Fassbinder: tabulos, kontrovers, genial
10. September 2021Schon zu Lebzeiten wurde sein Werk kontrovers diskutiert, und auch mit seinem Lebensstil eckte der Regisseur Rainer Werner Fassbinder in Deutschland an. Radikal und bahnbrechend wagte er sich an Themen wie Antisemitismus, Migration oder Rollenklischees und drehte in den Jahren 1969 bis zum Tod 1982 mit einer kaum vorstellbaren Produktivität über 40 abendfüllende Filme. Abgerungen hat sich Fassbinder diese Arbeitswut mit viel Drogen. Das hatte seinen Preis. Mit nur 37 Jahren starb er - und hinterließ ein künstlerisches Erbe, das wie kein anderes für den "Neuen Deutschen Film" steht und bis heute großen Widerhall findet.
"Die Methode Fassbinder"
Eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn widmet sich nun der "Methode Rainer Werner Fassbinder". In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filminstitut & Filmmuseum und der Rainer Werner Fassbinder Foundation porträtiert sie den Regisseur und sein Werk in einer chronologisch ausgerichteten Retrospektive. "Das Ziel der Ausstellung ist es, auf eine Spurensuche zu gehen und Fassbinder auch einem breiteren Publikum in all seinen Facetten vorzustellen - untrennbar verbunden mit der deutschen Kultur, Gesellschaft und Politik", so das Museum.
Rainer Werner Fassbinder und der "Neue Deutsche Film"
Fassbinder wurde am 31. Mai 1945 direkt nach der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg im bayerischen Bad Wörishofen geboren. Die Stimmung in Nachkriegsdeutschland, in der er aufwächst, verarbeitet er später in seinen Filmen. Dabei wendete er sich gegen das alte kommerzielle Kino der Bundesrepublik, das stilistisch wie inhaltlich dem Kino der 1950er-Jahre verhaftet war: Es dominierten Winnetou- und Sexfilme, Heimatschnulzen und Streifen über den Zweiten Weltkrieg, die keine ehrliche Aufarbeitung zuließen.
Der "Neue Deutsche Film", wie jene ästhetisch-inhaltliche Film-Revolution genannt wird, wäre ohne den Namen Fassbinder nicht denkbar. Und das, obwohl er nie eine Filmschule besuchte. Er wurde zum Autodidakten. Vielleicht hat gerade das ihn stark und mutig gemacht. Fassbinder machte, was er wollte. Seine Filme waren ästhetisch radikal und oft von großer Künstlichkeit. Das Publikum wollte ihm lange nicht folgen. Erst mit seinen letzten Filmen änderte sich das.
Fassbinder eckte an - auch mit seiner Homosexualität
Weder in seine filmischen Konzepte noch in seinen Lebensstil ließ er sich hineinreden. Fassbinders Homosexualität, die sowohl in seinen Filmen als auch in der Öffentlichkeit thematisiert wurde, stieß im gesellschaftlichen Klima im Deutschland der 1970er-Jahre auf viele Vorbehalte. Fassbinder war ein radikaler Außenseiter in einer bürgerlichen Gesellschaft.
1969 inszenierte er seinen ersten Spielfilm "Liebe ist kälter als der Tod", da hatte er schon einige Theatererfahrungen hinter sich. Fassbinder war ein Allroundgenie: Er inszenierte Filme und Theaterstücke, schrieb Dramen und Drehbücher, machte Hörspiele und trat zudem als Schauspieler auf. Fassbinder tanzte in seiner kurzen, intensiven Schaffenszeit auf sehr vielen künstlerischen Hochzeiten.
TV, Kino, Theater, Bücher, Hörspiele - aber immer etwas anders
Auf diese ungeheure Vielfalt und permanente Bereitschaft, etwas Neues zu entwickeln, weist der Fassbinder-Experte Michael Töteberg im DW-Gespräch 2020 hin: "Er hat sehr viele Medien bespielt, aber mit Blick auf das Medium immer etwas anders gemacht, als das Genre es vorgab." Er habe nie eine Art "Zweitverwertung" betrieben, nach dem Motto: Aus einem Theaterstück mache ich jetzt auch einen Film, aus einer Fernsehserie stelle ich eine Kinofassung her. So unterschieden sich beispielsweise die Film- und die TV-Version von "Bolwieser" (1976) erheblich.
