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PolitikKosovo

Thaci und andere Ex-UCK-Führer vor dem Kosovo-Sondertribunal

Bekim Shehu
2. April 2023

Den Top-Kommandanten der ehemaligen "Befreiungsarmee Kosovos" UCK - Hashim Thaci, Kadri Veseli, Jakup Krasniqi und Rexhep Selimi - werden Kriegsverbrechen gegen politische Rivalen und ethnische Minderheiten vorgeworfen.

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Den Haag | Hashim Thaci vor Kosovo Tribunal
Hashim Thaci, ehemaliger politischer Führer der Befreiungsarmee Kosovos (UCK) und ehemaliger Staatspräsident Kosovos, bei einer Anhörung vor dem Kosovo-Sondertribunal im September 2020Bild: Jerry Lampen/ANP/picture alliance

Am 3. April hat in Den Haag vor dem Sondergericht zu Kriegsverbrechen in Kosovo der Prozess gegen vier Top-Kommandanten der ehemaligen "Befreiungsarmee Kosovos" (UCK), Hashim Thaci, Kadri Veseli, Jakup Krasniqi und Rexhep Selimi begonnen. Ihnen werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kosovo in der Zeit von 1998 bis 2000 vorgeworfen. Dafür hat die Anklage bisher 312 Zeugen identifiziert.

Hashim Thaci war vor und während des Kosovo-Kriegs 1998/99 politischer Führer der UCK, Kadri Veseli Chef des Geheimdiensts der UCK, Jakup Krasniqi Sprecher der UCK und Rexhep Selimi Mitglied im Generalstab der UCK.

Kosovo Präsident Hashim Thaci und Kadri Veseli
Kadri Veseli (l.) und Hashim Thaci (r.), hier auf einem Bild nach der Wahl Thacis zum Staatspräsidenten Kosovos am 26.02.2016Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Kryeziu

Die Anklage umfasst Vorwürfe wie ungesetzliche Freiheitsberaubung, Misshandlung, Folter und Mord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Verschwindenlassen und Verfolgung von Menschen. Diese Verbrechen sollen zwischen März 1998 und September 1999 stattgefunden haben.

Was sind die Vorwürfe gegen die ehemaligen UCK-Führer?

Laut Anklageschrift geht es um Verbrechen, die an verschiedenen Orten in Kosovo, aber auch in Nordalbanien in den Gemeinden Kukes und Cahan begangen worden sein sollen. Die Täter seien Mitglieder der UCK gewesen, die Opfer Hunderte von Zivilisten und Menschen, die sich nicht aktiv an den Kampfhandlungen beteiligen wollten.

"Die Opfergruppe umfasst Menschen, die von der UCK und später von der Übergangsregierung Kosovos als Gegner betrachtet wurden, darunter Serben, Roma und Katholiken - Personen, denen unterstellt wurde, mit den serbischen Behörden zusammenzuarbeiten oder mit Serben in Kontakt zu stehen", heißt es in der Anklageschrift.

Nach Ansicht der Sonderkammer tragen Hashim Thaci, Kadri Veseli, Jakup Krasniqi und Rexhep Selimi persönliche strafrechtsrelevante Verantwortung für die in der Anklageschrift aufgeführten Verbrechen.

Niederlande Den Haag | Kosovo-Sondertribunal | Verhandlung Rexhep Selimi
Mitglieder des Kosovo-Sondertribunals bei einer Anhörung im November 2020Bild: Eva Plevier/REUTERS

Die Anklageschrift wirft ihnen und anderen Mitgliedern der "gemeinsamen kriminellen Vereinigung" vor, sie hätten zwischen März 1998 und September 1999 "das gemeinsame Ziel verfolgt, mit allen Mitteln die volle Kontrolle über Kosovo zu bekommen". Weiter heißt es in der Anklageschrift, dass Thaci, Veseli, Krasniqi und Selimi sich persönlich an Drohungen, Verhören, Misshandlungen und Verhaftungen der Gegner beteiligt hätten. Die Staatsanwaltschaft gab bekannt, dass sie über 56.000 Dokumente verfüge, die sie der Verteidigung übergeben habe. Vor drei Wochen wurden erstmals Namen von einigen Opfern veröffentlicht, von denen angenommen wird, dass sie umgebracht oder gewaltsam verschleppt wurden.

Wie argumentiert die Verteidigung?

Die Verteidiger von Hashim Thaci, dem ehemaligen politischen Führer der UCK, bestreiten die Vorwürfe und argumentieren, dass die "UCK keine Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft" erhalten hätte, wenn sie, wie die Anklage unterstelle, kriminelle Ziele gehabt hätte.

"Die Entscheidung des Büros der Sonderstaatsanwaltschaft, die UCK als eine kriminelle Vereinigung anzusehen, bedeutet, dass die internationale Unterstützung, die die UCK von ihren Partnern wie den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland erhielt, eine Unterstützung eines kriminellen Plans gewesen wäre, einen systematischen Großangriff gegen eine Zivilbevölkerung zu unternehmen. Das war ganz entschieden nicht so! Es gab keinen gemeinsamen kriminellen Plan der UCK. Das hätte die internationale Gemeinschaft niemals unterstützt", heißt es in einer Erklärung der Verteidigung Thacis. Nach ihrer Auffassung basiert die Anklageschrift auf einer bruchstückhaften und selektiven Missinterpretation der Vorfälle.

