaft festgehalten. Im US-Stützpunkt Quantico hatte der Obergefreite weder Zugang zu Nachrichten oder Kontakt zu anderen Gefangenen, noch konnte er seine Zelle länger als für eine Stunde am Tag verlassen. Sein Verteidiger berichtete, dass Manning unter anderem gezwungen worden sei, nachts sieben Stunden nackt in seiner Zelle auszuharren.
Schikanen, die nicht nur Menschrechtsorganisationen wie Amnesty International unmenschlich nennen. Im April 2011 veröffentlichten zwei renommierte Juristen der Universitäten Yale und Harvard einen offenen Brief an Präsident Obama, in dem sie diese Haftbedingungen erniedrigend, unmenschlich, illegal und unmoralisch nannten. Mehr als 250 Juristen aus den USA und dem Ausland schlossen sich dieser Haltung an. Nach einer Verlegung Mannings in ein Militärgefängnis in Kansas soll der Soldat mittlerweile aber Kontakt zu anderen Häftlingen und Angehörigen haben.
Unterstützung von vielen Seiten
Trotz verbesserter Haftbedingungen spaltet die Diskussion über den mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Manning weiter das amerikanische Volk. Während zahlreiche Politiker die Todesstrafe für den Soldaten fordern, ist er für andere ein Held, der einen Freispruch verdiene. Zahlreiche "Free Bradley Manning"-Kampagnen im Internet haben hunderttausende Unterstützer weltweit gefunden.
Klar ist: Durch die von ihm angeblich weitergeleiteten Dokumente wurden der Öffentlichkeit schwere Verbrechen von US-Militärs im Irak erst bekannt. Das Video "Collateral Murder" zeigt, wie die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers im Juli 2007 in Bagdad wahllos auf Zivilisten schießt. Manfred Nowak, Professor für Völkerrecht an der Universität Wien und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Folter, kann der Weitergabe von Beweisen über US-Kriegsverbrechen viel Positives abgewinnen, selbst wenn sie gegen die militärischen Vorschriften verstoße: "Hat man nicht eine gewisse moralische oder vielleicht sogar völkerrechtliche Verpflichtung, das aufzuzeigen?" Nowak plädiert für einen Freispruch.
Droht Manning die Todesstrafe?
Die US-Regierung will von einer solchen Abwägung und von einem übergesetzlichen Notstand des Soldaten nichts wissen. Sowohl Präsident Obama als auch mehrere Minister zeigen sich bis heute von der Schuld Mannings überzeugt. Dass ein Prozess mit der Todesstrafe enden wird, hält Jurist Nowak trotzdem für unwahrscheinlich. Die Todesstrafe komme nur in Frage, wenn man nachweisen könne, dass die Veröffentlichung des Materials zum Tod eines Soldaten geführt habe - ein nahezu unmögliches Unterfangen. Auch eine lange Haftstrafe sei eher unwahrscheinlich. Der Jurist vergleicht den Fall mit dem Folterskandal von Abu Ghraib. Politiker und CIA-Mitarbeiter wurden damals gar nicht belangt, die beteiligten Militärs sind heute längst wieder auf freiem Fuß. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man bei Bradley Manning eine viel längere Haftstrafe verhängen würde", so Nowak.
David Coombs, der Anwalt von Bradley Manning, setzt im Prozess auf eine breite Öffentlichkeit. US-Präsident Obama und Außenministerin Clinton als zwei von fast 50 Entlastungszeugen zu laden, hat die Regierung abgelehnt. Beide Politiker hätten aus Sicht des Anwalts bestätigen können, dass der Schaden durch die Veröffentlichungen der Depeschen weit geringer war als befürchtet. Doch auch ohne öffentliche Vernehmung dürfte Obama, der sich vor seinem Amtsantritt noch für das Whistleblowing ausgesprochen hatte, um den Fall Manning im Wahlkampf kaum herumkommen.
Die Geschichte wird auf der Seite Mannings stehen, glaubt ein Whistleblower im Ruhestand: Daniel Ellsberg hatte 1971 die streng geheimen Pentagon-Papiere in der New York Times veröffentlicht – und später alle Gerichtsverfahren gewonnen. Das gleiche Schicksal wünscht Ellsberg auch Manning, den er einen "Helden" nennt.
Autor: Andreas Noll
Redaktion: Johanna Schmeller