Heute allerdings stehe Fassbinder vor allem für filmische Melodramen über deutsche Geschichte, was schade sei, so Töteberg. Schließlich sei Fassbinders Werk "sehr umfangreich und sehr vielfältig".
International entdeckt wurde Fassbinder beim Festival in Cannes
Im Ausland sei dies früh und wohl auch besser verstanden worden, meint Michael Töteberg: "Ich denke, er hat im Ausland eine größere Bedeutung als hierzulande." Ausgerechnet beim Filmfestival im französischen Cannes, wo die Deutschen normalerweise nicht hoch gehandelt werden, feierte Fassbinder 1974 mit "Angst essen Seele auf" den internationalen Durchbruch. Auch in den USA sei das Werk des Deutschen früh und intensiv rezipiert worden, so Töteberg.
Nach der "Angst essen Seele auf"-Premiere in Cannes habe man sich in Deutschland die Augen gerieben und sich überrascht gefragt: "Ach, das interessiert auch die Leute im Ausland?" Heute könne man sagen: "Das Deutschlandbild im Ausland ist deutlich von Fassbinder geprägt."
Hat nicht auch das ungestüme Leben Fassbinders mit Drogenkonsum und dem Ruf, am Set ein Wüterich zu sein und Freund wie Feind zu beschimpfen, das Bild des Künstlers Fassbinder verdeckt? Da sei sicher etwas dran, wiegelt Töteberg ab. Mit so einem "Klischee des genialen Monsters" komme man dem Phänomen Fassbinder aber nicht wirklich näher.
Themen wie Sexualität wurden von Fassbinder tabulos in Szene gesetzt
"Es ist erstaunlich, wie weit er doch seiner Zeit auch thematisch voraus war." Viele Dinge, "die jetzt erst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind", habe Fassbinder früh thematisiert, so der Fassbinder-Experte, der sich schon lange mit dem Künstler beschäftigt. "Wer hatte denn damals, in der Zeit des Films 'In einem Jahr mit 13 Monden' (1978, Anm. d. Red.), außerhalb einer Randgruppe tatsächlich von Transsexuellen gehört?" Das sei als "völlig bizarr und exotisch" wahrgenommen worden.
Fassbinder hat sich in vielen Filmen mit deutscher Historie und dem aktuellen Zeitgeschehen beschäftigt. Er habe dabei "nie Propaganda für diese Sachen gemacht, weder für linke noch für andere Politik, sondern er hatte immer schon eine sehr distanzierte und kritische Haltung". Er sei in dieser Hinsicht nie naiv, keinen Illusionen aufgesessen gewesen.
Fassbinder: zwischen Arthouse und Kino für das große Publikum
Fassbinder habe zudem immer auch das große Publikum im Auge gehabt, sagt Töteberg, der bei seinen Forschungen Zugriff auf die Fassbinder-Archive hatte: "Er hatte vor, Johannes Mario Simmel (populärster deutscher Unterhaltungsschriftsteller zu Fassbinders Zeiten, Anm. d. Red.) zu verfilmen und zwar nicht in einer ironischen Haltung."
Erwartungshaltungen hat Fassbinder nach Auffassung Tötebergs aber nie bedienen wollen: "Wenn er einen kommerziellen Erfolg hatte, hat er als nächstes einen Film gemacht, der eher verstörend war. Wenn die Leute gedacht haben: 'Ach, er ist jetzt ja wirklich im Arthouse angekommen', machte er etwas fürs Publikum. Das war durchgängig!"
Fassbinder sah sich selbst nicht als Genie
"Fassbinder hat selbst immer gesagt: Ich mache Sachen aus Sachen. Ich bin selbst nicht so ergiebig", sagt Michael Töteberg.
Und was würde Rainer Werner Fassbinder heute machen, im digitalen Zeitalter? Serien drehen oder die "Sozialen Medien" bespielen? "Er würde so ziemlich alles machen", sagt Töteberg: "Ich kann mir jedenfalls Rainer Werner Fassbinder nicht als Rentner im Garten vorstellen."
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels von 2020, der anlässlich des 75. Geburtstags von Rainer Werner Fassbinder veröffentlicht wurde.
Die Retrospektive "Methode Rainer Werner Fassbinder" läuft vom 10. September bis zum 22. März 2022 in der Bundeskunsthalle Bonn.