Der Präsident von Kosovo Hashim Thaci in Den Haag vor einem Sondergericht
Hashim Thaci verlässt das Gebäude des Kosovo-Sondertribunals in Den Haag nach einer Anhörung im Juli 2020Bild: DW/A. Bajram

Das Verteidigerteam von Hashim Thaci hat angekündigt, international bekannte politische Persönlichkeiten als Zeugen aufzurufen, darunter Wesley Clark, William Walker, Bernard Kouchner, Daan Everts, Michael Durkee, Jock Covey und Steve Bennett. "Die Zeugen waren während der fraglichen Zeit, die in der Anklageschrift behandelt wird, hohe internationale Diplomaten, hochrangige Vertreter der NATO, der OSZE, der UN und der UNMIK sowie der Kosovo Verification Mission. Sie alle haben mit Hashim Thaci auf professioneller und zum Teil auch persönlicher Ebene zu tun gehabt", heißt es in einer Mitteilung der Verteidigung.

Was ist das Kosovo-Sondertribunal?

Das Sondergericht zu Kriegsverbrechen in Kosovo wurde auf Beschluss des kosovarischen Parlaments im August 2015 gegründet. Dabei wurde entschieden, den Sitz des Tribunals nach Den Haag zu legen, weil Zeugen sich bedroht fühlen könnten, wenn die Prozesse in Kosovo stattfinden würden. Die Kosten des Tribunals trägt die EU.

Die Präsidentin der kosovarischen Fachkammern, Ekaterina Trendafilova
Ekaterina Trendafilova, die Vorsitzende des Kosovo-SondertribunalsBild: Visar Kryeziu/AP Photo/picture alliance

Der offizielle Titel des Sondertribunals lautet "Sonderkammer und Sonderstaatsanwaltschaft Kosovos". Vorsitzende der Kammer ist Ekaterina Trendafilova, der Vorsitzende der Sonderstaatsanwaltschaft Alex Whiting. Zum Gericht gehört auch eine Schutzeinheit, die den Schutz der Opfer gewährleistet.

Warum wurde das Sondertribunal gegründet?

Die Idee zur Gründung des Sondertribunals entstand, nachdem der Europarat eine Resolution verabschiedet hatte, mit der er Kosovo zur Untersuchung der Vorwürfe des Schweizer Senators Dick Marty aufforderte, der Mitgliedern der UCK 2010 Kriegsverbrechen und Organhandel vorgeworfen hatte. Zumindest die Vorwürfe des Organhandels konnten bisher nicht belegt werden. Sie sind auch nicht Teil der jetzigen Anklage.

EU Ausschuss für Recht und Menschenrechte  | Dick Marty
Dick Marty, ehemaliger Berichterstatter des Europarates, hier bei einer Debatte über die von ihm gegen die UCK erhobenen Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen während des Kosovo-Kriegs am 25.01.2011 in StraßburgBild: picture-alliance/dpa/C. Karaba

Das Sondertribunal gehört nicht zum früheren Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien, das über Verbrechen während der Jugoslawien-Kriege geurteilt hatte. Beim Kriegsverbrechertribunal wurden neben serbischen auch kosovarische Politiker angeklagt. In zwei Prozessen gegen ehemalige UCK-Kommandanten wurden die Beschuldigten, Ramush Haradinaj und Fatmir Limaj freigesprochen.

Politische Dimension des Tribunals in Kosovo

Seit Kriegsende gab es in Kosovo immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Vertretern der von Hashim Thaci gegründeten PDK (Demokratische Partei Kosovos) und der von Ibrahim Rugova gegründeten LDK (Demokratische Liga Kosovos).

Paris Unterzeichnung Vertrag von Rambouillet
Der "Vater des kosovarischen Staates", Ibrahim Rugova (vorn, 2.v.l.), bei den Friedensverhandlungen von Rambouillet im März 1999. Rechts neben ihm Hashim ThaciBild: AFP/Getty Images

Der ehemalige Vorsitzende der LDK, Fatmir Sejdiu, sagte - ohne konkrete Namen zu nennen -, dass Mitglieder seiner Partei im und nach dem Krieg wegen ihrer politischen Position Opfer von Racheakten geworden seien.

Weil immer wieder über mögliche Verbrechen nach dem Krieg spekuliert wurde, war es Hashim Thaci selbst, der vom Kosovo-Parlament die Gründung eines Sondergerichts verlangt hatte, um alle Vorwürfe aufzuklären.

Seit der Einrichtung des Sondertribunals in Den Haag wurde bisher erst ein Urteil wegen Kriegsverbrechen verhängt. Der ehemalige UCK-Kommandant Salih Mustafa wurde zu 26 Jahren Haft verurteilt.

Adaptiert aus dem Albanischen von Adelheid Feilcke