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Prozess gegen Starpianisten

18. Oktober 2012

In Istanbul muss sich der türkische Starpianist Fazil Say vor Gericht verantworten. Die Anklage wirft ihm vor, den Islam und alle Gläubigen beleidigt zu haben. Dem Künstler droht eine lange Haftstrafe.

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Fazil Say (Foto: picture-alliance)
Bild: picture-alliance / Sven Simon

Ungewohnte Misstöne für Fazil Say: Dem international gefeierten Pianisten und Komponisten wird der Prozess gemacht, weil er den Islam und seine Anhänger öffentlich beleidigt haben soll. Im April dieses Jahres hatte sich der bekennende Atheist Say beim Kurznachrichtendienst Twitter mehrere spöttische Kommentare eingestellt. Einige waren von ihm selbst geschrieben, einige hat er von anderen Twitter-Nutzern übernommen.

Überraschenderweise wurde der Prozess schon nach wenigen Stunden vertagt. Neuer Termin ist nach Angaben eines Anwalts Mitte Februar kommenden Jahres.

"Meinungsfreiheit ist ein Recht für alle"

Die Staatsanwaltschaft wirft Say vor, er habe die islamische Religion und deren Anhänger schwer beleidigt und religiöse Werte öffentlich herabgewürdigt. Türkische Medien zitierten einen der Twitter-Einträge: "Wo immer ein Narr oder Dieb ist, sie glauben alle an Gott. Ist das ein Widerspruch?"

Say hat die Anklage gegen ihn in mehreren Interviews kritisiert. Sie verletze die Meinungsfreiheit und schade dem Ansehen der Türkei. "Ich habe die Meinungsfreiheit immer beachtet. Sie ist ein Recht für alle", zitierte die Nachrichtenagentur dpa den 42-jährigen Künstler vor einigen Monaten. Seitdem hat sich Fazil Say aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen. Im Mai sagte er, er habe niemanden beleidigen wollen, sondern lediglich sein Unbehagen ausdrücken wollen gegenüber Leuten, die religiöse Werte ausnutzten. Seitdem hat er sich nicht mehr zu seinem Fall geäußert. Seine Verteidigung kündigte an, sich auf das in der türkischen Verfassung verankerte Meinungs- und Überzeugungsfreiheit in der Türkei sowie auf den entsprechenden Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention berufen zu wollen.

Unterstützung erhält Say im Internet: Fast 8.000 Freunde und Anhänger haben bislang eine Solidaritätskampagne für den angeklagten Pianisten unterzeichnet.

Ein unbequemer Musiker

Fazil Say hat sich in der Vergangenheit mehrfach kritisch über die islamisch geprägte Regierung von Ministerpräsident Erdogan geäußert. Er beklagte ein Klima der Intoleranz und deutete an, er wolle sein Heimatland verlassen. Der nach Meinung vieler Experten bedeutendste klassische Musiker der Türkei genießt international ein hohes Ansehen, spielte in New York und Berlin und ist mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen dekoriert. Sollte er wegen seiner religionskritischen Äußerungen verurteilt werden, muss er mit einer Haftstrafe von bis zu 18 Monaten rechnen.

mak/hp (afp, DAPD, dpa)